Während Beschäftigte in Umfragen über Überlastung klagen und nach mehr Work-Life-Balance rufen, rücken viele Unternehmen still und leise die Leistung wieder ins Zentrum. Boni werden neu justiert, Zielvereinbarungen reaktiviert, Leistungsbeurteilungen verschärft. Was nach 90er-Jahre-Kontrollwahn klingt, ist in Wahrheit ein strategisches Comeback: die Rückkehr der Leistungskultur.

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Die Wirtschaft stagniert – und Leistung rückt ins Zentrum

Die deutsche Wirtschaft steckt in einer Produktivitätskrise. Laut IW-Report ist die Arbeitsproduktivität in den letzten beiden Jahren nicht nur gesunken, sondern hat auch ihre frühere Dynamik eingebüßt. Gleichzeitig steht Deutschland vor einer demografischen Schrumpfung seines Erwerbspersonenpotenzials. Um die soziale Sicherung langfristig aufrechtzuerhalten, müsste die Produktivität eigentlich stark steigen – tut sie aber nicht. In diesem Spannungsfeld verschiebt sich die Debatte: Weg vom Wohlfühlmanagement, hin zu Leistungsanreizen, die wieder mehr Output versprechen.

Neue Härte in der Personalpolitik oder strategischer Kurswechsel

Der Vorstand von SAP machte im Februar 2025 öffentlich, was viele Entscheider intern längst umsetzen: Mitarbeiter sollen wieder stärker nach Leistung bewertet werden. Auch andere Unternehmen justieren ihre Vergütungssysteme – Boni und Prämien werden gezielter, Zielvereinbarungen wieder verbindlicher. Laut IW-Report setzen inzwischen 50,6 Prozent der befragten Unternehmen auf leistungs- oder erfolgsabhängige Vergütung, Tendenz steigend. Das Ziel: Differenzierung. Die Botschaft: Wer mehr leistet, soll mehr bekommen. Wer nicht performt, spürt Konsequenzen – zumindest finanziell.

Wer leistet, verdient mehr – aber nur unter bestimmten Bedingungen

Wer in Deutschland leistungs- oder erfolgsabhängig vergütet wird, verdient nicht nur besser, sondern ist laut IW-Beschäftigtenbefragung auch zufriedener mit seiner Arbeit und denkt seltener über einen Jobwechsel nach. Das klingt nach Win-win – ist aber kein Selbstläufer. Denn leistungsbezogene Vergütung wirkt nur dann motivierend, wenn sie nachvollziehbar und fair gestaltet ist. Beschäftigte mit variabler Vergütung sind im Schnitt risikoaffiner, vertrauen stärker in ihre Fähigkeiten und schätzen die Transparenz der Leistungsmessung. Fehlende Klarheit über Ziele und willkürliche Bewertungen können dagegen das Gegenteil bewirken: Frust, Demotivation, Kündigung.

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Leistung lohnt sich – aber nicht für alle gleich

In der Praxis zeigen sich deutliche Unterschiede. Männer, Vollzeitkräfte und Beschäftigte mit Führungsverantwortung erhalten überdurchschnittlich häufig leistungs- oder erfolgsabhängige Vergütung. Auch die Branche spielt eine große Rolle: In der Industrie und den Finanzdienstleistungen sind variable Entlohnungen weit verbreitet – im Gastgewerbe oder sozialen Bereich dagegen kaum. Selbst innerhalb eines Unternehmens hängt der Zugang zu Prämien und Boni oft von der Position, dem Verhandlungsgeschick oder der Risikobereitschaft ab. So wird das Leistungsprinzip schnell zum Privileg: Wer ohnehin schon gut verdient, kann auch leichter mehr leisten – oder es zumindest beweisen.

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Zwischen Anreizsystem und Absicherung – was Unternehmen wirklich wollen

89?Prozent der Unternehmen nutzen leistungsabhängige Vergütung, um Beschäftigte zu mehr Engagement zu motivieren. 83 Prozent wollen auf diese Weise leistungsstarke Mitarbeiter halten oder gewinnen. Doch dahinter steckt nicht nur das Ziel, fairer zu entlohnen, sondern auch ein finanzielles Kalkül. Mehr als die Hälfte koppelt auf diesem Weg ihre Lohnkosten an die wirtschaftliche Entwicklung. In Zeiten schwankender Aufträge wird die Vergütung damit zum Flexibilisierungsinstrument. Die Frage ist: Fördert das Loyalität oder Angst? Denn wenn gute Zeiten belohnt werden, müssen Beschäftigte in schlechten Zeiten auch mit Abstrichen rechnen.

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Leistung ist nicht mehr gleich Output – das neue Verständnis von Performance

In der klassischen Arbeitswelt war Leistung messbar: Stückzahl, Umsatz, Anwesenheit. Doch in vielen Jobs gilt das längst nicht mehr. Remote Work, Projektarbeit, Teamverantwortung – all das erschwert die Bewertung individueller Beiträge. Laut IW-Beschäftigtenbefragung geben 39,4 Prozent aller Beschäftigten mit variabler Vergütung an, dass ihre Boni stark von ihrer persönlichen Leistung abhängen. Unter den Beschäftigten ohne Führungsverantwortung liegt der Anteil bei 36,6 Prozent, bei Führungskräften dagegen bei 42,9. Gleichzeitig sinkt die Bedeutung von Team- oder Organisationserfolg. Die Folge: subjektive Bewertungen nehmen zu. Und damit auch das Risiko, dass Leistung nicht nach Qualität, sondern nach Sichtbarkeit beurteilt wird.

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Zwischen Fairness und Fragmentierung – Spaltung durch Leistung?

Je stärker Leistung vergütet wird, desto größer wird oft auch die Ungleichheit im Unternehmen. Denn variable Vergütung erhöht nicht nur den Anreiz, sondern auch die Differenz. Wer viel leistet (oder als leistungsstark gilt), bekommt deutlich mehr – wer nicht, bleibt zurück. Gerade in Teams kann das den Zusammenhalt schwächen. IW-Daten zeigen: Eine leistungsorientierte Vergütung erhöht tendenziell die Lohnspreizung und fördert Wettbewerb statt Kooperation. Ob das gerecht ist, hängt laut Studien vor allem davon ab, wie transparent die Kriterien sind. Doch genau daran fehlt es in vielen Unternehmen – und das untergräbt das Vertrauen.

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