Reue scheint heute aus dem beruflichen Kontext verbannt worden zu sein. Der moderne Karrieremensch, stets optimiert, vernetzt und flexibel, gibt nicht zu, dass er berufliche Entscheidungen bereut. Lieber sagt er: „Ich habe daraus gelernt“ oder „Es hat mich dorthin gebracht, wo ich heute bin.“ Bereuen klingt zu schwer, zu endgültig, fast wie ein Makel, den man sich selbst eingestehen müsste.

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Doch jede berufliche Entscheidung birgt das Potenzial, dass wir sie irgendwann mit einem Seufzen oder einem leichten Kopfschütteln betrachten. Denn seien wir ehrlich: Es gibt so vieles, was man bereuen kann. Vielleicht den Job- oder Berufswechsel, der doch nicht gewagt wurde. Die Gehaltsverhandlung, bei der man zu hoch gepokert hat. Oder das Projekt, für das man hätte richtig kämpfen, ja sich reinhängen -sollen.

Und dann ist da noch das andere Bedauern – das des Zuviel-Tuns. Die Überstunden, die einen jede Woche ein Stück mehr erschöpft haben. Der Urlaub, der zu spät genommen wurde. Oder die Abende, an denen man den Laptop vor die Familie gestellt hat, in der Hoffnung, es „später“ wieder gutzumachen.

Von Gehalt bis Jobwahl: Das bereuen Arbeitnehmer weltweit am meisten

Wie weit verbreitet berufliche Reue oder den eingeschlagenen Karriereweg tatsächlich ist, zeigt eine Umfrage von Resume Now. Befragt wurden 1.000 Arbeitnehmer aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland, um die größten Reuepunkte im Berufsleben zu identifizieren. Die Ergebnisse sind aufschlussreich – und zeigen, dass viele von uns mit denselben Themen kämpfen:

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  • 66 % der Teilnehmer gaben an, mindestens eine berufliche Entscheidung zu bereuen.
  • 60 % bereuen, nie nach einer Gehaltserhöhung gefragt zu haben.
  • 59 % bedauern, der Work-Life-Balance keine Priorität eingeräumt zu haben.
  • 58 % wünschten, sie wären nicht so lange in einem unbefriedigenden Job geblieben.
  • Ebenfalls 58 % hätten beim Berufseinstieg gerne besser verhandelt.
  • 50 % bereuen sogar, den falschen Karriereweg eingeschlagen zu haben.

Anhand dieser Zahlen zeigt sich, dass Reue keine Randerscheinung ist – sie ist eher die Regel. Doch was genau steckt dahinter?

Wir bereuen im Job vor allem das, was wir nicht getan haben

Berufliche Reue lässt sich auf ein zentrales Muster zurückführen: verpasste Chancen. Es sind die Dinge, die wir nicht getan haben – aus Angst, Unsicherheit oder gar Bequemlichkeit. Die häufigsten Gründe sind:

  1. Nicht nach einer Gehaltserhöhung gefragt zu haben (60 %): Viele von uns zögern, über Geld mit Vorgesetzten zu sprechen. Die Angst vor Ablehnung oder das Gefühl, für mehr Gehalt nicht genug zu leisten, lässt uns schweigen.

  2. Der Work-Life-Balance keine Priorität eingeräumt zu haben (59 %): Wir arbeiten bis zur Erschöpfung, opfern Freizeit, Familie und Erholung für Deadlines und Projekte, die im rückblickend doch nicht so wichtig waren. Am Ende bleibt die Frage: Wofür?

  3. Zu lange in einem unglücklichen Job geblieben zu sein (58 %): Die vermeintliche Sicherheit eines festen Arbeitsplatzes und eines adäquaten Gehalts hält viele davon ab, den Sprung ins Unbekannte zu wagen. Doch meist wir merken zu spät, dass diese Sicherheit teuer erkauft wurde – mit unserer Zeit, unserer Energie und manchmal unserer Gesundheit.

  4. Keine Gehaltsverhandlungen schon beim Einstieg geführt zu haben (58 %): Vor allem Berufseinsteiger neigen dazu, sich unter Wert zu verkaufen – Hauptsache ich bekomme erst einmal den Job. Dieses anfängliche Bescheidenheit rächt sich aber über Jahre – Gehaltssprünge bleiben klein und unbedeutend. 

  5. Den falschen Karriereweg eingeschlagen zu haben (50 %): Jeder zweite Befragte hat das Gefühl, nicht den richtigen Beruf gewählt zu haben. Oft liegt das daran, dass die Jobentscheidung zu früh getroffen wurde – oder dass äußere Erwartungen z. B. des Elternhauses mehr Einfluss auf unsere Berufswahl hatten als die eigenen Interessen.

Wann erreicht berufliche Reue ihren Höhepunkt?

Besonders auffällig ist, dass Reue sich im Laufe des Berufslebens verändert. Laut der Umfrage erreicht sie ihren Höhepunkt in der Karrieremitte: 70 % der Millennials (geboren zwischen 1981 und 1996) und 69 % der Generation X (geboren zwischen 1965 und 1980) bereuen mindestens eine Entscheidung. Viele haben große Erwartungen an ihre Karriere – Sinn, Flexibilität, finanzieller Erfolg. Wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden, fehlt etwas. 

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Auch die Generation Z (geboren nach 1997) zeigt sich ehrgeizig, aber gleichzeitig pragmatisch: Zwei Drittel dieser Altersgruppe bereuen schon jetzt, der Work-Life-Balance zu wenig Raum gegeben zu haben – und setzen sich aktiv dafür ein, dass sich das ändert.

Wie fühlt sich berufliche Reue an?

Reue ist ein eher stiller Begleiter. Sie taucht in den Momenten auf, in denen wir zur Ruhe kommen. Vielleicht ist es dieses leise Ziehen in der Magengegend, wenn du an einen verpassten Jobwechsel denkst. Oder das Seufzen, das dich überkommt, wenn du an die letzte Gehaltserhöhung denkst. Die natürlich viel zu mager ausgefallen ist.

Manchmal ist Reue auch einfach ein Gefühl von Sehnsucht: nach einem Leben, das du nie gelebt hast, weil du dich nicht getraut hast, den ersten Schritt zu machen.

Was wir aus Reue lernen können

Die gute Nachricht: Reue muss kein ständiger Begleiter werden. Sie kann uns auch motivieren, Dinge anders zu machen – heute, nicht erst morgen. Denn Veränderung beginnt mit kleinen, aber konkreten Schritten. Hier sind einige Ansätze, wie du aus deiner Reue auch etwas Positives ziehen kannst:

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  • Hinterfrage regelmäßig deine beruflichen Entscheidungen: Bist du mit deinem aktuellen Job zufrieden? Fühlt sich deine Karriere für dich richtig an? Gehst du gern und motiviert zur Arbeit?

  • Lerne, für dich einzustehen: Egal, ob es um Gehalt, Arbeitszeit oder Entwicklungsmöglichkeiten geht – je besser du deinen Wert kennst, desto mehr wirst du für dich einstehen.

  • Trau dich, Risiken einzugehen: Laut der Studie bereuen mehr Menschen, in einem Job geblieben zu sein (58 %), als ihn gekündigt zu haben (38 %).

  • Setze klare Prioritäten: Was ist dir wirklich wichtig? Je mehr deine Entscheidungen mit deinen Werten übereinstimmen, desto weniger wirst du sie später hinterfragen.

Klar, Reue zu empfinden ist unbequem und tut manchmal weh, aber sie kann auch ein Geschenk sein. Sie zeigt uns, wo wir wachsen können, wo wir mutiger sein sollten und wo wir etwas ändern müssen.

Vielleicht ist es gerade jetzt an der Zeit, einen neuen Weg einzuschlagen. Einen Weg, bei dem du nicht länger sagst: „Was wäre gewesen, wenn?“ Denn eines ist sicher: Es ist nie zu spät, die Richtung zu ändern und aus Reue eine Chance zu machen.

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