Ein fester Händedruck, ein gewinnendes Lächeln und die Fähigkeit, scheinbar mühelos im Mittelpunkt zu stehen – Selbstdarsteller wissen genau, wie sie bei Bewerbungsgesprächen punkten. Personaler hingegen verlassen sich noch immer häufig auf ihr Bauchgefühl, ihre Intuition und jahrelange Erfahrung. Doch genau darin liegt ein gefährlicher Trugschluss, denn der erste Eindruck ist oft manipuliert und selten aussagekräftig.

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Der Mythos Menschenkenntnis

Personalauswahl ist eine Disziplin, die sich gern wissenschaftlich gibt – zumindest in der Theorie. Doch bei genauer Betrachtung, zeigt sich schnell: Objektivität wird zur Nebensache, wenn Personalverantwortliche ihre Entscheidungen auf eigene Menschenkenntnis stützen. Schätzungen zufolge sollen sogar 70 Prozent der Führungskräfte ihre Fähigkeit überschätzen, Charakter und Fähigkeiten eines Bewerbers intuitiv richtig einzuschätzen.

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Sympathie vs. Substanz

Was als Stärke wahrgenommen wird – Erfahrung und die Fähigkeit, Menschen zu „lesen“ – entpuppt sich im Nachhinein nicht selten als Schwäche. Denn charismatische Selbstdarsteller sind Meister darin, Emotionen zu wecken, Vertrauen aufzubauen und persönliche Verbindung zu simulieren. Sie präsentieren geschickt ihre vermeintlichen Erfolge, während weniger extrovertierte, aber vielleicht kompetentere Kandidaten im Schatten dieser bleiben.

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Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass Sympathie und Kompetenz Hand in Hand gehen. Unternehmen sollten daher stärker auf standardisierte Verfahren und klare Bewertungskriterien setzen, um die Gefahr subjektiver Fehlurteile zu reduzieren. Denn zu häufig basieren Einstellungen eben auf Sympathie statt auf harten Fakten aus Lebenslauf und Co. – ein Problem, das erst sichtbar wird, wenn die erhoffte Leistung später im Job ausbleibt.

Milliardenschwere Fehleinschätzungen

Wie gravierend die Folgen solcher Fehleinschätzungen unter anderem sein können, zeigen Zahlen des Gallup Engagement Index Deutschland 2023. Demnach fühlen sich nur 14?% der Beschäftigten stark mit ihrem Unternehmen verbunden, während 19?% innerlich gekündigt haben – der höchste Wert seit 2012. Diese mangelnde emotionale Bindung verursacht erhebliche Produktivitätsverluste, die sich jährlich auf 132,6 bis 167,2 Milliarden Euro summieren.

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Warum wir dem Bauchgefühl vertrauen

Doch warum halten Personalverantwortliche dennoch hartnäckig an ihrem Bauchgefühl fest? Ein Grund liegt in der menschlichen Natur: Wir vertrauen instinktiv unseren ersten Eindrücken und suchen im Vorstellungsgespräch unbewusst nach Bestätigung unserer Vorurteile. Dieses Phänomen, bekannt als „Confirmation Bias“, verleitet uns dazu, Fakten auszublenden, die unserer ersten Einschätzung widersprechen.

Dabei gibt es bewährte Methoden, um objektiver auszuwählen: strukturierte Interviews, Assessment Center, Arbeitsproben oder psychologische Eignungstests. Sie sind jedoch für kleinere Firmen zu aufwendig und zu bürokratisch. Dabei zeigt die Praxis, dass Unternehmen, die ihre Einstellungsverfahren professionalisieren, langfristig deutlich bessere Personalentscheidungen erzielen.

Der Schritt aus der Komfortzone

Personaler sollten daher ihre Komfortzone verlassen und sich selbst auch kritisch hinterfragen: Vertraue ich wirklich objektiven Kriterien, die für die zu besetzende Stelle notwendig sind – oder falle ich auf eine gut inszenierte Selbstdarstellung herein – oder lasse ich mich dazu verleiten? Denn wer Selbstdarstellern allzu bereitwillig die Tür öffnet, riskiert mehr als eine Fehlbesetzung: Er setzt seine Glaubwürdigkeit und letztlich den Erfolg des Unternehmens aufs Spiel. Also weniger dem Bauchgefühl und stärker den harten Fakten vertrauen – bevor aus Charisma eine teure Enttäuschung wird.

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