Deutschland steht still. Oder zumindest seine Arbeitnehmer. Der aktuelle Gallup Engagement Index 2024 zeigt: Noch nie haben so viele Beschäftigte in Deutschland Dienst nach Vorschrift gemacht – satte 78 Prozent. Die Zahl derjenigen, die sich emotional mit ihrem Job verbunden fühlen, ist auf ein Rekordtief von neun Prozent gesunken. Bedeutet das, dass Deutschland die Lust am Arbeiten verloren hat?
Dienst nach Vorschrift auf Rekordhoch
Immer weniger Menschen gehen mit Herzblut zur Arbeit. Sie tun, was nötig ist – aber nicht mehr. Kein Engagement, keine Leidenschaft, keine Identifikation mit dem Arbeitgeber. Während Politik und Wirtschaft über Fachkräftemangel und Produktivität klagen und diskutieren, hat sich eine weitere Krise ausgebreitet: Die emotionale Entfremdung der Arbeitnehmer von ihren Jobs.
Seit 2001 untersucht Gallup jährlich die emotionale Bindung von Arbeitnehmern an ihre Arbeitgeber. Die Ergebnisse der aktuellen Studie sind ernüchternd: Der Anteil der innerlich Gekündigten ist zwar leicht gesunken (von 19 auf 13 Prozent), aber das liegt nicht daran, dass sich mehr Menschen mit ihrer Arbeit identifizieren – sondern daran, dass immer mehr einfach nur noch das Nötigste tun.
Ein Symptom der Krise – und ihrer Lösungen
„Unternehmen haben es geschafft, innere Kündigung durch gezielte Maßnahmen zu reduzieren
– aber sie haben es nicht geschafft, Motivation zu wecken und zu stärken.“, sagt Marco Nink, Director of Research & Analytics bei Gallup EMEA. Was er damit meint: Unternehmen haben das völlige Abrutschen ihrer Mitarbeiter in die innere Kündigung verhindert – aber nicht, sie wirklich zu inspirieren oder zu begeistern. Das Resultat ist Dienst nach Vorschrift.
Dieser Rückgang der emotionalen Bindung hat natürlich Folgen. Eine geringe Mitarbeiterbindung führt nicht nur zu Produktivitätsverlusten, sondern auch zu steigender Fluktuation. Nur noch 50 Prozent der Beschäftigten wollen in einem Jahr noch bei ihrem aktuellen Arbeitgeber bleiben. Wer kann, wechselt – und zwar häufiger denn je: Ein Drittel der Befragten wurde in den letzten zwölf Monaten von Headhuntern umworben, ein Rekordwert.
Die Rolle der Führung: Zwischen Kontrolle und Inspiration
Der Vertrauensverlust in Führungskräfte ist eine der zentralen Erkenntnisse der Studie. Nur noch 21 Prozent der Arbeitnehmer vertrauen ihrem Vorgesetzten uneingeschränkt – ein Einbruch um 20 Prozentpunkte in den letzten fünf Jahren. Gleichzeitig hat sich gezeigt: Wer eine starke Führung erfährt, die auf Stärken und Wertschätzung setzt, bleibt motivierter und engagierter.
Lese-Tipp: Mitarbeiter verlassen keine Unternehmen, sondern Vorgesetzte
Gallup verweist auf eine einfache Rechnung: Unternehmen mit hoher Mitarbeiterbindung haben nicht nur eine um bis zu 18 Prozent höhere Produktivität, sondern auch deutlich weniger Krankheitsausfälle und geringere Fluktuation. Führung, so zeigt die Studie, muss sich mehr darauf konzentrieren, den Mitarbeitenden Sinn und Perspektiven zu geben – statt nur zu verhindern, dass sie innerlich kündigen.
Diese Entwicklung überrascht, denn Führung hat in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen. Viele Unternehmen versuchen, sich stärker an den Bedürfnissen der jungen Generation zu orientieren – dennoch scheint das Vertrauen in Vorgesetzte dramatisch zu sinken. Besonders bemerkenswert: Die Generation Z zeigt immer weniger Interesse an Führungspositionen.
52 % der Gen Z lehnen Führungsjobs ab
Beförderung? Nein, danke! Für viele in der Generation Z ist eine Führungsrolle eher Bürde als Karrierehighlight. Laut aktuellen Studien lehnen 52 Prozent der jungen Arbeitnehmer eine klassische Führungslaufbahn ab. Statt Verantwortung für andere zu übernehmen, wünschen sie sich mehr Selbstbestimmung, flache Hierarchien und Sinnhaftigkeit in ihrer Arbeit. Die klassische Vorstellung von Führung, in der Kontrolle und Autorität dominieren, wirkt auf viele abschreckend.
Arbeitsmarkt: Sicherheit schlägt Begeisterung
Angesichts der unsicheren Wirtschaftslage könnte man erwarten, dass Arbeitnehmer mehr an ihren Jobs hängen, da gerade in Deutschland viele Arbeitnehmer ein starkes Sicherheitsbedürfnis haben.
Doch dem ist nicht so: Das Vertrauen in die finanzielle Zukunft des eigenen Arbeitgebers ist auf 34 Prozent gesunken – so niedrig wie seit der Finanzkrise 2008 nicht mehr. Gleichzeitig sind 67 Prozent der Befragten weiterhin überzeugt, dass der Arbeitsmarkt für Wechselwillige gute Chancen bietet.
Die Wechselbereitschaft steigt also nicht nur, weil die Jobs keine emotionale Bindung mehr erzeugen, sondern weil Arbeitnehmer sich trotz aller Krisen in einer relativ starken Position wähnen. Während Unternehmen um Fachkräfte kämpfen, scheinen sich die Fachkräfte ihrer Marktmacht bewusst zu sein – und nutzen sie. Dabei zeichnet sich langsam die Abkehr vom Bewerbermarkt hin zum Arbeitgebermarkt ab.
Homeoffice: Mehr Freiheit, weniger Zusammenhalt?
Ein weiteres zentrales Thema der Untersuchung: Die Auswirkungen des Homeoffice. Während 79 Prozent der Beschäftigten angeben, im Homeoffice genauso produktiv oder sogar produktiver zu sein, zeigen sich Herausforderungen bei der Zusammenarbeit. 36 Prozent finden es schwierig, remote effektiv mit Kollegen zu arbeiten – eine drastische Zunahme gegenüber 2021 (6 Prozent).
Das Büro bleibt also wichtig – nicht unbedingt für die reine Arbeit, aber für Kreativität, Innovation und Teamgeist. Unternehmen, die auf hybride Modelle setzen, müssen daher mehr tun, um die informellen Netzwerke ihrer Mitarbeiter zu stärken.
Lese-Tipp: Homeoffice-Mitarbeiter werden seltener befördert
Deutschland braucht eine neue Führungskultur
Die Ergebnisse der Gallup-Studie sollten als eine Art Weckruf verstanden werden. Dienst nach Vorschrift zu machen, ist kein Zeichen von Faulheit oder das es Beschäftigten womöglich zu gut geht – sondern ein Symptom einer Arbeitswelt, die es zunehmend versäumt, Menschen emotional abzuholen. Während wirtschaftliche Unsicherheiten und Transformationen den Arbeitsmarkt prägen, brauchen Unternehmen eine neue Führungskultur, die nicht nur verhindert, dass Menschen frustriert abspringen, sondern sie motiviert, sich wieder mit ihrer Arbeit zu identifizieren.
Denn wenn drei Viertel aller Beschäftigten nur noch das Nötigste tun, ist das nicht nur ein Problem für einzelne Unternehmen – sondern für das gesamte Land.