Wenn sich in einem Unternehmen das Gefühl breitmacht, dass das Team stagniert – dass Talente ihre Potenziale nicht ausschöpfen, Fortbildungen als lästige Pflicht statt als Chance empfunden werden und Mitarbeiter Jahr für Jahr auf denselben Positionen mit denselben Routinen verharren –, ist es an der Zeit, einen kritischen Blick auf die Führung zu werfen.
Nicht selten wird in solchen Fällen schnell mit den Fingern auf „fehlenden Ehrgeiz“, „mangelnde Eigenverantwortung“ oder „eine Generation ohne Biss“ gezeigt. Doch dieses Narrativ greift zu kurz. Wenn Mitarbeitende sich nicht weiterentwickeln, ist das nicht nur ihr Problem – es ist ein Führungsversäumnis.
Wenn Führung sich rauszieht, bleibt Entwicklung auf der Strecke
Es klingt modern, agil und auf Augenhöhe: Führungskräfte, die ihren Mitarbeitern sagen, dass sie „ihre Entwicklung selbst in die Hand nehmen“ sollen. Weiterbildung als individuelle Verantwortung, Selbstmotivation als Grundvoraussetzung. In der Theorie klingt das ja alles gut. In der Praxis jedoch führt es häufig zu Frustration, Orientierungslosigkeit und letztendlich zum innerem Rückzug.
Denn während der Appell zur Eigenverantwortung schnell ausgesprochen ist, fehlt es oft an einem entscheidenden Gegenstück: einem klaren, transparenten und realistisch erreichbaren Karrierepfad innerhalb des Unternehmens. Mitarbeitende brauchen nicht nur die Erlaubnis, sich weiterzuentwickeln – sie brauchen eine Vision, einen Rahmen und echte Begleitung.
Karriereplanung ist Führungsarbeit
Ein Unternehmen ist kein Selbstbedienungsladen, in dem sich jede*r nach Lust und Laune Weiterbildungsangebote zusammenstellt. Es ist ein Organismus mit Strukturen, Erwartungen und Zielsetzungen – und genau deshalb braucht es Führung, die individuelle Entwicklung mit unternehmerischen Bedürfnissen verbindet.
Führungskräfte sind gefragt, gemeinsam mit ihren Mitarbeitenden einen Entwicklungspfad zu definieren, der drei Fragen beantwortet:
Wo kannst du in diesem Unternehmen hinwachsen – fachlich, persönlich, hierarchisch?
Was brauchst du dafür – an Fähigkeiten, Erfahrungen, Haltung?
Wie werde ich dich auf diesem Weg konkret unterstützen?
Diese Fragen sind keine einmalige Sache, sondern Teil einer fortlaufenden, reflektierenden Kommunikation. Und ja: Sie sind anspruchsvoll. Sie verlangen von Führungskräften mehr als gute Rhetorik – nämlich Interesse, Zeit, Weitblick und den Willen, in Menschen zu investieren, auch wenn die kurzfristige Rendite nicht sofort sichtbar ist.
Tipp: Du willst, dass dein Team wächst? Dann arbeite zuerst an dir
Psychologische Sicherheit als Grundlage
Studien zeigen, dass Mitarbeitende nur dann bereit sind, Risiken einzugehen – und damit ist persönliche und berufliche Entwicklung immer verbunden –, wenn sie sich psychologisch sicher fühlen. Psychologische Sicherheit bedeutet:
Mitarbeitende sollten weder Abwertung noch Scham oder Karrierenachteile fürchten müssen – selbst wenn sie Fehler machen oder unbequeme Fragen stellen.
Wenn ein Unternehmen diese Sicherheit nicht bietet, verkümmert das Entwicklungspotenzial selbst hochqualifizierter Mitarbeitender. Dann bleibt man lieber dort, wo man sich auskennt – im „Kompetenzkreis“, wie es die Psychologie nennt –, anstatt den „Entwicklungsraum“ zu betreten. Was nach fehlender Motivation aussieht, ist oft schlicht ein Mangel an echtem Vertrauen.
Was also tun?
1. Entwicklungsgespräche strukturieren: Weg vom reinen „Mitarbeitergespräch“, hin zu echten Dialogen über Wünsche, Ziele und Ängste. Am besten halbjährlich, mit klarer Vorbereitung auf beiden Seiten.
2. Transparenz schaffen: Wer kann im Unternehmen welche Rollen übernehmen? Welche Anforderungen gelten – und wer entscheidet darüber?
3. Weiterbildung strategisch fördern: Statt individueller Schnellschüsse braucht es ein auf das Unternehmen abgestimmtes Weiterbildungsprogramm mit echten Entwicklungspfaden.
4. Vorleben statt fordern: Führungskräfte sollten selbst Lernprozesse durchlaufen, Feedback einholen und zeigen, dass persönliche Entwicklung kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke ist.
Stillstand im Team ist oft ein Spiegel der Führung
Mitarbeitende, die sich nicht weiterentwickeln, signalisieren nicht zwingend Desinteresse. Oft spiegeln sie eine Führungsriege, die selbst nicht weiß, wohin sie will – oder keine konkreten Strukturen bietet, um mitzuwachsen. Führung bedeutet in diesem Kontext nicht, die Richtung vorzuschreiben, sondern Räume zu öffnen. Für Entwicklung, für Entfaltung, für gemeinsame Zukunft.
Wer kluge, engagierte Menschen im Team hat, aber keine Ideen, wie diese Menschen wachsen können, wird früher oder später feststellen: Nicht die Mitarbeiter sind das Problem – sondern die Perspektivlosigkeit, die ihnen geboten wird. Und dafür trägt niemand sonst Verantwortung als die Führung selbst.