Bedeutungslos zu sein, ist eine Angst von Führungskräften. Ein schonungsloser Blick auf das Tabuthema Angst und Führung.

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Die Wahrheit ist: Zum Menschsein gehört dazu, Bammel zu haben. Sich in die Hosen zu machen. Nachts nicht schlafen zu können. Einen trockenen Mund vor einer Präsentation zu haben. Alles, was Führungskräfte bestimmt nicht haben. Oder?

Sie wirken souverän. Aber auch Führungskräfte haben Ängste. Versagensängste und Angst vor dem, was ungewiss ist, sind laut Gabi Harding, Arbeits- und Organisationspsychologin, die Ängste, mit denen Menschen in Führungsposition leben. Sie hätten außerdem auch existenzielle Ängste. Selten ausgesprochene und leider auch zu wenig untersuchte, tabuisierte Worte, die den Mythos der angstlosen Führungskräfte endlich knacken. Denn auch Machtmenschen sind Menschen und leben mit Ängsten.

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Es klingt fast wie ein Märchen. Für Mitarbeiter sind es die Führungskräfte, die machtvoll und furchtlos wirken, die eine solche Wirkung haben, dass man selbst vor ihnen Angst haben müsste. Dabei wird häufig ausgeblendet, dass vor allem Menschen in hohen Positionen sich furchtlos zeigen, nicht, weil sie es wirklich sind, sondern wegen der gesellschaftlichen Norm. Denn Chefs dürfen nicht ängstlich sein – das passt nicht. In Wahrheit haben sie jedoch tiefere Ängste, als die meisten von uns annehmen würden. Tief verwurzelt sei vor allem eine Angst, so Harding: die Angst, bedeutungslos zu sein.

Schamgefühle und Ängste lassen sich nicht gut mit Führung verbinden

Weil es schwierig sei, Emotionen wie Scham und Angst im gleichen Atemzug wie beispielsweise „zielorientiert“ zu nennen, sei es verständlich, so Psychoanalytiker Dr. Marius Neukom, sie ausschalten zu wollen. Das Problem sei aber der Preis, den wir dafür zahlen. Denn die Gefühle wirken weiter, so Neukom, aber es folge eine Unterordnung dieser, weil der Fokus eher auf Erfolg und Leistung liege. Der Blick für den emotionalen Preis ginge verloren. Es sei wichtig, dass Angstgefühle Platz in der Unternehmenskultur finden. Nur Vorgesetzte, die im Umgang mit der eigenen Angst nicht blind seien, könnten auch ihren Mitarbeitern die Ängste nehmen.

Warum fällt es schwer, Führungskräfte und Angst miteinander zu verbinden?

Gesundheitsängste seien Ängste, die soziale Anerkennung genießen, so Harding. Deshalb fiele es Managern beispielsweise leicht, über die Sorge zu sprechen, dass sie zu viel rauchen würden. Die Wissenschaftlerin hat im Rahmen ihrer Promotion Topmanager interviewt und die Ängste der Machtmenschen untersucht.

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Anders sieht es bei den Ängsten aus, die keine Gesundheitsängste sind und die auf Managerebene einfach nicht gerne thematisiert oder gar ausgesprochen werden: die Angst, vielleicht irgendwann zu versagen. Die Angst, die man empfindet, wenn man an die Konkurrenz denkt.

Dass Ängste auf Führungsebene noch immer nicht genügend Raum haben, ist eine Herausforderung. Aber Angst im mittleren Ausmaß könne sogar positiven Einfluss auf Entscheidungen haben, sagt Harding. Wird das Thema zum Tabu gemacht, seien Unternehmen beispielsweise eher dem Risiko ausgesetzt, übereilte Entscheidungen zu treffen.

Was verbirgt sich hinter der Angst der Bedeutungslosigkeit?

Angst davor, bedeutungslos zu sein, gehört seit jeher zu den Ängsten, die besonders bedrohlich auf Menschen wirken. Wir alle suchen nach einem Existenzsinn. Vor allem in einer leistungsorientierten Gesellschaft wird Bedeutung jedoch an Erfolg und Leistung gemessen. Psychologin Harding: Eine Führungsrolle könne diese Art von Angst zunächst stoppen. Es verwundert deshalb nicht, dass Machtstreben oft auch einer besonders emotionalen Komponente folgt. Je mehr wir davon besitzen, das nehmen wir an, desto besser.

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Der Grund: Wer Führungskraft wird, genießt eine Position, die sich von denen der „normalen“ Mitarbeiter und Menschen unterscheidet. Manager zu sein, bedeutet beispielsweise Aufmerksamkeit, viel Verantwortung, viel Macht. Es hat etwas, was unsere Identität maßgeblich beeinflusst. Die Bedeutung unserer Person nimmt zu.

Es gelingt uns – zumindest glauben wir das – das Problem der Bedeutungslosigkeit zu lösen. Die Wahrheit ist aber: Die Angst ist nicht einfach verschwunden, denn sie wird höchstens durch andere Ängste „eingetauscht“, weil Sorgen und Ängste zu jeder Aufgabe und Rolle mit wachsender Verantwortung dazugehören. Jeder Mensch kämpft mit Ängsten, weil sie gewissermaßen, wenn sie nicht irrational werden, auch Antriebsmotor sein können. Sie zu verdrängen, ist deshalb sowohl für Mitarbeiter als auch für Führungskräfte kontraproduktiv.

Was mit Seele und Körper passiert, wenn wir Gefühle nicht spüren wollen

Es mag gewissermaßen zum Ruf von Topmanagern gehören, dass diese furchtlos ihren Weg gehen, alles unter Kontrolle haben und ihrem Umfeld vorleben, wie Erfolg funktionieren kann. Vielleicht ist es aber auch ein verklärter, idealisierter Blick auf die Tugenden Tapferkeit und Mut, die oft als das Gegenteil von Angst angesehen werden: Muss Mut immer bedeuten, keine Ängste haben zu dürfen und alles tapfer „unterdrücken“ zu müssen und durchzustehen?

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Vor allem: Was macht es mit der menschlichen Psyche, Ängste zu unterdrücken? Es ist wie mit vielen Gefühlen, denn der Preis ist hoch. Viele psychische Erkrankungen gehen damit einher, nicht über das eigene Innenleben sprechen zu können. Es tut manchmal zu weh, um hinzuschauen.

Wer jedoch ständig ein Tuch auf menschliche, natürliche Gefühle und Emotionen legt und versucht, diese nicht zu spüren, sie abzutöten, schädigt die eigene Seele und den Körper nach und nach. Es ist kein Geheimnis, dass das, was nach innen geht, destruktiv wirkt, uns krank macht, chronischen Stress verursacht. Das, was Menschen in Machtposition oft als „Stress“ oder „Druck“ abtun, ist nichts anderes, als die Angst vor dem Versagen, die Angst, den Erwartungen anderer nicht gerecht werden zu können, das Gesicht zu verlieren, einen Imageschaden zu erleiden; und schließlich ist es doch wieder die Angst, bedeutungslos zu werden.

Wie können Führungskräfte Angst ansprechen?

Gefühle zu zeigen, müsse vor allen in einem dafür angebrachten Rahmen passieren, so Psychologe Neukom. Denn oft ist es so, dass mit dem Offenbaren von Ängsten auch die Angst einhergeht, an Autorität zu verlieren. Chef bleiben und glaubwürdig sein – das können wir jedoch weiterhin, wenn wir adäquat reagieren. Heißt, nicht unkontrolliert und impulsiv. Wichtig ist, sich selbst zunächst Zeit zu nehmen, eine passende Situation zu finden und Gefühle zu beschreiben, anstatt Mitarbeiter plötzlich zu überfallen. So kann es gelingen, offen mit Ängsten umzugehen und das Vertrauen sogar zu intensivieren.

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Angst und Führung: Wie kann es grundsätzlich gelingen, das Tabu zu brechen?

Der offene Umgang mit Ängsten wird in unserer Leistungsgesellschaft auch weiterhin ein Problem sein, bis nicht die, die sich in hohen Positionen befinden, den Mut aufbringen, die Illusion des angstlosen Bosses abzulegen und die, die den Machtmenschen idealisieren, aufhören, ihm schier göttliche, furchteinflößende Eigenschaften zuzuschreiben.

Anzuerkennen, dass Führungskräfte auch als Menschen mit menschlichen Emotionen geboren werden, ist auch ein gesellschaftlich wichtiger Schritt, um sich dem Tabuthema Angst und Führung anzunähern.

Ein weiterer ist, sich selbst zu reflektieren. Denn auch hier fehlt oft die Bereitschaft: Viele Führungskräfte streben ein Ideal an, das zwar nachvollziehbar, aber keinesfalls gesund sein kann. Dass wir heute offener über Gefühle sprechen können, sollte deshalb auch auf Führungsebene zum Thema werden. Vor allem auch, weil empathische, authentische Vorgesetzte existieren, die bereits vormachen, wie es funktionieren kann – und die zeigen, dass Angst und Führung sich nicht ausschließen.

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Im Gegenteil: Gute Führung kann oft gar nicht funktionieren, wenn wir so tun, als hätten wir keine Ängste, als wären wir nicht menschlich. Wer dazu steht, beweist Authentizität und öffnet die Pforte auch für Mitarbeiter, sich authentisch zu zeigen.

Bildnachweis: Foto von Paolo Bendandi/Unsplash

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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