Sie loben dich heute in den Himmel und morgen lassen sie dich wie eine heiße Kartoffel fallen. Sie sind mal kumpelhaft, mal eiskalt. Ihre Tür ist immer offen, aber ihre Meinung wechselt täglich. Ambivalente Chefs sind das Chamäleon unter den Führungskräften. Und sie richten im Team und im Unternehmen mehr Schaden an, als ihnen bewusst ist.
Was sind ambivalente Chefs eigentlich?
Ambivalente Chefs sind keine Tyrannen. Sie sind auch keine schlechten Menschen. Das macht sie so tückisch. Sie senden widersprüchliche Signale: Mal geben sie dir das Gefühl, dass du zur Elite des Unternehmens gehörst. Dann wieder behandeln sie dich wie einen Bittsteller. Ihr Verhalten ist schwer zu deuten – und genau das ist das Problem.
Ambivalenz ist dabei kein bloßer Stimmungswechsel. Es ist ein Kommunikationsmuster, das Mitarbeitende in einen emotionalen Schleudergang versetzt. Die Beziehung wirkt auf den ersten Blick intakt, doch sie ist durchzogen von subtilen Widersprüchen:
- Ein Lächeln, das nicht zu den Worten passt.
- Ein Lob, dem nie eine Chance folgt.
- Oder eine Mahnung, die gleichzeitig als Kompliment getarnt ist.
Woher kommt dieses Führungsverhalten?
Die Wissenschaft hat dafür einen Namen: LMX-Ambivalenz. Die Studie von Allan Lee und Kollegen (Journal of Management, 2019) beschreibt diesen Zustand als „gleichzeitige positive und negative Gedanken über die Beziehung zur Führungskraft“. Es geht also nicht um schlechte oder gute Beziehungen, sondern um widersprüchliche.
Der Clou: Solche Beziehungen beeinflussen die Leistung negativ. Wer ständig rätselt, wie der Chef wohl heute drauf ist, verliert Energie, Fokus und Selbstvertrauen. Ambivalenz erzeugt emotionalen Stress und der macht uns langsamer, schlechter, kränker. Besonders fatal: Selbst High Performer werden so in die Mittelmaß gedrückt, weil sie mehr mit psychologischer Navigation als mit ihren Aufgaben beschäftigt sind.
Wie zeigt sich Ambivalenz im Berufsalltag?
- In Meetings: Montag noch Schulterklopfen, Mittwoch dann öffentliche Bloßstellung vor versammelter Mannschaft.
- Im Feedback: „Große Fortschritte, aber…“ – und dann kommt die Abrissbirne.
- In der Kommunikation: Mal sofort per WhatsApp, dann tagelang Funkstille.
Oder schlimmer: Ein Chefin, die auf Slack und Co. Witze reißt und im 1:1-Gespräch eiskalt KPI-Zahlen und Rechenschaft einfordert. Eine Chef, die beim Afterwork-Bier vertraulich spricht und dir am nächsten Morgen in der Runde das Wort harsch abschneidet. Diese Diskrepanz zwischen Nähe und Distanz, zwischen Freund und Kontrollinstanz, sorgt für ständige Unsicherheit.
Diese Unberechenbarkeit macht Mitarbeitende natürlich misstrauisch. Sie trauen sich weniger, werden passiv, verlieren das Vertrauen in ihre eigene Wirkung. Oder sie drehen in den Dauer-Analyse-Modus:
- „War das jetzt ironisch gemeint?“
- „Ist sie sauer?“
- „Was bedeutet das plötzliche Meeting?“
Die Energie, die dabei verpufft, fehlt dann zwangsläufig bei der eigentlichen Arbeit.
Warum ist das gefährlich für Unternehmen?
Weil Teams, die auf der Hut sein müssen, nicht kreativ sind. Weil Loyalität nicht aus Angst, sondern aus Vertrauen entsteht. Und weil die Besten gehen – während die Verunsicherten bleiben.
Lese-Tipp: Kündigt ein High Performer, folgen 2 weitere Kollegen
Die LMX-Studie zeigt: Ambivalente Führung senkt die Performance – auch dann, wenn die grundsätzliche Beziehungsqualität hoch ist. Entscheidend ist nicht nur, wie gut oder schlecht eine Beziehung ist, sondern wie widersprüchlich sie empfunden wird. Erst wer soziale Unterstützung durch Kollegen oder das Unternehmen erfährt, kann den negativen Effekt abfedern. Die psychologische Sicherheit im Team wirkt dann wie ein Airbag gegen emotionale Schlenker der Führung.
Was können Unternehmen tun?
- Ambivalenz ist oft unbewusst. Feedback aus dem Team kann helfen. Ein anonymes 360°-Feedback offenbart oft blinde Flecken.
- Regelmäßige, transparente Kommunikation statt Stimmungsschwankungen. Entscheidungen sollten begründet und nachvollziehbar sein.
- Führung lernen heißt auch: sich selbst erkennen. Professionelles Coaching hilft, Ambivalenz-Muster zu durchbrechen.
- Ein gutes Teamklima puffert Ambivalenz ab. Kollegiale Beratung, Mentoring-Programme oder eine starke HR-Abteilung können hier stabilisieren.
Und was, wenn mein Chef so tickt?
Dann hilft nur: Abstand wahren, Signale nicht überinterpretieren – und sich ein internes Unterstützungsnetzwerk bauen. Nicht jede Stimmung muss bis ins kleinste Detail analysiert werden, nicht jede Laune ist deine Verantwortung. Such dir Vertraute, reflektiere Erlebnisse mit anderen Kollegen und halte deinen Selbstwert stabil.
Und falls du selbst führst: Wie vorhersehbar bin ich für meine Mitarbeitenden? Bin ich jemand, dessen Reaktionen nachvollziehbar sind oder schwankt mein Tonfall je nach Tagesform? Bin ich ein Chef, auf den man bauen kann oder einer, bei dem jedes Meeting eine Überraschung wird?
Ambivalente Chefs sind keine Monster. Aber sie sind ein Risiko. Für Leistung, Gesundheit und die Kultur im Unternehmen Wer das erkennt, kann gegensteuern. Wer es ignoriert, riskiert das Vertrauen derer, die den Laden am Laufen halten.