Kollegen beim Chef anschwärzen – eine Handlung, die wir zumeist entweder gutheißen oder verabscheuen. Wann petzen okay und wann nicht.

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Wäre Immanuel Kant am Leben, hätte er auf die Frage, ob man petzen soll oder nicht, mit einer Gegenfrage geantwortet: Ist das Petzen eine Maxime, von der wir uns wünschen, dass sie zum allgemeingültigen Gesetz wird? Moralphilosophische Lehren haben uns zweifelsohne viele Werkzeuge an die Hand gegeben, um große und kleine Entscheidungen zu treffen.

Aber Kants Theorien mal beiseite: Beim Petzen ist es für die meisten von uns nicht einfach, die Frage, ob man es tun oder lassen soll, korrekt zu beantworten. Wie sollen wir entscheiden, ob wir unsere Kollegen beim Boss verpetzen sollten? Ist es verantwortungsvoll? Oder ist es Verrat?

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Kollegen verpetzen: Es kommt auf den Fall an

Psychologen der University of Virginia sollen in einem Experiment bewiesen haben, dass Kinder sich eher dafür entscheiden, jemanden zu verpetzen, wenn ein direkter Schaden oder eine Ungerechtigkeit ersichtlich wird, die eine Person betrifft. Würde man das Essen eines Mitschülers wegessen, wäre damit zu rechnen, dass jemand diese Tat bei einer Autoritätsperson melden und den Schüler verpetzen würde. Bereits im zarten Alter von drei Jahren sollen Kinder so ihren Sinn für soziale Gerechtigkeit und Normen entwickeln, die das Zusammenleben ermöglichen.

Das Beispiel zeigt, dass die Frage nicht einfach bejaht oder verneint werden kann. Viel wichtiger ist das Handlungsmotiv: Warum petzen wir?

Juristen würden wohl von „niederen Beweggründen“ sprechen, wenn es sich um Motive handelt, die etwa aus hemmungslosem Egoismus heraus entstehen, um sich selbst Vorteile zu verschaffen. Ist der Antrieb hingegen das eigene Verantwortungsbewusstsein dem Team oder dem Unternehmen gegenüber, sieht alles schon wieder ganz anders aus. Werfen wir einen genaueren Blick auf mögliche Motive.

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Das sind mögliche Motive fürs Verpetzen von Kollegen

#1: Neid

Deine Kollegin ist ein Organisationstalent und dein Kollege berühmt für seine Wortgewandtheit? Manchmal ist es der Neid, der uns antreibt, wenn wir jemanden beim Boss verpfeifen. Oder jemand anderes schwärzt dich aus Neid heraus bei den Vorgesetzten an.

Keine nette Handlung, aber eine psychologisch nachvollziehbare: Wer neidisch ist und damit nicht besser umgehen kann, wird keine Gelegenheit auslassen, ein Licht auf Misserfolge oder Fehler anderer Personen zu werfen, um sich selbst besser zu fühlen.

Lese-Tipp: Othello Boss Syndrome: Warum neidische Chefs ihre Mitarbeiter sabotieren

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#2: Beim Chef punkten

In der Kindheit waren es die Eltern, deren Anerkennung, Akzeptanz und Bewunderung wir wollten. Im Arbeitsleben sind es oft unsere Vorgesetzten, die wir beeindrucken möchten. Das Muster zieht sich häufig durch. Auch das ist ein Grund, ganz genau auf die Finger der anderen zu schauen und nach Fehlverhalten zu suchen, um dieses verpetzen zu können.

Gut zu wissen: Petzen beim Boss kommt nicht immer gut an, auch wenn wir das glauben. Denn es kann auch als Zeichen dafür gedeutet werden, dass man nicht vertrauenswürdig ist. Die fehlende Loyalität dem Team gegenüber kann ein Grund dafür sein, dass wir keine größeren Aufgaben übernehmen dürfen oder ein Karriereaufstieg noch weiter in die Ferne rückt.

#3: Verantwortung dem Team und Unternehmen gegenüber

Ihr habt jemanden im Team, der das Projekt oder gar den Unternehmenserfolg durch Unehrlichkeit, falsche Angaben bei Kunden oder Rufschädigung in Gefahr bringt? Häufig sind es nicht unsere Vorgesetzten, sondern wir selbst, die das Verhalten solcher Kollegen und Kolleginnen live mitbekommen. In solchen Fällen ist es fast unabdingbar, potenzielle Gefahren zu melden – auch wenn wir dann als Petze abgestempelt werden. Es geht um die Verantwortung dem Team, sich selbst und dem Unternehmen gegenüber.

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Auch unaufgeklärte Fälle im Büro, etwa wenn Diebstahl stattgefunden hat, sind heikel. Wer den Täter oder die Täterin kennt, sollte damit nicht hinterm Berg halten und beim Aufklären helfen. Sofern jedoch körperliche oder mentale Gefahr von einem Teamkollegen ausgeht, hilft es, anonyme Hinweise abzugeben, um sich selbst zu schützen.

Wenn das Handlungsmotiv hinter dem Verpetzen also eines ist, das den Kollegen, dem Team und dem Unternehmen wirklich hilft und größere Schäden verhindert, wird es gutgeheißen.

#4: Ungerechtigkeit

Du beobachtest, dass jemand deine Lorbeeren oder die eines anderen Kollegen beim Chef einheimst? Die gängigste Reaktion auf ein solches Verhalten ist Wut und der Versuch, den Einheimsenden zur Vernunft und Verantwortung zu bewegen. Weil unser Sinn für Gerechtigkeit getriggert wird. Wenn das nicht funktioniert, bleibt der Schritt, das Verhalten zu melden.

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Tipp: Solltest du in einer solchen Situation landen, empfehlen wir, sachlich zu bleiben, wenn du den Vorfall bei deinem Chef schilderst. Gerne kannst du, um deine Glaubwürdigkeit zu unterstreichen, um ein gemeinsames Gespräch mit allen bitten und direkt beteiligte Teamkollegen mit ins Boot holen.

Lese-Tipp: Wutkontrolle: Wie ihr euch weniger über Kollegen, Kunden & den Chef aufregt

#5: Von der eigenen Schuld ablenken

Ein Kollege, mit dem du gemeinsam Kunden betreust, hat es so richtig verbockt: Er hat das Kundenanliegen vergessen, falsche Unterlagen losgeschickt oder sich unmöglich verhalten und so einen Kunden vergrault. Um von sich abzulenken und die Schuld von sich zu weisen, sucht dieser Kollege nun das Gespräch mit dem Chef – und erzählt, dass das, was geschehen ist, im Grunde in deinen Verantwortungsbereich fällt.

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Ganz schön frech, aber auch clever: Wer andere verpetzt, um die Schuld von sich zu schieben, handelt taktisch klug – aber nur kurzfristig. Das Verhalten zeigt die Verantwortungslosigkeit dieser Person und somit die berühmten „niederen Beweggründe“, sodass das Vertrauen verloren geht.

Whistleblower: Die „guten“ Petzen

Manchmal ist es von großer Bedeutung, Informationen nicht zurückzuhalten. Ein Extrembeispiel ist das Whistleblowing, welches auch mal mit zivilem Ungehorsam einhergeht. Das wohl berühmteste Whistleblower-Beispiel unserer Zeit ist Edward Snowden: Die globale Überwachungs- und Spionageaffäre zeigt eindrucksvoll, dass es manchmal einem höheren Zweck dienen kann, auf Missstände hinzuweisen und die Rolle der Petze oder des Verräters zu akzeptieren, weil man verfolgt wird. Es zeigt auch, dass es Mut kostet, diese Rolle einzunehmen und damit zu leben.

Auch Arbeitnehmer haben die Möglichkeit, Missstände, Fehlverhalten und ähnliches zu melden, wenn es zum Beispiel eine Art Hinweisgeber-Programm im Unternehmen gibt. In größeren Unternehmen, vor allem in den USA, existieren hierfür die sogenannten Compliance-Beauftragten, an die man sich wenden kann. Sie kümmern sich darum, ethische Bestimmungen und regulatorische sowie gesetzliche Vorgaben auf ihre Einhaltung hin zu überprüfen.

Wann du unbedingt „petzen“ solltest

Auch wenn Petzen nicht den allerbesten Ruf genießen, werden wir selbst auch in Situationen kommen, in denen unser Handeln gefragt sein wird. Denn Arbeitgeber vertrauen darauf, dass Arbeitnehmer loyal sind und Verhaltensauffälligkeiten, welche dem Unternehmen grundsätzlich schaden, dem Chef selbst aber entgehen, melden. Das können falsche Behauptungen in sozialen Netzwerken sein. Aber auch Mobbing von Minderheiten im Unternehmen, Diskriminierung, Diebstahl sowie vorsätzliche Handlungen, die Kollegen oder der Firma schaden.

Und was ist, wenn ich selbst verpetzt werde?

Gibt es Kollegen oder Kolleginnen, die dich für einen Patzer verpetzt haben? Fehler passieren jedem: Wenn du nicht mit Vorsatz gehandelt hast, kannst du das offen kommunizieren und die Verantwortung übernehmen, aber auch deutlich machen, dass es nicht beabsichtigt war.

Manchmal ist es jedoch so, dass uns eine Ungerechtigkeit widerfährt, weil neidische oder gehässige Kolleginnen und Kollegen einen Grund suchen, um uns zu verpfeifen. Versuche, ruhig zu bleiben – und schildere deinem Chef deine Sicht der Dinge sachlich und klar, wenn du für etwas beschuldigt wirst. Damit hat es sich oft schon erledigt.

Merke dir: Das Verhalten deiner Kollegen hat wenig mit dir zu tun und es könnte auch jemanden anderes treffen. Wenn du dich korrekt verhalten hast, gibt es keinen Grund, an dir und deinen Handlungen zu zweifeln.

Bildnachweis: Portra/istockphoto.com
Dieser Artikel erschien bereits im November 2022 und wurde nun aktualisiert.

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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