Kinder würden zu häufig verwöhnt werden und zu leistungsschwachen Menschen herangezogen – so der Erziehungswissenschaftler Dr. Albert Wunsch. Die Diskussion über moderne Erziehungsmethoden bietet viel Zündstoff.

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Vor etwa 40 bis 50 Jahren war ein autoritärer Erziehungsstil keine Seltenheit, sondern Normalität. Gewalt, Strafen und strenge Regeln inklusive. Ein moderner Erziehungsstil hat jedoch in vielen Haushalten Einzug gefunden. Darunter verstehen wir, dass Werte wie Toleranz, Selbstverwirklichung und Entscheidungsfreiheit gefördert werden.

Für viele Eltern ist die Kindererziehung heute ein wichtiges Anliegen. Dadurch bekommen Kinder viel Aufmerksamkeit. Zu viel – findet zumindest Autor und Erziehungswissenschaftler Dr. Albert Wunsch. Er sieht die moderne Erziehung kritisch. Der studierte Sozialpädagoge, welcher bereits mit einem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde, befürchtet Abhängigkeit, Hilflosigkeit und Unfähigkeit bei den heutigen Kindern.

Verwöhnung ist laut Wunsch das zentrale Erziehungsproblem

Wer seinen Kindern jede Aufgabe abnehmen und sämtliche Unannehmlichkeiten aus dem Weg räumen würde, verwöhne die Kleinsten, so Wunsch. Die Gefahren sind demnach vielfältig:

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  • Kinder würden so keine Konfliktfähigkeit erlernen.
  • Eltern würden durch ihr verwöhnendes Handeln nicht „selbstlos“ agieren, sondern Konflikte mit den eigenen Kindern eher vermeiden.
  • Schon von klein an würde Kindern keine Chance gegeben werden, Eigenverantwortlichkeit für das spätere Leben zu erlernen.
  • Eltern würden an Klarheit verlieren und ebenfalls an Autorität.
  • Die Persönlichkeitsbildung als auch die Willensbildung der Kleinsten würde gestört werden.

Wunsch betont zudem, dass Kinder durch zu viel Aufmerksamkeit ein überhöhtes Selbstbewusstsein haben würden und wenig belastbar wären. Sie hätten zudem kaum Durchhaltevermögen und würden heute schnell zu „Jammergestalten“ werden.

Was stimmt – und was nicht?

Kinder würden laut Wunsch klare Orientierung, Regeln sowie Grenzen benötigen. So könnten Eltern dazu beitragen, dass ihr Nachwuchs eigenständig und verantwortungsbewusst wird.

Dass moderne Eltern mit modernen Erziehungsmethoden Wunschs Äußerungen nicht unbedingt zustimmen, ist verständlich: Sie möchten die Eltern-Kind-Beziehung nicht durch einen strengen Erziehungsstil gefährden. Wer seine Kinder zum Beispiel mit Konsequenzen straft oder fälschlicherweise darunter versteht, mit Liebesentzug drohen zu müssen, kann die Persönlichkeitsbildung des Kindes ebenso gefährden.

Was deutlich wird: Die Balance zwischen konservativer Strenge und moderner Unterstützung zu finden, ist für Eltern kein einfaches Unterfangen. Ob Pädagoge Wunsch mit seiner Einschätzung richtig liegt, wurde im Netz immer wieder diskutiert. Wie dieser in einem Gespräch mit dem „Spiegel“ mitteilt, gibt es für seine Entwicklungseinschätzung keine spezielle Studie.

Auch Psychologe teilt die Meinung

Ähnlich aufsehenerregend sind die Thesen des studierten Psychologen und Autors Rüdiger Maas. Er befürchtet eine „unfähige“ Generation. Eltern würden ihren Kindern Aufgaben abnehmen, um seines Erachtens ihr eigenes Sicherheitsbedürfnis zu stillen. Betont wird, dass der Nachwuchs sich auf diese Weise gar nicht erst mit Problemen beschäftigen müsste – denn diese wären bereits beseitigt worden.

Der Autor thematisiert die hieraus fehlenden Bewältigungsstrategien. Aus psychologischer Sicht geht es vor allem um die eigene Resilienz, die wir im Laufe des Lebens entwickeln. Wer zum Beispiel keine Chance hat, emotionale Krisen eigenständig zu lösen, könne demnach nur wenig psychische Widerstandsfähigkeit entwickeln.

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„Schieflage“ ist zu befürchten

Für Wirtschaft und Arbeitsmarkt könnte die Entwicklung von Kindern, sofern die Thesen stimmen, besorgniserregend sein. Aber: Nicht nur Eltern, sondern auch die Bildungspolitik steht in der Kritik.

So findet Michael Winterhoff, welcher Kinder- und Jugendpsychiater ist, deutliche Worte: Schulabgängern würde die Arbeitshaltung fehlen. Und wenn wir nichts unternehmen würden, so könnte unsere Gesellschaft – aufgrund von zu vielen „Egozentrikern“ – in eine Schieflage geraten.

Die Lösung sei seines Erachtens aber nicht mehr Strenge von Lehrern oder Erziehern. Sondern eine enge Begleitung sowie eine Anleitung der Kinder, um ihnen Orientierung zu geben. Diese Ansicht teilen einige Erziehungswissenschaftler von heute: Auch wenn Kinder in ihrer Eigenständigkeit bestärkt werden sollen, so fehlt ihnen meist dennoch eine Bezugsperson, die sie unterstützt, aber nicht bevormundet.

Eine gute Nachricht laut Winterhoff: Auch wenn die psychische Entwicklung von Kindern heute etwas langsamer vorangehen würde, sind diese kein hoffnungsloser Fall. Denn wir wären in der Lage, diese fehlenden Entwicklungen bis zu unserem 25. Lebensjahr aufzuarbeiten.

Wie können Eltern zur Eigenständig ihrer Kinder beitragen?

Worüber sich viele Pädagogen heute einig sind: Es hilft nicht, Kinder in die eine oder in die andere extreme Richtung zu erziehen. Vielmehr geht es um die Balance. Wer seinen Nachwuchs unterstützen möchte, ohne sie autoritär zu bevormunden, kann sich an folgenden Tipps orientieren:

1. Nicht jede Aufgabe abnehmen

Um Kinder für das spätere Leben, Beziehungen und Arbeit fit zu machen, sollten sie Aufgaben selbstständig erledigen dürfen. Sie sollten auch neue Sachen ausprobieren dürfen, um ihre kognitiven Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Wichtige kognitive Fähigkeit sind zum Beispiel:

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  • Kreativität
  • Vorstellungskraft
  • Planen
  • Problemlösung
  • Entscheidung

2. Hilfe anbieten

Auch wenn Kinder Aufgaben selbstständig übernehmen dürfen, sollten Eltern Hilfe und Orientierung anbieten, die bei Bedarf wahrgenommen wird. Sie ins kalte Wasser zu schmeißen, obwohl sie das Schwimmen noch nicht gelernt haben – das wäre fatal.

3. Grenzen setzen, wenn sie notwendig sind

Damit Kinder sich frei entwickeln können, benötigen diese ihren ganz persönlichen Raum für die Entfaltung. Mit „Grenzenlosigkeit“ sollte das aber nicht gleichgesetzt werden – denn Grenzen sind essenziell, um das Kind vor ernsthaften Risiken sowie Gefahren zu schützen. Das heißt: Gesunde Grenzen sind nicht immer kontraproduktiv. Diese werden mit der Hilfe von klaren Regeln definiert.

4. Balance nicht vergessen

Unabhängig davon, welche Fähigkeit gefördert werden soll: Eltern sollten eine Balance finden. So benötigen Kinder nicht nur Freiheit, sondern auch Sicherheit – und umgekehrt. Wer nur in die eine oder andere Extreme erzieht, riskiert, dass das Kind Selbstunsicherheiten, Ängste oder eine überhöhte Risikobereitschaft entwickelt.

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Regeln okay – Strafen schädlich

Wer seine Erziehung etwas konsequenter gestalten möchte, stellt sich auch die Frage, wie es um das Thema Strafen steht. Das Gesetz schützt Kinder: Seelische Verletzungen und körperliche Gewalt sind hiernach tabu. Denn jedes Kind hat laut BGB das Recht auf eine Erziehung, die gänzlich ohne Gewalt stattfindet (§ 1631).

Das ist auch gut so: Strafen sind laut Pädagogin Katia Saalfrank in jeglicher Hinsicht schädlich. Von Strafen als Konsequenz ist deshalb abzuraten, wenn Eltern ihren Willen nicht bekommen. Denn sie sind demütigend und beschämend für das Kind; Erwachsene sind schließlich körperlich und emotional in der mächtigeren Position, sodass es auf der Seite des Kindes zu einer großen Hilflosigkeit kommen kann, wenn Ältere ihre Machtposition missbrauchen. Zudem erfolgen Strafen häufig aus Verzweiflung, Wut oder Überforderung heraus.

Regeln und kindgerechte Konsequenzen, die zum Beispiel mit einem Angebot für das Kind einhergehen, sind hingegen als mildes Mittel empfehlenswert. Soll das Kind am Tisch nicht mit dem Wasserglas spielen oder gar eine Pfütze daraus zaubern? Kindheitspädagogin Kathrin Hohmann empfiehlt: Wenn das Kind neugierig ist, können Eltern hier zum Beispiel anbieten, dass die Wasserspiele später im Bad fortgesetzt werden.

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Welche Erziehungsmethoden Eltern schlussendlich wählen, ist die Verantwortung der Erwachsenen. Grundsätzlich ist wichtig: Kinder dürfen Aufgaben selbstständig erledigen und auf milde Weise lernen, was Verantwortung bedeutet – dabei sollten sie aber immer und allen voran Kind sein dürfen.

Bildnachweis: Noel Hendrickson/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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