Eine gute Nachricht vorweg: 38 Prozent der Unternehmen in Deutschland planten, im ersten Quartal 2025 neue Mitarbeitende einzustellen. Der Netto-Beschäftigungsausblick (NBA), wie ihn die ManpowerGroup seit Jahrzehnten erhebt, liegt bei +24 Prozent – höher als im Vorquartal, nahezu auf globalem Niveau.

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Doch die Wachstumsdynamik, die sich in den Zahlen andeutet, basiert auf einem wackeligen Fundament. Denn das, was viele Unternehmen anstreben, lässt sich kaum noch umsetzen. Jobs sind da – doch es fehlen die Menschen, die sie antreten.

Der Fachkräftemangel ist ein flächendeckendes Phänomen

Er hat sich gar zur strukturellen Schieflage entwickelt. In nahezu allen Schlüsselbranchen liegt der Anteil der Unternehmen, die Schwierigkeiten bei der Personalgewinnung melden, bei über 85? Prozent. Besonders alarmierend:

  • Energie & Versorgung: 93 %
  • Gesundheitswesen & Life Sciences: 89 %
  • IT-Branche: 89 %
  • Kommunikationsdienstleistungen: 86 %
  • Transport, Logistik, Automotive: 88 %

Das Bild, das sich daraus ergibt, ist schon paradox: Während Unternehmen wachsen und Kapazitäten aufbauen wollen – getrieben von Digitalisierung, KI, Nachhaltigkeit, Demografie –, fehlt das Humankapital, um diese Ambitionen entsprechend umzusetzen. Die Wachstumskräfte sind vorhanden. Aber sie greifen ins Leere.

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„Doppelte Wachstumsbremse“: Fachkräftemangel trifft Strukturprobleme

Auch der Fachkräftereport 2024/2025 der DIHK bestätigt diese Entwicklung. Rund 43?Prozent der befragten Unternehmen aller Größenordnungen berichten, offene Stellen nicht besetzen zu können – trotz sinkender Personalnachfrage infolge wirtschaftlicher Schwäche. Das Problem liegt also nicht nur in der Zahl, sondern in der Passung der Bewerber: Viele bringen nicht die Qualifikationen mit, die tatsächlich gefragt sind.

„Fachkräftemangel trifft auf Strukturprobleme – das ist für viele Betriebe eine enorme Herausforderung und für unsere Wirtschaft eine doppelte Wachstumsbremse“, sagt DIHK-Vizehauptgeschäftsführer Achim Dercks.

Besonders betroffen seien Schlüsselbranchen: vom Maschinenbau über den Tiefbau bis zur digitalen Infrastruktur. Gerade dort, wo es um die Zukunftsaufgaben des Landes geht – Energiewende, Digitalisierung, Infrastrukturausbau –, fehlen die Köpfe, die sie umsetzen könnten.

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Besonders rar sind laut DIHK dual ausgebildete Fachkräfte. Auch Mitarbeitende mit Weiterbildungsabschlüssen wie Meister oder Fachwirt sind schwer zu finden. MINT-Absolvenen fehlen ebenso – und damit auch der Innovationsmotor vieler Industriebereiche.

Die demografische Lücke klafft weiter auseinander

Zugleich greift langsam der demografische Kipppunkt. Hunderttausende Fachkräfte gehen in den kommenden Jahren in den wohlverdienten Ruhestand – manche gar vorzeitig. Gleichzeitig rücken zu wenige qualifizierte Arbeitskräfte nach – nicht zuletzt, weil Ausbildungssysteme, Anerkennungsverfahren und Migrationsstrukturen zu langsam auf den Arbeitsmarkt reagieren.

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Das Ergebnis: Eine Ökonomie, die am eigenen Potenzial scheitert. Arbeitgeber versuchen gegenzusteuern – mit Teilzeitangeboten, mehr Flexibilität, Diversity-Initiativen. Doch das Bild bleibt durchwachsen.

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Folgen für Gesellschaft und Belegschaften

Der Fachkräftemangel bedroht nicht nur Wachstumsziele. Er hat das Potenzial, soziale Ungleichheiten zu verschärfen. Während hochqualifizierte Fachkräfte begehrt sind, geraten gering qualifizierte Arbeitnehmer weiter unter Druck. Eine Spaltung des Arbeitsmarktes in Engpass- und Randzonen droht.

Zugleich wächst der Druck auf die bestehende Belegschaft: Überstunden, mentale Erschöpfung – viele Teams arbeiten am Limit und verschärfen den Fachkräftemangel zusätzlich. Der Mangel an Fachkräften wird damit auch zu einem Mangel an Fürsorge, Zeit und Qualität.

Lösungen – Was jetzt gebraucht wird

Es braucht einen systemischen Blick: eine Migrationspolitik, die Potenziale schneller aktiviert; ein Bildungssystem, das Flexibilität fördert statt nur eingepaukten Stoff zu prüfen; eine Unternehmenskultur, die Gleichstellung und Weiterbildung als strategische Ressourcen begreift.

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Doch nicht nur Ideen, auch konkrete politische Impulse sind gefragt. Der DIHK-Fachkräftereport zeigt deutlich, welche Rahmenbedingungen aus Sicht der Unternehmen verbessert werden müssten, um die Fachkräftesicherung zu stärken. An erster Stelle steht dabei ein Dauerbrenner unter den Forderungen: 61 Prozent der Betriebe fordern, von ausufernden bürokratischen Belastungen entlastet zu werden. Weitere wichtige Forderungen aus der Wirtschaft sind zudem:

  • Stärkung der beruflichen Bildung: 44 %
  • Lockerung gesetzlicher Arbeitszeitvorgaben: 41 %
  • Gezielte Anreize zur Arbeitsaufnahme für Erwerbslose: 35 %
  • Erleichterung der Einstellung ausländischer Fachkräfte: 34 %
  • Förderung älterer Beschäftigter: 27 %
  • Bedarfsgerechter Ausbau von Betreuungsangeboten: 26 %

Der Ruf nach Fachkräften ist wie man sieht nur eine Seite der Debatte. Die andere ist ein deutliches Signal an die Politik – nämlich die Strukturen so zu gestalten, dass Arbeit wieder einfacher, attraktiver und lohnender wird.

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