Ach, die gute alte Zeit. Da war der Chefposten noch was wert. Schickes Büro, Dienstwagen, Top-Gehalt. Wer es nach oben geschafft hatte, hatte es geschafft. Punkt.
Heute? Da klebt man zwischen Tabellen, Meetings und Mitarbeiterkonflikten fest. Montagmorgen, 7:30 Uhr, 63 ungelesene Mails. Die Geschäftsführung will Zahlen, das Team will Antworten, und du willst eigentlich nur mal wieder durchschlafen. Willkommen in der modernen Führungsetage – wo Burnout zur Stellenbeschreibung gehört.
Die neue Führungsrealität: Hamsterrad mit Gehaltsbonus
Rund drei Millionen Menschen schleppen in Deutschland den Titel „Führungskraft“ mit sich herum – das sind etwa acht Prozent aller Erwerbstätigen. Hinter dem Titel steckt oft weniger Einfluss, als er vermuten lässt: viel Verantwortung, wenig Entscheidungsspielraum. Im Grunde ist es häufig nur ein schicker Name für: Du bist jetzt für alles zuständig, darfst aber trotzdem nur bedingt entscheiden – zumindest, wenn du nicht ganz oben stehst.
Die Studie zur mentalen Gesundheit bei der Arbeit (S-MGA) hat mal nachgefragt, wie’s denen in den jeweiligen Etagen so geht. Ergebnis: Es kommt ganz darauf an, welcher Chef du bist. Gerade die „kleinen“ Chefs (53 Prozent) – Schichtleiter in der Produktion, Teamleads in der Erziehung, Sozialarbeit oder Fahrzeugtechnik – sind psychisch am Anschlag. Zum Vergleich: Bei normalen Angestellten sind es nur 24 Prozent.
Und die Arbeitszeiten? 15 Prozent dieser einfach qualifizierten Führungskräfte berichten von überlangen Arbeitszeiten – bei den normalen Angestellten sind es 10 Prozent. Ein klarer Unterschied ist das statistisch nicht, spürbar aber schon. „Ich mach nur noch schnell…“ – der gefährlichste Satz im Chefbüro des unteren Managements.
Freiheit? Welche Freiheit?
„Als Führungskraft hast du mehr Freiheiten“, heißt es immer. Stimmt. Du darfst dir aussuchen, ob du die Überstunden morgens schon um sechs oder abends um zehn machst. Ob du im Homeoffice oder im Büro zusammenklappst. Ob du die schlechten Nachrichten des Vorstands oder der Geschäftsführung per Mail oder im Meeting verkündest.
Die versprochene Autonomie? Ein schlechter Witz – zumindest für viele in der mittleren Führungsebene. Die Realität sieht so aus: KPIs im Nacken, Zielvorgaben, die gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten kaum zu schaffen sind, und ein Kalender, der aussieht wie Tetris auf Speed. Selbst die hoch qualifizierten Führungskräfte – die „dicken Fische“ in Vertrieb, Einkauf oder Entwicklung – berichten häufiger über überlange Arbeitszeiten (36 % vs. 10 %). Gleichzeitig geben nur 9 % an, zu wenig Einfluss auf ihre Arbeit zu haben; unter den normalen Angestellten sind es 37 %. Mehr Verantwortung bedeutet also auch: ein Stück mehr Kontrolle, aber kaum weniger Druck.
„Ich dachte, als Abteilungsleiter hätte ich endlich mehr Gestaltungsspielraum und was zu sagen“, erzählt mir neulich einer. „Jetzt merke ich: Ich bin nur ein besserer Prügelknabe. Von oben Druck, von unten Gemecker, und ich stehe manchmal dazwischen wie der letzte Depp.“
Wenn das mittlere Management zur Gefahr wird – für sich und andere
Burnout bei Führungskräften? „Stell dich nicht so an“, heißt es dann gerne. „Mach mal ein Resilienztraining.“ Als ob man Dauerstress mit einem Wochenendseminar wegmeditieren könnte.
Bei den einfach qualifizierten Führungskräften berichten 18 Prozent über Burnout-Symptome und 13 Prozent über depressive Beschwerden. In der Vergleichsgruppe ohne Führungsfunktion liegen die Werte bei 11 und 10 Prozent. Statistisch sind die Unterschiede zwar nicht signifikant, aber ebenfalls spürbar.
Unter den hoch qualifizierten Führungskräften liegen die Werte deutlich niedriger (9 % Burnout, 2 % Depression). Das System macht also nicht alle Chefs krank – aber es trifft die mittlere Ebene am stärksten.
Das Paradox der modernen Führung: Je höher du im Unternehmen kletterst, desto freier der Atem. Während sich das untere und mittlere Management zwischen den Stühlen aufreibt – Druck von oben, Gemecker von unten –, haben die wirklich großen Fische echte Entscheidungsfreiheit. Kein Wunder, dass es ihnen besser geht.
Und wer glaubt, das sei nur deren Problem, irrt gewaltig. Ein Chef im unteren Management am Limit führt nicht – er überlebt nur. Hektische Entscheidungen, patzige Mails, keine Zeit für Mitarbeitergespräche. Das Team merkt’s sofort. Die Stimmung kippt, Fehler häufen sich, die Besten kündigen. Während die Geschäftsführung ihre strategischen Entscheidungen in Ruhe treffen kann, brennt unten die Hütte. „Menschen verlassen keine Unternehmen, sie verlassen Vorgesetzte“, sagt man nicht umsonst.
Die Wellness-Lüge: Warum Yoga-Apps nicht reichen
Klar, die Personalabteilungen haben reagiert. Mit Achtsamkeits-Apps. Feelgood-Managern. Obstkörbchen. Alles super – wenn man in einer Parallelwelt lebt, wo Zeit keine Rolle spielt.
Die Wahrheit ist: Du kannst noch so viel meditieren, wenn dein Handy auch nachts um elf klingelt, du um 4 Uhr wegen Gedankenschleifen aufwachst und die To-do-Liste länger wird als dein Lebenslauf, hilft dir keine App der Welt. Das ist, als würde man einem Ertrinkenden einen Schwimmkurs per Zoom anbieten.
Was es bräuchte, ist längst bekannt: Psychische Gefährdungsbeurteilungen auch für Führungskräfte. Verbindliche Arbeitszeiten – ja, wirklich auch für Chefs. Räume für kollegialen Austausch, in denen man offen sagen darf: „Ich kann nicht mehr.“ Und vor allem: Geschäftsführungen, die vormachen, wie gesundes Führen geht. Also auch mal um 19 Uhr den Laptop zuklappen. Revolutionär, ich weiß.
Was Führung wirklich entlastet
- Klare Grenzen statt grenzenloser Erreichbarkeit: Nach z. B. 19 Uhr ist Schluss. Wochenende ist Wochenende. Urlaub ist offline. Punkt.
- Führung im Tandem: Warum muss einer alles alleine wuppen? Geteilte Führung, Job-Sharing – es gibt doch Modelle, die funktionieren.
- Ehrliche Gefährdungsbeurteilungen: Nicht nur fragen „Wie geht’s dem Team?“, sondern auch „Wie geht’s dem Chef?“ – und dann wirklich auch was ändern.
- Entscheidungsmacht, die den Namen verdient: Wer Verantwortung trägt, muss auch entscheiden dürfen. Ohne drei Abstimmungsschleifen und fünf Genehmigungsebenen.
- Kollegiale Supervision statt einsamer Kampf: Führungskräfte-Runden, wo man offen über Überforderung sprechen kann. Ohne dass es gleich als Schwäche ausgelegt wird.
Der Preis der Führung ist hoch – manchmal zu hoch
Vielleicht sitzt du gerade im Büro und denkst: „Genau so läuft’s bei mir.“ Vielleicht bist du selbst Führungskraft und kennst das Gefühl, wenn der Akku bei 3 Prozent hängt, aber noch zwei Meetings anstehen. Vielleicht beobachtest du, wie dein Chef sich kaputtmacht und fragst dich, wie lange das noch gutgeht.
Führung, wie sie heute in vielen Unternehmen immer noch gelebt wird, ist am Ende. Nicht wegen der Menschen, sondern wegen der Bedingungen – und der Annahme, Führungskräfte seien Maschinen. Immer an, immer verfügbar, niemals kaputt.







