Früher nannte man es ehrliche Arbeit. Heute muss sie am besten auch noch Erfüllung, Sinn und Purpose liefern – sonst ist es nicht genug. Wer sagt: „Ich mache das nur fürs Geld“, erntet betretenes Schweigen, Mitleid oder gleich den Ratschlag, sich „beruflich neu zu orientieren“. Dabei ist genau das vielleicht die ehrlichste Motivation überhaupt. Zeit gegen Geld – Deal? Deal!
Wieso müssen wir plötzlich alle unsere „Berufung“ finden?
Es gibt diesen seltsamen Zeitgeist: Arbeit soll nicht mehr nur das Konto füllen, sondern auch das Herz. Sie muss sich gut anfühlen, sich richtig anfühlen. Als wäre sie ein Lebenspartner, der uns morgens wachküsst, mittags beflügelt und abends erfüllt schlafen lässt.
Aber was, wenn Arbeit einfach nur… Arbeit ist? Eine Tätigkeit, die wir tun, weil wir dafür bezahlt werden. Punkt. Nicht, weil wir sie lieben. Sondern weil sie Rechnungen bezahlt. Vielleicht sogar ein Sabbatical oder das nächste MacBook.
Die romantische Lüge vom Traumberuf
Hinter dem Mantra „Mach, was du liebst, und du musst nie wieder arbeiten“ steckt ein gewaltiger Haken: Es funktioniert nur für sehr wenige. Die meisten von uns lieben vielleicht Musik, Design oder Tiere – und landen dann doch in Excel-Tabellen, Meetings oder gar am Fließband.
Der „Purpose-Kult“ in Stellenausschreibungen klingt oft wie eine spirituelle Selbsthilfegruppe: „Gestalte die Zukunft mit uns!“ oder „Werde Teil von etwas Größerem!“ – als würde man sich dem Jedi-Orden anschließen.
Ist es wirklich so schlimm, nur wegen Geld zu arbeiten?
Nein. Im Gegenteil. Wer ehrlich sagt: „Ich mach’s für die Kohle, aber mein Job nervt“, hat klare Prioritäten. Und oft einen gesünderen Abstand zur Arbeit als all die Purpose-Jünger, die ausbrennen, wenn der Job nicht alle Bedürfnisse zu 100 Prozent stillt.
Denn: Arbeit darf einfach nur Teil unseres Lebens sein – aber nicht das Zentrum. Es ist kein Versagen, einen Job zu machen, der uns nicht erfüllt oder den wir vielleicht sogar insgeheim hassen. Es ist ökonomischer Pragmatismus.
Wer macht das denn noch – „nur fürs Geld“?
Mehr Menschen, als man denkt. Die Mehrheit der Arbeitnehmer würde wahrscheinlich sofort kündigen, wenn sie eine ordentliche Summe im Lotto gewinnt. Das spricht Bände. Laut Gallup Engagement Index 2024 sind nur 9?% der Deutschen wirklich emotional an ihren Job gebunden. Der Rest? Macht mit. Dienst nach Vorschrift. Und oft nur, um die Miete zu zahlen.
Das ist dennoch keine Faulheit. Das ist Rationalität. Und in Zeiten von steigenden Lebenshaltungskosten, Inflation und Mieten, die an die Schmerzgrenze reichen, ist Geld als Hauptmotiv einfach nachvollziehbar.
Was passiert, wenn wir Arbeit zu wichtig nehmen?
Wer ständig nach Sinn sucht, vergisst leicht, dass Arbeit auch belastet. Wer glaubt, sein Job müsse sich „nicht wie Arbeit anfühlen“, ist schnell frustriert. Wenn man auf magische Momente wartet, während man Excel-Zellen farblich markiert, wird man enttäuscht.
Diese emotionale Aufladung schafft Druck: Wer seine Passion nicht gefunden hat, ist scheinbar beruflich gescheitert. Dabei kann die eigentliche Freiheit auch darin liegen, den Job als das zu akzeptieren, was er ist: ein Tauschgeschäft.
Wann aber wird „nur fürs Geld arbeiten“ gefährlich?
Natürlich gibt’s Grenzen. Wenn der Job krank macht – mental oder physisch. Wenn man morgens mit Bauchschmerzen aufwacht und abends mit Selbstzweifeln einschläft, dann reicht Geld irgendwann nicht mehr.
Aber: Zwischen „Hölle“ und „Berufung“ gibt es viele Graustufen. Man darf einen Job machen, den man nicht liebt, solange er einen nicht auffrisst.
Was tun, wenn ich (nur) fürs Geld arbeite?
- Akzeptieren statt schämen: Es ist okay, nicht für jeden Task zu brennen. Dafür brennt am Monatsende der Gehaltszettel.
- Bewusst trennen: Beruf ist nicht Berufung. Wer Sinn sucht, kann ihn auch außerhalb der Arbeit finden.
- Privatleben pflegen: Wer nach Feierabend lebt, arbeitet am nächsten Tag erholter.
- Langfristig planen: Vielleicht ist der „Geldjob“ nur ein Sprungbrett. Oder ein Mittel zum Zweck (z.?B. finanzielle Freiheit, Selbstständigkeit, Sabbatical).
Und was wäre, wenn wir einfach ehrlich wären?
Arbeit ist keine Religion. Sie ist ein Vertrag. Und wer einen Job nur macht, weil er gut bezahlt ist, hat nichts falsch gemacht, sondern einfach verstanden, worum es geht. Vielleicht sollten wir einfach aufhören, jeden Lebensbereich mit Bedeutung zu überfrachten. Manchmal reicht ein Job, der Geld bringt. Und ein Leben, das man sich davon „gut“ leisten kann.