„Was hast du eigentlich für einen IQ?“ – Die Frage würde kaum jemand in der Kantine stellen. Und doch wäre die Antwort gerade für Unternehmen wichtiger als die meisten Fragen im Bewerbungsgespräch. Denn während alle Welt von Soft Skills spricht, von Empathie, Teamfähigkeit und Resilienz, zeigen zahlreiche Studien seit Jahren: Es gibt einen Faktor, der zuverlässiger als jeder andere Erfolg vorhersagt – Intelligenz.
IQ-Tests: Präziser als Vorstellungsgespräche
Natürlich klingt das erst einmal unbequem, vielleicht sogar elitär. Wir alle kennen sympathische, fleißige Mitarbeiter, die keine Genies sind, und brillante Köpfe, die keine Karriere machen. Also was ist dran an der These, dass Firmen Bewerber besser auf ihren IQ testen sollten?
Intelligenztests, insbesondere IQ-Tests, werden zunehmend in Bewerbungsprozessen eingesetzt, um die kognitive Leistungsfähigkeit von Kandidaten zu messen. Der Bonner Psychologe Jochen Kramer untersuchte in einer umfangreichen Metaanalyse, die 244 Studien aus Deutschland aus den letzten achtzig Jahren zusammenfasst, den Zusammenhang zwischen allgemeiner Intelligenz und beruflichem Erfolg.
Sein Ergebnis: Allgemeine Intelligenz ist eine zentrale Voraussetzung für hohe Arbeitsleistung und beruflichen Erfolg. Mitarbeiter, die aufgrund ihres IQ ausgewählt wurden, liefern mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 80 Prozent eine hohe Arbeits- oder Lernleistung, im Vergleich zu nur 50 Prozent bei einer Zufallsauswahl. Auch die Chancen auf Karriere und höheres Einkommen steigen deutlich, wenn Intelligenz als Kriterium herangezogen wird.
Warum die deutsche Skepsis?
Trotz eindeutiger Belege herrscht in Deutschland Zurückhaltung, oft sogar Misstrauen gegenüber IQ-Tests. Dies liegt unter anderem an der weit verbreiteten Überzeugung, dass eine einzelne Zahl einem Menschen nicht gerecht werden könne. Zudem befürchten viele, dass IQ-Tests soziale oder kulturelle Unterschiede nicht ausreichend berücksichtigen.
Doch bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass diese Bedenken häufig auf einem Missverständnis beruhen: IQ-Tests erfassen keine Persönlichkeit oder moralische Werte, sondern messen objektiv spezifische kognitive Fähigkeiten wie:
- Problemlösungskompetenz,
- logisches Denken
- und Auffassungsgabe.
Richtig eingesetzt ermöglichen sie, Talente besser zu erkennen und gezielt zu fördern – vergleichbar mit einem Fitness-Test, der nicht den Wert eines Menschen beurteilt, sondern dessen „aktuelle“ körperliche Leistungsfähigkeit misst.
Kritische Stimmen gegenüber IQ-Tests ernst nehmen
Natürlich gibt es auch kritische Stimmen: Skeptiker argumentieren, IQ-Tests könnten kulturelle oder soziale Faktoren unzureichend berücksichtigen. Jochen Kramer weist zudem darauf hin, dass bisher hauptsächlich Büro-, Industrie- und Handwerksberufe untersucht wurden. Für Berufe, die stark durch zwischenmenschliche Interaktionen geprägt sind, könnten andere Kompetenzen wichtiger sein. Dennoch empfiehlt Kramer, sich bei der Personalauswahl ein Bild von der allgemeinen Intelligenz zu machen, da dies sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer Vorteile bietet.
IQ allein reicht nicht – aber hilft enorm
Ein hoher IQ allein ist keine Erfolgsgarantie – insbesondere in Führungspositionen spielen zusätzliche Kompetenzen wie emotionale Intelligenz, Empathie, soziale Kompetenz und Kommunikationsfähigkeit entscheidende Rollen. Erfolgreiche Führungskräfte verstehen nicht nur komplexe Zusammenhänge schnell und treffen analytisch fundierte Entscheidungen, sondern sie sind gleichzeitig in der Lage, Mitarbeiter emotional abzuholen, Konflikte konstruktiv zu lösen und ihr Team wirkungsvoll zu motivieren.
Forschungsergebnisse zeigen hierbei eine interessante Verbindung: Personen mit höherem IQ weisen oft eine ausgeprägtere emotionale Intelligenz auf, da beide Kompetenzen auf ähnlichen kognitiven Grundlagen wie Selbstreflexion, Selbstregulation und Perspektivübernahme beruhen. Diese Verbindung macht Intelligenztests nicht nur zu einem Maßstab für analytisches Denkvermögen, sondern auch zu einem indirekten Indikator für entscheidende Führungskompetenzen. Damit eröffnen IQ-Tests ein differenzierteres und umfassenderes Bild der tatsächlichen Führungsqualität als bislang angenommen.
So gelingt die praktische Umsetzung
Um IQ-Tests im Bewerbungsprozess also sinnvoll einzusetzen, sollten Unternehmen zunächst klar kommunizieren, warum sie Intelligenz messen und welche Vorteile dies für Bewerber und Unternehmen bringt. IQ-Tests sollten dabei niemals isoliert betrachtet werden, sondern in einen umfassenden Auswahlprozess eingebettet sein. Dabei werden Persönlichkeitstests, strukturierte Interviews, und spezifische Fach- oder praktische Leistungstests idealerweise ergänzend eingesetzt, um ein vollständiges Bild der Bewerber zu gewinnen.
HR-Mitarbeiter müssen diesbezüglich sorgfältig geschult werden, um die Ergebnisse der IQ-Tests professionell interpretieren zu können – nicht nur numerisch, sondern auch im Kontext der Stelle und der individuellen beruflichen Anforderungen. Die Interpretation sollte stets differenziert erfolgen und sicherstellen, dass Ergebnisse fair, transparent und nachvollziehbar erklärt werden.
Darüber hinaus sollten Unternehmen regelmäßig überprüfen und evaluieren, inwiefern sich die Einbindung von IQ-Tests tatsächlich positiv auf die Arbeitsleistung, die Mitarbeiterzufriedenheit und langfristige Unternehmensziele auswirkt. Nur so lassen sich die Vorteile dieser Auswahlmethode optimal ausschöpfen.