Jahrelang war „Karriere“ das Zauberwort der Arbeitswelt. Wer aufsteigen wollte, klickte auf die „Karriereseite“, suchte „Karrierechancen“ und hoffte auf den nächsten „Karrieresprung“. Heute ist davon nicht mehr viel übrig. Denn viele Fachkräfte empfinden Karriere nicht mehr als Aufstieg, sondern als Belastung.
Das zeigt die aktuelle Blue Collar-Studie von KOFA und meinestadt.de auf eindrucksvolle Weise: Nur 6 % der befragten Fachkräfte finden den Begriff „Karriereseite“ ansprechend. Stattdessen bevorzugen sie deutlich persönlichere Begriffe wie „Unser Team“, „Über uns“ oder „Wir als Arbeitgeber“. Die klassische Arbeitgeberansprache ist in der Krise und das hat gute Gründe.
Was Karriere für viele wirklich bedeutet
Zwar verbinden 68 % der Fachkräfte mit dem Begriff „Karriere“ ein höheres Gehalt. Doch das hat seinen Preis: Fast die Hälfte denkt gleichzeitig an mehr Stress (47,6 %) und eine höhere Leistungserwartung (40,3 %). Die klassische Gleichung „Karriere = Erfolg“ scheint ins Wanken geraten zu sein.
Das zeigt sich auch im beruflichen Selbstverständnis: Nur rund ein Drittel der Befragten hält Karriere überhaupt für ein relevantes Lebensziel – besonders bei den über 45-Jährigen verliert sie an Bedeutung. Vor allem in Berufen mit hoher körperlicher oder emotionaler Belastung, etwa in der Pflege oder im Einzelhandel, überwiegt eher der Wunsch nach Stabilität als nach Aufstieg.
Was Fachkräfte wirklich wollen – jenseits der Karriereleiter
Gerade in stark belasteten Branchen wie dem Einzelhandel oder dem Handwerk zeigt sich ein klares Muster: Viele Beschäftigte sind bereits stark eingespannt, etwa durch Schichtarbeit, Care-Arbeit oder lange Arbeitswege und lehnen zusätzliche Verantwortung bewusst ab. Weiterbildungen werden zwar weiterhin geschätzt, doch der Wunsch nach einer klassischen Führungslaufbahn ist selten.
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Fachkräfte bevorzugen oft Entwicklung auf fachlicher Ebene, etwa durch Spezialisierung, zusätzliche Qualifikationen oder neue Aufgabenfelder. Die Motivation dahinter: mehr Kompetenz, mehr Sicherheit im Job, aber nicht zwingend mehr Status. Für viele bedeutet „Karriere“ also nicht mehr Aufstieg, sondern Stabilität und persönliche Entfaltung im eigenen Tempo.
Die Karriereseite als Kommunikationsproblem
Wenn auf Unternehmensseiten also großspurig von „Karrierechancen“ die Rede ist, fühlen sich viele nicht angesprochen oder sogar ausgeschlossen. Der Begriff wirkt elitär, technokratisch, distanziert. Dabei zeigt sich, dass Nähe, Wertschätzung und Transparenz deutlich stärker punkten:
- 39,8 % bevorzugen „Unser Team“ als Seitentitel
- 31,8 % klicken lieber auf „Über uns“
- Nur 6 % halten „Karriereseite“ für eine gute Bezeichnung
Diese Zahlen sprechen eine klare Sprache: Wer die falschen Worte wählt, verliert im Kampf um Talente.
Empfehlungen für Unternehmen
- Begrifflichkeiten überdenken: Statt „Karriereseite“ lieber „Team & Jobs“, „Gemeinsam wachsen“ oder „Dein Platz bei uns“.
- Vielfalt der Entwicklungswege betonen: Entwicklung muss nicht gleich Führung bedeuten. Weiterbildung, Spezialisierung und Projektverantwortung gehören genauso dazu.
- Authentische Einblicke geben: Menschen interessieren sich für Menschen. Statt Buzzwords lieber Geschichten, Gesichter und Erfahrungen zeigen.
- Stress nicht ausblenden: Karriere darf kein Beschönigung für Mehrbelastung sein. Wer Entwicklung anbietet, sollte auch Entlastung ermöglichen.
- Wertschätzung kommunizieren: Jeder will gesehen und wahrgenommen werden. Das muss sich auch in der Sprache widerspiegeln.
Karriere bedeutet für viele heute nicht mehr zwingend Aufstieg. Entwicklung muss nicht nach oben führen, sondern kann auch in die Breite, in die Tiefe oder einfach dorthin gehen, wo Menschen sich gesehen und gebraucht fühlen. Es nicht der Karrierebegriff per se, der überholt ist, sondern das Bild, das wir mit ihm verbinden.
Nachgefragt: Hast du schon mal eine Stelle abgelehnt, weil dich die Sprache des Unternehmens in der Stellenanzeige oder auf der Karriereseite abgeschreckt hat?