Im Meeting rollt er mit den Augen. Beim Smalltalk reißt sie das Gespräch sofort an sich. Und auf LinkedIn? Dort sowieso alles voller Selbstdarsteller, die den Eindruck erwecken, als wären sie die wiedergeborenen Steve Jobs. Warum glauben so viele Menschen, dass sie kompetenter sind als ihre Mitmenschen?

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Was ist Kompetenzüberschätzung?

Kompetenzüberschätzung ist das Phänomen, bei dem Menschen ihre eigenen Fähigkeiten, Leistungen oder ihr Wissen systematisch höher bewerten, als sie tatsächlich sind. Es geht dabei nicht nur um eine gelegentliche Selbstüberschätzung, die jeder mal kennt. Es ist eine tief verankerte Selbstüberzeugung: „Ich bin klüger, fähiger, erfolgreicher als die anderen.“ Dieses Denken wirkt oft arrogant, ist aber in Wahrheit ein psychologischer Schutzmechanismus – und leider weit verbreitet.

Woher kommt dieser Überschätzungsdrang?

Die Ursache: der sogenannten Dunning-Kruger-Effekt. Dieser beschreibt das Phänomen, dass Menschen mit geringer Kompetenz in einem bestimmten Bereich ihre Fähigkeiten stark überschätzen – schlicht, weil sie nicht genug wissen, um ihre eigenen Wissenslücken zu erkennen.

Das perfide daran: Je weniger jemand weiß, desto mehr glaubt er, Bescheid zu wissen. Gleichzeitig zweifeln viele wirklich kompetente Menschen an sich selbst, da sie sich ihrer Grenzen bewusst sind und genau wissen, was sie noch nicht wissen. Die Folge ist ein kollektives Missverhältnis zwischen Selbsteinschätzung und Realität.

Unsere moderne Arbeitswelt feuert diesen Effekt regelrecht an. Sichtbarkeit wird oft höher bewertet als Substanz. Wer sich gut verkauft, wird belohnt – unabhängig davon, was tatsächlich dahintersteckt. Auf Plattformen wie LinkedIn zählt persönliche Markenbildung mehr als echte Leistung. Wer laut ist, wird gehört. Wer sich inszeniert, wird bewundert. Und irgendwann glauben wir selbst an die Geschichte, die wir erzählen.

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Wie zeigt sich das im Berufsalltag?

Im Arbeitsalltag begegnet uns die Kompetenzüberschätzung auf Schritt und Tritt. Da ist etwa der Kollege, der in jedem Meeting lautstark seine Meinung kundtut, auch wenn er inhaltlich oft danebenliegt. Er lässt andere kaum ausreden, hält Rückfragen für persönliche Angriffe und verwechselt Redeanteil mit Expertise. Oder die Kollegin, die jede noch so kritische Rückmeldung mit einem Achselzucken abtut: „Das sehe ich anders, ich mache das schon ewig so.“ Kritik prallt ab, Fortschritt bleibt aus.

Auch die digitale Bühne zeigt uns täglich, wie weit die Selbstüberschätzung reichen kann. Da wird aus einem mittelmäßigen Projekt ein „Gamechanger“ gemacht, da wird mit Buzzwords jongliert, bis der Algorithmus applaudiert – und der eigene Glaube an die Großartigkeit gleich mitwächst. Wer die Dinge nüchtern betrachtet, wird oft als zu bescheiden oder nicht durchsetzungsstark wahrgenommen. Wer hingegen laut ist, wird gehört – und verwechselt das mit echtem Können.

Warum ist Kompetenzüberschätzung ein Problem?

Die Folgen: Wer sich selbst überschätzt, trifft häufiger falsche Entscheidungen, weil er Risiken unterschätzt oder sich schlicht nicht beraten lässt. Feedback wird als Angriff wahrgenommen, nicht als Lernchance verstanden. Es fehlt die Bereitschaft zur Weiterentwicklung, schließlich fühlt man sich ja schon auf dem Gipfel des Wissens. In Teams führt das zwangsläufig zu Spannungen: Kollegen fühlen sich überfahren, ignoriert oder nicht ernst genommen. Die Arbeitsatmosphäre leidet, gute Ideen gehen unter.

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Besonders gefährlich wird es, wenn Führungskräfte von diesem Phänomen betroffen sind. Wer seine eigene Inkompetenz nicht erkennt, kann kein gutes Team aufbauen und leiten. Es fehlt an Selbstreflexion, an Empathie, an der Fähigkeit, Stärken im Team zu erkennen und zu fördern. Das Resultat: Demotivation, Burnout oder eine Fluchtbewegung hin zu besseren Arbeitgebern.

Was hilft gegen das „Ich-bin-besser“-Syndrom?

Der erste Schritt zur Besserung ist radikale Ehrlichkeit mit sich selbst. Wer regelmäßig reflektiert, lernt, sich realistischer einzuschätzen. Feedback sollte nicht als Bedrohung verstanden werden, sondern als wertvolles Instrument zur Weiterentwicklung. Besonders hilfreich sind regelmäßige Peer-Reviews, bei denen Kollegen eine ehrliche Einschätzung geben.

Auch messbare Kriterien helfen: Wer seine Leistung anhand konkreter Ergebnisse und nachvollziehbarer Ziele überprüft, kommt der Realität ein gutes Stück näher. Statt blindem Aktionismus braucht es eine klare Orientierung, regelmäßige Selbstbefragung und den Mut, Fehler offen einzugestehen. Denn die Fähigkeit, eigene Schwächen zu erkennen und daraus zu lernen, ist keine Schwäche, sondern eine unterschätzte Stärke.

Am Ende sind wir alle mal blind für uns selbst

Kompetenzüberschätzung ist ein zutiefst menschliches Phänomen, aber auch ein gefährliches. Wer glaubt, immer alles besser zu wissen, verpasst die Chance, wirklich besser zu werden. Statt also auf das eigene Ego zu hören, lohnt sich manchmal ein Blick von außen. Denn echte Kompetenz zeigt sich nicht im Lautsein, sondern im Zuhören, Lernen und Wachsen.

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