Fast überall gibt es ihn, den hilfsbereiten und durch und durch netten Kollegen, der niemals „Nein“ sagen kann, schon gar nicht zum Chef. Er bringt morgens Brötchen mit, springt nachmittags für die erkrankte Kollegin ein und übernimmt auch freitags um 17 Uhr noch die Präsentation für Montag. Er ist beliebt. Freundlich. Unverzichtbar. Und trotzdem steigt er auf der Karriereleiter Nicht auf.
Denn so paradox es klingt, wer zu allem Ja sagt, sagt selten Ja zu sich selbst. Und riskiert langfristig mehr als nur seine Work-Life-Balance.
Die Angst vor dem Nein und ihren Ursprung
Dass viele Menschen Schwierigkeiten damit haben, „Nein“ zu sagen – gerade zu Vorgesetzten –, liegt selten am fehlenden Wortschatz. Vielmehr sind es tief verankerte Ängste. Die Angst vor Ablehnung, vor negativen Konsequenzen und vor dem berüchtigten Karriereknick. Der erste Reflex bei einer Chefbitte ist fast immer: zustimmen. Denn wer will schon als unkooperativ dastehen oder auf der nächsten Projektliste fehlen.
Doch Überstunden sind kein Heldentum, sondern eine Ressource. Und diese Ressource ist begrenzt. Wer das ignoriert und dem Chef nie Grenzen aufzeigt, darf sich nicht wundern, wenn diese auch nie respektiert werden.
Höflich, aber bestimmt: Nein sagen kann man lernen
Ein Nein ist kein Affront. Es ist kein persönlicher Angriff, kein Karriereverweigerungsakt, sondern ein Kommunikationsmittel. Wer es richtig einsetzt, zeigt Verlässlichkeit, Selbstreflexion und Struktur. Gerade Führungskräfte sind auf Mitarbeitende angewiesen, die realistisch einschätzen, was möglich ist und was nicht. Und das sachlich und argumentativ vermitteln können.
Denn: Auch Chefs sind Menschen. Und wer ihnen ruhig und rational erklärt, warum eine Aufgabe gerade nicht realistisch ist, wird in aller Regel mehr Respekt ernten als jemand, der übernächtigt und still leidend das nächste Feuer löscht und dabei vergisst, wie Löscharbeiten eigentlich bezahlt werden.
Typische Alltagssituationen und wie du sie meisterst
- Der Klassiker: „Könnten Sie das noch schnell…“
Antwort: „Ich habe aktuell Projekt X mit Deadline Y. Wollen wir gemeinsam schauen, was ich dafür schieben kann?“ - Anfallende Überstunden:
Antwort: „Heute geht es leider nicht, aber wir können uns gern morgen nochmal die restliche Woche zusammen anschauen.“ - Neue Aufgaben, null Kapazität:
Antwort: „Ich schätze das Vertrauen, aber ich würde das aktuell nicht in der Qualität liefern können, die ich selbst von mir erwarte.“
Das Ja aus Pflichtgefühl oder Ego?
Ein weiterer Grund, warum viele nicht Nein sagen können: der Wunsch, gemocht zu werden. Kaum jemand möchte als unhöflich gelten, schon gar nicht im Team. Wer freundlich ist, hilft eben gern oder? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Denn hinter mancher Hilfsbereitschaft steckt weniger Altruismus als vielmehr ein psychologisches Bedürfnis nach Anerkennung. Ein kurzes, süchtig machendes Gefühl von Wichtigkeit: „Oh, sie brauchen mich!“
Und da wird es gefährlich. Denn manche Vorgesetzte wissen das ganz genau. Und setzen charmant-lächelnd genau dort an. Wer sich also plötzlich regelmäßig in Aufgaben wiederfindet, die „nur du so gut kannst“, sollte hellhörig werden: Das ist keine Wertschätzung. Das ist Delegation auf emotionaler Basis.
Grenzen setzen ohne die Beziehung zum Chef zu ruinieren
Natürlich fällt ein Nein gegenüber dem Chef oder der Führungskraft nicht leicht, wenn man gerade in einem Team arbeitet, das viel auf Harmonie und Kollegialität setzt. Aber: Niemand muss von allen gemocht werden erst recht nicht um den Preis der eigenen Belastbarkeit. Denn echte Anerkennung kommt nicht dadurch, dass man ständig verfügbar ist sondern dadurch, dass man verlässlich ist. Und das beinhaltet auch, sich selbst ernst zu nehmen.
Ein klares Nein zum Chef ist oft das professionellste Ja
Wer sich im Job nicht ständig verbiegen will, muss lernen, auch mal die Reißleine zu ziehen mit Stil, Respekt und Verstand. Das Nein zum Chef ist kein Nein zur eigenen Karriere, sondern im besten Fall ein Schritt dorthin. Und wer weiß: Vielleicht reagiert dein Chef sogar mit einem Aha-Effekt, wenn du Nein sagst. Denn Klartext hilft oft mehr als stummes Aushalten.