Manche Führungskräfte wirken, als wären sie versehentlich auf dem Chefsessel gelandet – und dann einfach sitzen geblieben. Schon nach wenigen Begegnungen ist klar: Verantwortung übernehmen sie, führen können sie nicht. Und doch sitzen sie überall – in Büros, Produktionshallen, Kanzleien und Zoom-Calls. Schlechte Vorgesetzte sind also kein Randphänomen, sie sind Alltag. Und sie hinterlassen gezeichnete Mitarbeiter.

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Wenn Führung zur Zumutung wird

Pöbeln, kontrollieren, kleinmachen, schweigen, willkürlich agieren – toxische Führungsstile haben viele Gesichter. Die Folgen sind messbar: Laut Gallup lassen sich 70 % des Mitarbeiterengagements direkt auf die Führungskraft zurückführen. Sinkt das Engagement der Führungskräfte, fällt auch das ihrer Teams – mit spürbaren Folgen: Die globale Wirtschaft verliert dadurch jährlich rund 438 Milliarden US-Dollar an Produktivität.

Doch nicht nur Leistung und Effizienz leiden. Auch das emotionale Wohlbefinden der Beschäftigten ist massiv betroffen: 40 % berichten von täglichem Stress, 23 % von Traurigkeit, 22 % von Einsamkeit und 21 % von Wut. Diese negativen Emotionen sind eng verknüpft mit schlechter Führung, mangelnder Anerkennung und einem Arbeitsumfeld, das nicht auf menschliche Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden eingeht.

Aber was, wenn das alles auch einen positiven Effekt haben kann?

Was wäre, wenn ausgerechnet die, die unter inkompetenten oder missbräuchlichen Chefs leiden mussten, später selbst die besseren Führungskräfte werden? Klingt nach Zweckoptimismus – ist aber wissenschaftlich belegt.

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Die UCF-Studie: Trauma als Treiber für gutes Leadership

Eine neue Studie der University of Central Florida zeigt: Wer selbst schlechte Führung erlebt hat, kann daraus positive Lehren ziehen. Die Untersuchung von Prof. Shannon Taylor und seinem Team – mit Partnern der University of California, der University of Texas und der Singapore Management University – belegt: Mitarbeitende, die unter missbräuchlichem Verhalten ihrer Chefs litten und später selbst Führungsverantwortung übernehmen, entwickeln oft eine besonders reflektierte, empathische Führungshaltung.

Entscheidend ist dabei, wie die Betroffenen mit dem Erlebten umgehen. Wer sich moralisch und psychologisch bewusst von dem toxischen Vorbild abgrenzt, entscheidet sich aktiv gegen die Wiederholung dieses Verhaltens. Laut Taylor:

„Unsere Studie zeigt, dass es für Menschen, die am Arbeitsplatz misshandelt werden, auch positive Aspekte gibt. Manche Führungskräfte, die diesen Missbrauch erleben, können ihre Erfahrungen so umdeuten, dass sie nicht ihr Verhalten widerspiegeln – und sie tatsächlich zu besseren Führungskräften machen.“

Lernen durch Abschreckung: Negative Vorbilder wirken intensiver

Das Prinzip ist bekannt aus der Pädagogik: Negative Vorbilder hinterlassen besonders tiefe Spuren. Wer als Kind unter schlechter Erziehung litt, weiß oft genau, was er später anders machen will. Im Job ist es ähnlich: Schlechte Chefs bleiben haften. Ihre Fehltritte – ob Kontrollwahn, emotionale Kälte oder Demütigung – schärfen das Bewusstsein für gute Führung.

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Dabei geht es nicht um Rache oder Kompensation, sondern um einen bewussten Bruch mit dem Erlebten. Entscheidend ist laut der UCF-Studie die Fähigkeit zur kognitiven Distanzierung: Wer sich bewusst vom missbräuchlichen Verhalten des eigenen Chefs abgrenzt, schafft die Grundlage für einen anderen, besseren Führungsstil.

Führungskräfte mit Narben – aber Haltung

In Interviews mit angehenden Führungskräften habe ich es oft gehört: „Ich weiß genau, wie ich nicht führen will.“ Diese Erkenntnis hat Kraft. Sie prägt Führungsstile, fördert emotionale Intelligenz und erhöht die Bereitschaft, Feedback zuzulassen.

Ein Beispiel:Lisa, 34, Teamleiterin in einem Einzelhandelsunternehmen, hatte jahrelang einen Vorgesetzten, der Meetings nutzte, um Kollegen auf die Füße zu treten, bloßzustellen und kleinzureden. Ein seltsames Verständnis von Motivation. Heute achtet sie penibel darauf, dass ihr Team angstfrei arbeiten kann.

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Schlechte Chefs als Lehrmeister – aber zu welchem Preis?

Natürlich ist das keine Einladung, missbräuchliches Verhalten am Arbeitsplatz zu verharmlosen. Die Schäden, die toxische Vorgesetzte anrichten, sind real – und gravierend. Die UCF-Studie betont: Es geht nicht darum, schlechte Führung als notwendig oder produktiv zu verklären. Sondern darum, die Resilienz der Opfer zu würdigen und strukturelle Veränderungen in der Unternehmenskultur zu ermöglichen.

Unternehmen können aus diesen Erkenntnissen lernen: Wer in Führungstrainings gezielt auch die Schattenseiten früherer Berufserfahrungen thematisiert, stärkt das ethische Fundament künftiger Führungskräfte.

Was heißt das für dich?

Wenn du schon mal unter einem miserablen Chef gelitten hast, kennst du das Gefühl: Frustration, Hilflosigkeit, Ohnmacht. Aber vielleicht steckt darin auch ein Kapital – eine Haltung, die dir heute hilft, dein Team besser zu führen. 

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Also: Was hast du von deinen schlechten Chefs gelernt – und was machst du heute ganz bewusst anders?

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