Steuern und kontrollieren, so lautet die Devise von Vorgesetzten, die süchtig nach Kontrolle und Mitarbeiterobservation sind. Erklärungen zu den Ursachen – und wie der richtige Umgang mit Kontrollfreaks gelingt.
Mikromanager schaden Mitarbeitern und Arbeitgebermarke
Führungskräfte am Steuer. Mitarbeiter in den hinteren Reihen. Noch ist das in vielen Unternehmen Realität. Wer aus der Reihe tanzt, muss damit rechnen, dass penibel nach Gründen für eine Abmahnung gesucht wird. Kontrolle am Arbeitsplatz braucht Grenzen, weil Arbeitnehmer von heute Vertrauen und Eigenverantwortung präferieren. Systematische Abhängigkeiten und Strafen, wie sie im Industriezeitalter vorherrschten, sind in der neuen Arbeitswelt schädlich für Unternehmen.
Ob unzählige Regeln, Handbücher mit strikten Vorgaben oder eine ständige digitale Verfügbarkeit: Zu viele Mikromanager und Kontrollfreaks tummeln sich noch immer in den Führungsetagen. Remote Work kann aber beispielsweise mit stark kontrollierenden Chefs nicht richtig stattfinden, ohne toxische Züge anzunehmen, und Vertrauensarbeitszeit funktioniert nur, wenn Führungskräfte loslassen können.
Nicht-Loslassen-Können – Kontrollsucht, schadet aus mehreren Gründen:
- Mitarbeiter fühlen sich eingeengt.
- Arbeitnehmer spüren den ständigen Druck, immer und jederzeit abliefern zu müssen.
- Kontrolle kann zum Motivations- und Produktivitätskiller werden.
- Unternehmen erleiden einen Imageschaden.
- Kontrollierende Führungskräfte können schnell übergriffig werden.
- Mitarbeiter kündigen innerlich.
- Es herrscht ständig eine toxische Arbeitsatmosphäre vor.
Schädigung der Arbeitgebermarke: Kontrollsucht hat nicht nur Auswirkungen auf die Stimmung im Team, sondern auch auf das Image des Unternehmens nach außen. Wer will schon für ein Unternehmen arbeiten, das als Kontrollzentrale bekannt ist? Auf Plattformen wie Kununu oder Glassdoor häufen sich dann die negativen Bewertungen – und plötzlich hat man nicht nur Schwierigkeiten, die besten Talente zu halten, sondern auch, neue zu gewinnen. Employer Branding wird so zur Herausforderung, wenn die Führungskultur auf Überwachung statt Vertrauen basiert.
Psychische Belastung: Doch die Folgen gehen noch weiter. Mitarbeiter, die permanentem Druck und Überwachung ausgesetzt sind, haben ein höheres Risiko für psychische Probleme. Stress, Burnout und Depressionen sind keine Seltenheit. Und wenn die seelische Gesundheit leidet, leidet auch die Leistungsfähigkeit. Statt Innovation und kreativen Lösungsansätzen gibt es nur Dienst nach Vorschrift und innerliches Kündigen.
Am Ende zahlen die Unternehmen den Preis: hohe Fluktuationsraten, sinkende Produktivität und ein Arbeitsplatz, an dem sich niemand wirklich wohlfühlt.
Schon gewusst?
Große Marken und Unternehmen, etwa Zalando oder Amazon, nutzen allen voran digitale Überwachungstools, die nach Meinung des aus Österreich stammenden Datenschutzaktivisten Wolfie Christl dazu dienen, Freiräume von Mitarbeitern zu begrenzen und Arbeitnehmer unkomplizierter zu ersetzen.
Im Rahmen des Projekts „Gläserne Belegschaft“ hat dieser im Auftrag der NGO Cracked Labs eine Studie mit 150 Seiten zum Thema digitale Überwachung am Arbeitsplatz veröffentlicht. Die Untersuchungen zeigen, dass einige der Systeme in Deutschland in der rechtlichen Grauzone landen. Zudem fühlen sich Beschäftigte, so Christl, zunehmend unter Druck gesetzt, weil es zu Interessenkonflikten kommt, wenn sie permanent überwacht werden.
Kontrollwahn: Warum können Führungskräfte schlecht loslassen?
New Work baut auf moderne Führung. Führungskräfte, die kontrollieren und Gehorsam von ihren Mitarbeitern erwarten, sind nicht zukunftsfähig. Woran aber liegt es, dass sie keine Kontrolle abgeben wollen oder vielleicht nicht abgeben können?
Möglicher Grund: Es fällt schwer, gewohnte Muster hinter sich zu lassen. Eine Veränderung des Führungsstils und in der Personalführung kann eine Mammutaufgabe sein. Dabei verlangt das New Normal nicht unbedingt, die eigene Identität als Führungskraft komplett neu zu formen, wohl aber, Offenheit zu zeigen. Offenheit gegenüber Veränderungen, gegenüber den Ansprüchen von Mitarbeitern und potenziellen Mitarbeitern.
Ein weiterer Grund, warum Vorgesetzte nur schlecht Kontrolle abgeben können, ist die Angst vor den Konsequenzen, wenn sie loslassen:
- Was passiert mit der eigenen Machtposition?
- Was ist, wenn gesetzte Ziele nicht erreicht werden und man als Chef die Fehler von Mitarbeitern ausbügeln, ja, den eigenen Kopf hinhalten muss?
- Was ist, wenn Mitarbeiter den Respekt verlieren, wenn Führungskräfte „weich“ wirken?
Und: Was ist, wenn ich als Chef in Wahrheit nichts anderes habe, als die Kontrolle über meine Mitarbeiter, um mich selbst zu beruhigen? Man müsste sich als Chef ohne Kontrolle diesen bitteren Fragen stellen und sich dafür aus der Komfortzone herausbewegen, um an sich zu arbeiten und gesündere Wege zu gehen. Ein starkes Kontrollbedürfnis entsteht nicht selten aus der Sorge heraus, Sicherheit zu verlieren. Und danach sehnen sich die meisten Menschen.
Was tun, wenn mein Chef ein Kontrollfreak ist?
Auch wenn ein starkes Kontrollbedürfnis aus Erfahrungen und persönlichen Ängsten einer Führungskraft resultiert oder andere Hintergründe hat, etwa die automatische Übernahme klassischer Führungselemente aus früheren Zeiten, sind es am Ende die Mitarbeiter, die leiden. Solltest du betroffen sein, haben wir folgende Umgangstipps für dich.
Tipp #1: Akzeptanz und Beobachtung
Zunächst einmal gilt es, die Art und Weise, wie dein Chef ist, zu akzeptieren und selbst loszulassen vom Gedanken, dass sich sofort etwas tut. Das bedeutet nicht, dass du passiv bleiben musst, aber doch, dass das Verhalten eines Menschen nicht in deinem Kontrollbereich liegt. Oft bedarf es mehrerer Gespräche, Stunden und Aha-Momenten, damit Menschen selbst die Bereitschaft zeigen, etwas zu verändern. Und gute, einsichtige Führungskräfte werden sich darum bemühen. Das kann leider nicht jeder Chef.
Wenn du für dich etwas verändern willst, solltest du vor allem eine Sache tun: Beobachte deinen Chef in Ruhe. Du wirst Situationen wahrnehmen, in denen er/sie entspannt ist – und Szenen, in denen der Kontrollfreak sich häufiger meldet. Wenn du dieses Wissen hast, weißt du, wie du deinem Boss begegnen kannst, ohne dich getriggert zu fühlen.
Tipp #2: Gehe proaktiv auf deinen Boss zu und schlage Deadlines vor
Sei so konkret wie möglich, wenn du das Gefühl hast, ständig kontrolliert zu werden. Dein Chef erwartet immer wieder Calls? Schlage stattdessen eine präzise Deadline vor. Dein Chef möchte, dass du ein Zwischenergebnis lieferst? Bleibe ehrlich und realistisch, anstatt unter dem Druck zusammenzubrechen, der von einer kontrollierenden Führungskraft ausgeübt wird und teile mit, wie viel Zeit du wirklich benötigst.
Klar – einfach ist das nicht, im Gegenteil. Denke aber daran: Der Kontrollwahn eines Bosses hat NICHTS mit dir zu tun. Was mit dir zu tun hat, ist deine Reaktion auf ein Verhalten, welches sich als Macht verkleidet, in Wahrheit aber Unsicherheit oder die Angst vor Kontrollverlust ist. Halte deshalb inne, wenn du merkst, dass es dich triggert – und beurteile die Situation, um so objektiv und professionell wie möglich mit konkreten Vorschlägen reagieren zu können.
Tipp #3: Proaktiv Fortschritte kommunizieren
Vermeide es, dass dein Chef selbst nachhaken muss, indem du von dir aus regelmäßig über deinen Arbeitsfortschritt berichtest. Schicke kurze Updates per E-Mail oder vereinbare wöchentliche Meetings, um über den aktuellen Stand deiner Projekte zu informieren. So zeigst du Transparenz und nimmst deinem Chef das Gefühl, ständig selbst nachfragen zu müssen.
Beispiel:
„Ich wollte Ihnen kurz ein Update geben: Der Bericht ist zu 80 % fertig und ich werde ihn bis Freitag abschließen. Gibt es bis dahin noch etwas, das ich berücksichtigen soll?“
Tipp #3: Halte dich selbst an Absprachen, um mehr Vertrauen zu genießen
Je stärker deine Zuverlässigkeit, desto besser ist das für dich und deinen Chef. Oft ist es vor allem am Anfang einer Arbeitsbeziehung notwendig, sich gegenseitig etwas zu „beweisen“. Wer es schafft, sich unaufgefordert an Absprachen zu halten, punktet bereits und kann eine vertrauensvolle Beziehung zum Chef aufbauen. In der Praxis erleichtert das die Zusammenarbeit und im Idealfall wirst du weniger kontrolliert.
Tipp #4: Denke über einen Arbeitgeberwechsel nach, wenn die Kontrolle toxisch wird
Du bist nicht alleine mit dem Gedanken, dir ein neues Unternehmen – und einen neuen Chef – zu suchen. Wenn es toxisch wird, die Kontrolle übergriff ist und deine Grenzen nicht respektiert werden, entscheiden sich viele Arbeitnehmer für eine Kündigung. Denke aber daran: Toxische Kontrollfreaks sind überall. Achte deshalb schon während deines Vorstellungsgesprächs auf Anzeichen, die einen schlechten Chef entlarven.
Tipp #5: Kontrolle bewusst einfordern, um vorzubeugen
Was komisch klingt, kann Kontrollfreaks tatsächlich etwas zügeln: Bevor dein Chef aktiv wird und auf dich zukommt, kannst du selbst auf deinen Boss zugehen und um kurzes Feedback bitten. Zum Beispiel mit folgenden Fragen:
„Könnten Sie einen Blick auf die Präsentation werfen?“
„Gibt es etwas, was ich ergänzen sollte?“
Die Idee dahinter ist, das Kontrollbedürfnis deines Chefs so zu stillen, dass es nicht giftig oder übergriffig wird. Du selbst entscheidest, was und wie viel kontrolliert wird – auch wenn es vielleicht nur ein Teil deiner Arbeit ist. Denn das macht einen gewaltigen Unterschied.
Tipp #7: Transparente Zielsetzung und Eigenverantwortung betonen
Sprich frühzeitig mit deinem Chef über die konkreten Erwartungen an deine Arbeit und welche Ergebnisse er sich wünscht. Wenn du die Ziele und Prioritäten klar kennst, kannst du deinen Arbeitsstil besser darauf ausrichten und zeigst deinem Chef, dass du selbst Verantwortung übernimmst. So kann er sehen, dass du auch ohne ständige Überwachung verlässlich ablieferst.
Beispiel:
„Um sicherzugehen, dass ich Ihre Erwartungen erfülle: Können wir kurz die Prioritäten für dieses Projekt durchgehen? Ich möchte sicherstellen, dass ich alles im Blick habe und wir die besten Ergebnisse erzielen.“