Es gibt Bewerbungsgespräche, nach denen man sich fühlt, als hätte man einen Marathon absolviert: Kompetenzfragen, Rollenspiele, Fallstudien, der abrupte Wechsel zwischen Smalltalk und Selbstvermarktung. Und dann gibt es Gespräche mit Chris Hyams. Der Indeed-CEO verzichtet laut CNBC in Interviews fast vollständig auf das Abklopfen klassischer Karrierestationen. Stattdessen stellt er zwei Fragen, die so simpel klingen, dass man sie fast unterschätzen könnte. Für Hyams aber sind sie wichtiger als der Lebenslauf.

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Die erste Frage lautet: „Worauf sind Sie wahnsinnig neugierig?“ oder alternativ „Was liegt Ihnen wirklich am Herzen?“ 

Und die zweite: „Erzählen Sie mir eine Geschichte darüber, wie Sie sich einer Sache wirklich, wirklich sicher waren – und dann herausfanden, dass Sie völlig falsch lagen.“

Man könnte meinen, solche Fragen wären eher Stoff für lange Nächte am Küchentisch als für ein Bewerbungsgespräch mit dem Chef eines milliardenschweren Jobportals (Umsatz: 850 Mio. bis 4,25 Mrd. EUR). Doch genau darin steckt die Absicht. „Je mehr ich das mache, desto weniger interessieren mich konkretes Wissen oder Erfahrungen“, sagt Hyams. Wichtiger seien für ihn Neugier und Anpassungsfähigkeit – Eigenschaften, die sich in keiner Excel-Tabelle und kaum im Lebenslauf abbilden lassen.

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Warum gerade diese Fragen?

Psychologisch betrachtet fordern beide Fragen etwas ein, das im Arbeitsleben oft zu kurz kommt: Selbstreflexion. Während Lebensläufe eine Geschichte von Erfolgen, Aufstieg und Expertise erzählen, fragen Hyams’ Lieblingsfragen nach der anderen Seite – nach der inneren Bewegung, dem Scheitern, der Bereitschaft, sich zu irren und daraus zu lernen.

Das ist klug. Denn wer einmal erlebt hat, komplett daneben gelegen zu haben, kennt die Unsicherheit, die Scham vielleicht, das Zurechtrücken des eigenen Weltbilds. Und wer sich trotzdem oder gerade deswegen wieder neu ausrichtet, zeigt Resilienz. Gerade heute, wo sich Arbeitsmärkte, Technologien und Geschäftsmodelle im rasenden Tempo verändern, sind genau das die Menschen, die Unternehmen brauchen: diejenigen, die bereit sind, sich selbst infrage zu stellen – und daraus Energie zu schöpfen.

Neugier als unterschätzte Kernkompetenz

Studien aus der Organisationspsychologie zeigen, dass neugierige Mitarbeitende kreativer arbeiten, eher ungewöhnliche Lösungswege finden und sogar besser mit Stress umgehen können. 

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Hyams illustriert das am liebsten mit persönlichen Leidenschaften. Wenn ihm jemand minutenlang von Sauerteigrezepten und Temperaturkurven erzählt, leuchten bei ihm die Signale auf Grün. Nicht, weil er selbst ein Fan von Brotbackkunst wäre. Sondern weil jemand, der sich freiwillig in ein so nerdiges Detailuniversum hineinkniet, vermutlich auch beruflich Spaß daran hat, Komplexes zu durchdringen, dran zu bleiben, zu verbessern.

Vorstellungsgespräche im Wandel?

Die beiden Fragen von Hyams passen in einen größeren Trend. Klassische Vorstellungsgespräche gelten zunehmend als Auslaufmodell. Fragen nach der „größten Schwäche“ oder dem „fünf-Jahres-Plan“ führen selten zu ehrlichen Antworten. Stattdessen setzen viele Unternehmen inzwischen auf situative Fragen oder ungewöhnliche Gesprächsformate, die mehr über den Menschen hinter den Zeugnissen verraten.

Doch das ist mehr als eine nette Spielerei. Gerade jüngere Generationen suchen nach Arbeitsumfeldern, in denen sie mit ihrer Persönlichkeit gesehen werden. Und für Unternehmen geht es längst nicht mehr nur darum, Stellen passend zu besetzen – sondern Teams zu schaffen, die langfristig tragfähig sind.

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Und wenn ich keine gute Antwort parat habe?

Vielleicht entsteht jetzt beim Lesen die Sorge: Muss ich jetzt eine passionierte Leidenschaft und eine spektakuläre Fehlentscheidung aus dem Hut zaubern? Nicht unbedingt. Hyams sagt selbst, dass ihn Antworten aus allen Lebensbereichen interessieren – es muss nichts sein, was unbedingt mit dem Job zu tun hat. Vielleicht waren Sie überzeugt, absolut keinen grünen Daumen zu haben – und züchten heute Zimmerpflanzen wie ein Profi.

Entscheidend ist weniger das Thema, sondern die Haltung dahinter. Bin ich bereit, offen über meine Lernprozesse zu sprechen? Kann ich Begeisterung zeigen – für irgendetwas?

Denn wer sich für etwas begeistert, so die unausgesprochene Logik von Chris Hyams, wird auch im Job mit Hingabe dabei sein. Und wer Fehler als Einladung zum Umdenken begreift, wird sich auch in unsicheren Zeiten neu erfinden können.

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Vielleicht erzählen solche Antworten dann wirklich mehr über uns als jeder noch so sorgfältig kuratierte Lebenslauf.

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