„Wer aufsteigen will, muss skrupellos sein“ oder „Karriere machen nur Ego-Typen“ sind typische Sätze, wenn über Chefposten, Führungsrollen und den dahinterliegenden Aufstieg gesprochen wird. Doch wie viel Wahrheit steckt darin? Wird man wirklich ein anderer Mensch, wenn man Karriere macht?

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Es sind immer die anderen Schuld

Viele, die sich nicht auf Führungspositionen bewerben oder den Aufstieg nicht aktiv forcieren, schieben ihre Entscheidung auf äußere Umstände: „Mir fehlen die notwendigen Kontakte“, „Ich will mich für eine Beförderung nicht verbiegen“, oder „Ich habe keine Zeit für eine Führungsrolle“. Hinter solchen Aussagen steckt in der Regel Vermeidungsverhalten. Karriere wird mit Anstrengung und Rücksichtslosigkeit auf Kosten anderer gleichgesetzt – eine bequeme Ausrede, um sich nicht der eigenen Komfortzone stellen zu müssen.

Paradoxerweise bleiben viele deshalb in Jobs, in denen sie erst recht nicht sie selbst sein können. Wer in einer niedrigen Hierarchiestufe steckt, hat meist wenig Einfluss darauf, welche Werte in einem Unternehmen gelebt werden. Wer dagegen aufsteigt, kann mitbestimmen, welchen Kurs ein Unternehmen nimmt – und ob Menschlichkeit im Berufsleben einen Platz hat oder nicht.

Macht verändert Menschen – aber wie?

Es gibt unzählige Beispiele für schlechte Führungskräfte: machtbesessen, empathielos, egozentrisch. Die Liste kann man gewiss noch fortsetzen. Und Macht? Sie kann Menschen verändern, weil sie Freiheiten schafft – aber die Art, wie jemand mit diesen Freiheiten umgeht, zeigt den wahren Charakter.

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Macht verstärkt bestehende Persönlichkeitszüge: Wer vorher rücksichtslos war, wird es in einer Führungsposition noch deutlicher ausleben. Wer dagegen wertorientiert handelt, kann seine Werte mit Einfluss tatsächlich durchsetzen.

Eine interessante Studie des Instituts für Psychologie der Universität Bern in Kooperation mit der Universität Gent zeigt, dass beruflicher Erfolg tatsächlich die Persönlichkeit verändern kann. Über einen Zeitraum von acht Jahren wurden mehr als 4.700 berufstätige Erwachsene untersucht. Das Ergebnis: Ein höheres Einkommen und berufliches Ansehen führten eher zu mehr emotionaler Stabilität und Offenheit für neue Erfahrungen, aber auch zu einer Abnahme der Extraversion. Erfolgreiche Menschen werden also ruhiger, belastbarer und reflektierter – gleichzeitig jedoch zurückhaltender in sozialen Interaktionen. Führungsrollen können so zwar effektiver ausgeübt werden, aber auch eine zunehmenden Distanz zu Mitarbeitenden bewirken.

Macht als Gestaltungsmacht sehen

Wer sich aus Angst vor Veränderung gegen eine Führungsrolle entscheidet, gibt auch die Möglichkeit ab, aktiv eine bessere Arbeitswelt zu gestalten. Ob eine Firma ein toxisches Arbeitsumfeld hat oder nicht, hängt auch davon ab, wer an der Spitze sitzt. Wer glaubt, „da oben“ ginge es nur unfair und unmenschlich zu, überlässt das Feld genau jenen, die diese Kultur prägen.

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