Die moderne Arbeitswelt ist vermessen. Leistungen werden quantifiziert, Gespräche geführt, Ziele dokumentiert. Überall entstehen neue Tools und Methoden, mit denen sich Mitarbeitende bewerten, führen, entwickeln lassen. Nur an einem Ort bleibt es seltsam still: dort, wo die Entscheidungen fallen – bei den Führungskräften.

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Führung scheint vielen Unternehmen noch immer wie ein Automatismus: Wer gut arbeitet, darf andere anleiten. Wer sichtbar ist, wird befördert. Wer lange bleibt, wird irgendwann Chef. Die Qualifikation? Nicht selten: keine.

Dabei ist längst belegt, welchen Schaden das anrichtet – nicht nur für einzelne Teams, sondern für die gesamte Organisation. Eine Studie des britischen Chartered Management Institute (CMI), erstellt in Kooperation mit YouGov, legt den Finger genau in diese Wunde: Schlechte Führung ist keine Bagatelle. Sie ist strukturell – und damit planbar, vorhersehbar, vermeidbar.

Das stille Leiden unter schlechten Chefs

In der Studie geben ein Drittel aller befragten Beschäftigten an, ihren Job aufgrund negativer Unternehmenskultur verlassen zu haben. Die Gründe? Schlechte Kommunikation, mangelnde Wertschätzung, inkonsequentes Verhalten – kurz: Führungskräfte, die ihre Rolle nicht ausfüllen.

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Nur ein Viertel der Mitarbeitenden beschreibt die eigene Führungskraft als wirklich effektiv. Die Hälfte jener, die das Gegenteil empfinden, plant den Absprung innerhalb der nächsten zwölf Monate.

Lese-Tipp: Mitarbeiter verlassen keine Unternehmen, sondern Vorgesetzte

Und das mit Folgen: Nicht nur die Motivation leidet, sondern auch die Leistungsbereitschaft, das Engagement, die Bindung an das Unternehmen. Es ist ein schleichender Prozess – bis man sich als Mitarbeiter fragt, wofür sich das Arbeiten in diesem Unternehmen überhaupt noch lohnt.

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Dabei ist schlechte Führung nicht nur eine Frage der Persönlichkeit – sondern eine Frage der Vorbereitung auf die Rolle.

Der Mythos vom natürlichen Führungsinstinkt

82 Prozent aller neuen Führungskräfte erhalten vor „Amtsantritt“ keinerlei Ausbildung – weder in puncto Leadership noch im Umgang mit Menschen. Sie führen „intuitiv“, also mit dem, was ihnen zur Verfügung steht: eigenen Erfahrungen, Bauchgefühl, Halbwissen. Manche tun das einfühlsam. Andere ahmen das nach, was sie selbst erlebt haben: autoritäres Verhalten, Kontrolle, Schweigen.

So entstehen sie, die zufälligen Chefs. Die „accidental managers“, wie sie die CMI-Studie nennt. Menschen in wahrgenommenen Machtpositionen, die nie gelernt haben, was Macht bedeutet – außer, dass man sie nutzen kann.

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Dabei hat sich die Arbeitswelt längst verändert. Heute reicht es nicht mehr, Aufgaben zu verteilen, Meetings zu moderieren und Menschen auf Leistung zu trimmen. Wer führt, muss Menschen lesen können. Zuhören. Orientierung geben. Verantwortung übernehmen – nicht nur für Ergebnisse, sondern auch für Stimmungen im Team.

Was gute Führung leisten kann – wenn man sie ernst nimmt

Dass Führung erlernbar ist, gilt als Binsenweisheit – in der Praxis wird sie dennoch selten konsequent umgesetzt. Dabei lässt sich der Unterschied messen: Laut Studie fühlen sich 72 Prozent der Beschäftigten mit ausgebildeten Führungskräften am Arbeitsplatz wertgeschätzt. In Teams ohne geschulte Leitung sind es nur 15 Prozent.

Auch die Leistungsdaten sind eindeutig: Unternehmen, die aktiv in Führungskräfteentwicklung investieren, steigern ihre Performance um bis zu 23 Prozent – und ihre Mitarbeiterbindung um ein Drittel.

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Gute Führung schafft somit Verlässlichkeit. Sie macht Konflikte besprechbar, Talente sichtbar, Probleme lösbar. Sie handelt, wo andere abtauchen. Und sie erkennt, dass Macht keine Absicherung ist – sondern ein Angebot zur Verantwortung.

Ein System, das schlechte Chefs erzeugt

Man könnte meinen, solche Erkenntnisse hätten längst Eingang in die Personalpolitik und in die Köpfe der Managementebene gefunden. Doch das Gegenteil ist der Fall: Führungspositionen werden noch immer nach Verfügbarkeit, Betriebszugehörigkeit oder gar Vetternwirtschaft vergeben – nicht nach Eignung. So werden aus Fachkräften Führungskräfte – oft ohne echtes Interesse an Menschenführung. Schließlich will man den attraktiven Gehaltssprung nicht verpassen.

Die Folge: Führung wird zu etwas, das eher „nebenbei“ passiert. Zwischen Projekt-Calls und Excel-Tabellen. Zwischen KPIs und Termindruck. Die Aufgabe, andere in ihrer Entwicklung zu begleiten, wird zur Nebensache – oder gar zur Belastung.

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Was bleibt, ist ein Unternehmen voller Symptome: Frust, Fluktuation, emotionale Erschöpfung. Und ein System, das sich selbst immer weiter reproduziert.

Führung ist eine Aufgabe – ist ein Versprechen

Was es braucht, ist kein weiteres Führungsmodell aus der Welt der Buzzwords, sondern die Anerkennung, dass Führung Qualifikation verlangt – und Reflexion. Sowie die Bereitschaft, sich nicht nur mit anderen, sondern auch mit sich selbst auseinanderzusetzen.

Solange Führungsverantwortung aber nur als weiterer Karriereschritt angesehen wird und nicht als Kompetenz, bleibt das System fehleranfällig. Denn wer Menschen führt, ohne dafür vorbereitet und qualifiziert zu sein, hinterlässt nicht nur verunsicherte Teams – sondern beschädigt auch die Glaubwürdigkeit und den wirtschaftlichen Erfolg des gesamten Unternehmens.

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