„Wie, ich muss mich anstrengen, um einen Job zu bekommen?“ Zugegeben, ein wenig spitz – aber nicht ganz daneben. Die goldenen Jahre des Bewerbermarkts? Vorbei. Recruiting auf Augenhöhe? Eher wieder von oben herab.
Wer mit einer Vielzahl von Benefits, Feelgood-Managern und 4-Tage-Woche ins Berufsleben gestartet ist, sollte jetzt besser den Hoodie anziehen. Der Wind dreht.
Was ist ein Arbeitgebermarkt?
Ein Arbeitgebermarkt bedeutet: weniger offene Stellen, mehr Bewerber. Das Machtverhältnis verschiebt sich – vom Talent, das sich den besten Arbeitgeber aussucht, hin zur Firma, die sich aus einem Pool an Bewerbungen das perfekte Human-Puzzleteil pickt. Im Bewerbermarkt – so wie wir ihn die letzten Jahre erlebt haben – war das anders. Fachkräftemangel. Unternehmen, die sich verbogen haben, um Talente zu gewinnen. Homeoffice? Klar. Workation? Warum nicht. 80 Prozent bei vollem Gehalt? Muss drin sein. Doch jetzt: Game over?
Warum dreht sich der Arbeitsmarkt gerade jetzt?
Schuld ist – natürlich – die Wirtschaft. Inflation. Geopolitische Krisen. Investitionsstau. Besonders große Konzerne aus dem DAX stellen aktuell deutlich weniger Leute ein. Wenn selbst Platzhirsche wie VW, Bayer & Co. auf die Bremse treten, zieht das Wellen.
- Stellenanzeigen? Rückläufig.
- Investitionen ins Recruiting? Stagnierend.
- Statt „Wir suchen dringend Verstärkung“ heißt es vielerorts: „Hiring Freeze“ oder „Job Cuts.“
Willkommen im neuen alten Arbeitsmarkt. Auch aus der Politik ist längst der Wind raus aus der Wohlfühlzone. Schon im Koalitionsvertrag geht es wieder ums „Anpacken, Arbeiten, Wachstum“ – und nicht ums Wünschen, Zweifeln und Diskutieren. Wer auf flauschige Work-Life-Parolen gehofft hat, wird enttäuscht. Die politischen Rahmenbedingungen zielen klar auf wirtschaftliche Stabilisierung – nicht auf Feelgood-Kultur. Und das wirkt sich direkt auf Personalpolitik und Stellenausschreibungen aus.
Realitätsschock für eine ganze Arbeitsgeneration
Viele, die in den letzten Jahren ins Berufsleben gestartet sind, trifft es besonders hart.
Der Arbeitsmarkt war bislang freundlich. Verständlich. Fast schon verwöhnt. Jetzt zeigt er wieder Zähne. Im Lebenslauf steht zwar „Growth Mindset“ und „Remote Skills“ – aber Berufserfahrung? Fehlanzeige. Und plötzlich gibt es wieder Auswahlverfahren. Probearbeiten. Absagen.
Wer dann im Bewerbungsgespräch fragt, wie viele Mental-Health-Tage das Unternehmen gewährt, hat vielleicht schon verloren, bevor die HR-Software den Lebenslauf überhaupt aufgerufen hat.
Was bedeutet das für den Berufsalltag?
- Mehr Bewerber auf weniger Jobs? längere Auswahlprozesse
- Unternehmen diktieren wieder etwas stärker die Bedingungen? Weniger Verhandlungsspielraum
- Benefits? Könnten wieder reduziert werden
- Flexibilität? Nur wenn’s zur Kostenstruktur passt
- Sinn? Schön und gut – aber bitte erst nach der Probezeit
Wie also behaupten im neuen Arbeitgebermarkt?
1. Realismus statt Romantik
Ja, dein Job darf Spaß machen – aber er muss sich auch rechnen. Für beide Seiten. Wer glaubt, Erfüllung sei ein Grundrecht im Arbeitsvertrag, wird enttäuscht. Der Arbeitsmarkt honoriert Einsatz – nicht Erwartung. Selbstverwirklichung ist schön, aber kein Geschäftsmodell. Karriere heißt auch Kompromiss.
2. Skills statt Buzzwords
Ein Instagram-Feed ist kein Lebenslauf – noch nicht. Canva? Kein Ersatz für eine fundierte Berufsausbildung. Doch genau die machen immer weniger junge Menschen. Die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungen sinkt seit Jahren – als wäre „Content Creator“ plötzlich ein offizieller Ausbildungsberuf.
Ich verstehe den Wunsch nach Freiheit. Nach Selbstbestimmung. Auch ich habe Anfang der 2000er mit dem sogenannten Internet angefangen – und wurde dafür belächelt. Aber der Arbeitsmarkt braucht nicht nur Kreative mit Ideen – er braucht auch Handwerk, Know-how, Substanz. Ohne das funktioniert der Arbeitsmarkt nicht – heute nicht und in Zukunft erst recht nicht.
3. Resilienz statt Rückzug
Scheitern gehört zum (Berufs-)Leben. Ablehnung auch. Nur: Viele kennen beides kaum. Es gab lange Zeit keinen echten Konkurrenzdruck. Keine Bewerbungsstapel. Kaum Absagen. Jetzt kommt all das zurück. Also: durchbeißen statt zurückziehen.
Willkommen im Ernst des Lebens
Der Wandel zum Arbeitgebermarkt ist keine Katastrophe. Wandel gab es schließlich schon immer. Und oft hat er Gutes bewirkt, Neues hervorgebracht, Dinge bewegt. Aber dieser Wandel ist ein Weckruf. Vor allem für jene, die dachten, der Arbeitsmarkt sei ein Wunschkonzert mit garantierter Standing Ovation. Wer heute klug ist, nutzt die Zeit, um nachzuschärfen: Kompetenzen, Auftreten, Mindset. Denn auch wenn der Wind rauer wird – wer Segel setzen kann, kommt trotzdem ans Ziel.
Vielleicht ist es auch Zeit, der jungen Generation mal Danke zu sagen. Danke für eine Arbeitswelt, die flexibler, menschlicher, bunter geworden ist. Viele von uns – gerade die Älteren, Boomer vor allem – haben davon profitiert: mehr Homeoffice, mehr Care-Tage, mehr Balance. Dass diese Wohlfühlkultur überhaupt da war, war auch ihr Verdienst.