Früher war Karriere ein klares Commitment. Wer hart arbeitete, durfte hoffen: auf mehr Geld, mehr Verantwortung, mehr Status. Der lineare Aufstieg war Ziel und Ideal zugleich. Doch dieses Bild wankt. Eine aktuelle Studie von KOFA und meinestadt.de zeigt: Viele Fachkräfte in Deutschland haben mit der klassischen Karriere abgeschlossen.
Was heißt heute eigentlich Karriere?
Rund 68 Prozent der befragten Fachkräfte verbinden Karriere nach wie vor mit mehr Gehalt. 52 Prozent denken zudem auch an Führungsverantwortung. Doch ebenso viele fühlen sich bei dem Gedanken an Karriere gestresst. Nur eine Minderheit denkt bei Karriere an Gestaltungsmöglichkeiten oder gar Sinn. Für viele ist Karriere nicht mehr das große Ziel, sondern eine Option unter vielen. Die Zeiten, in denen man sich für einen Weg entschied und diesen stoisch durchzog, scheinen vorbei zu sein. Stattdessen wird flexibler gedacht – und auch gehandelt.
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Die Folge: Über 60 Prozent geben an, dass Karriere für sie kein wichtiges Lebensziel mehr ist. Besonders auffällig: Dieser Karriereverdruss zieht sich durch alle Altersgruppen. Zwar ist der Wunsch nach Aufstieg bei den Jüngeren noch etwas ausgeprägter. Doch schon bei den 25- bis 34-Jährigen zeigt sich ein deutlicher Wertewandel. Sie wollen gestalten, bewegen, aber nicht um jeden Preis führen. Karriere wird neu gedacht – nicht im Stufenmodell der klassischen Karriereleiter, sondern als Möglichkeitsraum.
Karriere ohne Führung? Ja, bitte!
Nicht alle wollen Chef oder Chefin werden. Ganz im Gegenteil: Von den Fachkräften ohne derzeitige Führungsverantwortung streben nur 11,6 Prozent eine klassische Karriere mit Personalverantwortung an. 40 Prozent wollen sich lieber fachlich weiterbilden, ohne eine Hierarchiestufe erklimmen zu müssen.
Fachkarrieren, Spezialisierung, Projektverantwortung – das sind die neuen Karrierepfade. Der Status ergibt sich nicht mehr zwingend aus der Position, sondern aus dem Beitrag, den jemand leistet. Arbeitgeber, die diesen Karrierewandel erkennen, können gezielt auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden eingehen. Denn wer Entwicklung ermöglicht, ohne Druck aufzubauen, wird Talente langfristig halten.
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„Unser Team“ statt „Dein Aufstieg“ – neue Worte, neue Wirkung
Wenn es um die Ansprache in Stellenanzeigen geht, zeigt sich der Wertewandel besonders deutlich. Formulierungen wie „Wir fördern gute Ideen“ oder „Weiterkommen ohne Führungsverantwortung“ sprechen deutlich mehr Fachkräfte an als klassische Karriereversprechen. Nur rund 10 Prozent fühlen sich von Slogans wie „Jetzt startet deine Karriere“ wirklich angesprochen. Das klingt nach Wettbewerb, Druck und Egotrip – also genau nach dem, was viele gerade hinter sich lassen wollen.
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Auch der Begriff „Karriereseite“ verliert an Strahlkraft. „Unser Team“ oder „Wir als Arbeitgeber“ wirken auf Bewerbende vertrauensvoller und zeitgemäßer. Es zählt nicht mehr nur der Weg nach oben, sondern der Raum, wo man gemeinsam wirken und gestalten kann. Gerade jüngere Generationen wollen spüren, dass ihre Arbeit Sinn macht – und dass sie gesehen werden, auch ohne Titel auf dem Türschild.
Warum das klassische Karrieremodell nicht mehr trägt
Die Vorstellung von Karriere als stetiger Aufstieg stammt aus einer Arbeitswelt, die heute kaum noch existiert – oder besser gesagt: ihre Daseinsberechtigung immer mehr verliert. Lange Betriebszugehörigkeit, Hierarchien, klar definierte Laufbahnen – das waren mal die Leitplanken. Heute herrscht stattdessen Bewegung. Menschen wechseln häufiger den Job, Branchen verändern sich ständig, Lebensentwürfe werden individueller. Und: Das Vertrauen in Unternehmen als sichere Arbeitgeber hat Risse bekommen. Wer sich heute auf einen Arbeitgeber einlässt, tut das bewusst, aber meist nicht mehr für immer.
Viele steigen aus, bevor sie „Karriere machen“. Das hat weniger mit mangelnder Motivation oder Leistungsbereitschaft zu tun, viel eher trägt das klassische Karrieremodell einfach nicht mehr. Die alten Aufstiegsversprechen wirken wie aus der Zeit gefallen. Titel und Status verlieren ihren Glanz, wenn dafür das Privatleben geopfert werden muss.
Denn: Der Aufstieg verspricht viel, hält jedoch selten das, was man sich davon erhofft. Mehr Arbeit, mehr Druck, mehr Verantwortung – aber nicht unbedingt mehr Zufriedenheit. Ganz im Gegenteil. Viele, die aufgestiegen sind, fühlen sich ausgelaugt, aufgerieben zwischen Meetings, Mails und Erwartungen. Führung wird so zur Belastung, nicht zur Belohnung.
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Und trotzdem: Wer aufgewachsen ist mit Eltern, für die der Aufstieg alles war, für die die erste Führungsposition einem Ritterschlag gleichkam, bekommt diese Denkweise mit auf den Weg. „Mach das so. Bewirb dich da. Zieh das durch.“ Karriere wird quasi vererbt, nicht hinterfragt. Was einmal geholfen hat, soll bitte weitergegeben werden. Nur: Es hilft heute oft nicht mehr.
Denn die Arbeitswelt hat sich verändert. Und mit ihr auch das, was Menschen von einem Beruf erwarten. Wer da noch mit Karriere-Ratschlägen von 1997 kommt, mag es gut meinen, liegt aber oft daneben. Gut gemeinte Tipps helfen nur, wenn sie zur Realität passen. Und die sieht heute anders aus als noch vor 30 Jahren.






