Transparente Löhne sind Fluch und Segen zugleich: Werden Daten offengelegt, steigen Unzufriedenheit und Arbeitsleistung gleichzeitig an – so die Ergebnisse aktueller Untersuchungen.

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Während vor allem junge Start-ups und moderne Unternehmen mit unterschiedlichen New-Pay-Konzepten der Lohndiskriminierung entgegenwirken wollen, machen Untersuchungen darauf aufmerksam, dass offene Lohn- und Gehaltsstrukturen die Situation zunehmend verschärfen könnten.

Forscher der UCLA, der University of Wisconsin und der Washington University fanden in ihren Untersuchungen heraus, dass „hochbezahlte“ Arbeitnehmer die Lohninformationen nutzen könnten, um Unternehmen mit noch höheren Gehaltswünschen unter Druck zu setzen. Ein Umstand, der zum Nachdenken anregt. Denn nicht nur Menschen mit niedrigen Löhnen bekommen die entsprechenden Informationen, wenn Daten offengelegt werden. Zudem seien transparente Gehaltsstrukturen, so die Wissenschaftler, keine Wundermittel, um die vorhandenen Lohnprobleme gänzlich zu lösen.

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Lohninformationen motivieren dazu, mehr zu leisten

Eine weitere theoretisch-experimentelle Forschung hat den Zusammenhang zwischen Lohntransparenz und Arbeitsleistung untersucht. Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Probanden, die im Experiment über Gehaltsinformationen verfügten, tendierten dazu, mehr leisten zu wollen und sind demnach bereit, mehr Gas zu geben und härter zu arbeiten.
  • Die Arbeitsleistung steigt unabhängig davon, ob ein Teilnehmer nur den Durchschnittsverdienst aller anderen Teilnehmer oder die Vergütung von einzelnen Personen sieht. In beiden Fällen waren die Probanden motivierter, mehr zu leisten.
  • Sowohl Arbeitnehmer, die zum Hochstapler-Syndrom tendieren und ihre Fähigkeiten viel zu bescheiden einschätzen, als auch diejenigen, die sich besser einschätzen, als sie es in Wirklichkeit sind, arbeiten härter – so das Modell. Die „Bescheidenen“, weil sie nicht auf der Strecke bleiben wollen– und die anderen, um Kollegen zu übertrumpfen.
  • Die dritte Gruppe – diejenigen, die ihren Fähigkeiten gegenüber neutral und unvoreingenommen sind und sich weder überschätzen noch unterschätzen – geben sich laut Modell ebenfalls mehr Mühe bei ihrer Arbeitsleistung, wenn sie die Gehaltsinformationen ihrer Kollegen haben. Weil sie bei den Bemühungen der anderen, so heißt es weiter, ebenfalls mithalten wollen.

Übrigens: Das Experiment zeigt auch, dass die Probanden, die keinerlei Informationen zur Bezahlung erhielten, im Vergleich auch nicht härter arbeiteten oder die Tendenz zeigten, mehr leisten zu wollen. Der Einflussfaktor „Bezahlung“ war also ausschlaggebend für das Verhalten der Teilnehmer.

Psychologie des Konkurrenzdenkens: Messen ist tief verwurzelt

Die Studienergebnisse erwecken zweifelsohne den Eindruck, dass etwas zum Vorschein kommt, was im Menschen tief verwurzelt ist: das Konkurrenzdenken. Denn wir konkurrieren in jeder Hinsicht – sei es um die Religion, um das Aussehen, um den besseren Job, um mehr Geld, um die Weltansicht. Es verwundert also wenig, dass nur das Offenlegen der Lohndaten bereits ausreicht, um einen Anreiz zu schaffen, das Konkurrenzdenken „einzuschalten“ und loszulegen.

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Rivalität hat aber auch Vorteile – denn nicht ohne Grund sind wir von Natur aus Wesen, die konkurrieren: Wir mobilisieren unsere Kräfte, um leisten zu können und finden Freude im Wettbewerb. Ein Sieg weckt unseren Ehrgeiz und eine Niederlage oft die Motivation, es noch einmal zu versuchen und nicht aufzugeben.

Kritisch: Arbeitszufriedenheit sinkt

Eine andere im „Journal of Organization Behaviour“ erschienen Forschungsstudie zeigt, dass wir nicht unbedingt zufriedener sind, wenn wir transparente Lohnsysteme einführen. Denn die Arbeitszufriedenheit kann sinken, wenn wir erfahren, was unsere Kollegen verdienen, während wir selbst weniger vom Arbeitgeber erhalten. Unzufriedenheit führt generell dazu, dass wir schließlich wenig motiviert zur Arbeit kommen, innerlich kündigen oder darüber nachdenken, den Job aufzugeben.

Zudem machen es langjährig etablierte Lohnsysteme und Vertragsvereinbarungen nicht ganz einfach für Menschen, die sich hinsichtlich ihres derzeitigen Arbeitslohns ungerecht behandelt fühlen, eine Änderung zu erreichen – und das könnte die Frustration zusätzlich steigern. Was nicht heißen soll, dass sich nicht etwas ändern muss. Sondern dass es weiterer Schritte und Veränderungen bedarf, um gegen Lohndiskriminierung auch in der Praxis anzukommen.

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Arbeitgeber könnten Lohntransparenz zu ihrem Vorteil nutzen, während Arbeitnehmer leiden

Neben der sinkenden Arbeitszufriedenheit ist es aus Arbeitnehmersicht problematisch, mehr und mehr zu leisten, und das „nur“, um Kollegen zu übertrumpfen oder um nicht hinterherhinken zu müssen. Denn so besteht die Gefahr, eigene körperliche und mentale Grenzen zu überschreiten, um dem erhöhten Leistungsanspruch gerecht werden zu können. Frustration, Burnout sowie chronischer Stress sind vorprogrammiert – denn Leistungsdruck hat dunkle Schattenseiten.

Die Forschungsergebnisse zeigen nicht ganz „ungefährliche“ Ergebnisse in Bezug auf die Arbeitsleistung: Arbeitgeber, die bisher mit modernen Transparenzkonzepten haderten, könnten nun die Gelegenheit nutzen und sich für mehr Offenheit starkmachen, damit Arbeitnehmer motiviert werden, noch härter zu arbeiten. Vor allem, weil Studienteilnehmer bereit waren, auch ohne eine höhere Vergütung mehr zu leisten, spricht das soziale Experiment gegen Lohntransparenz – weil Unternehmen es sich „falsch“ für sich nutzen könnten, um zu profitieren.

Was heißt das für Deutschland?

Aus Sicht von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die offene Lohnstrukturen etablieren wollen, um faire Chancen für alle zu schaffen, ist Lohntransparenz durchaus sinnvoll. Es ist also auch motivabhängig. Dennoch wird das Thema immer wieder heiß diskutiert – und auch unter Forschern und Experten scheiden sich die Geister.

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Fakt ist: Für deutsche Arbeitnehmer wird Transparenz wichtiger. Obwohl die Studienergebnisse zunächst etwas besorgniserregend klingen, gibt es nicht nur Schlechtes zu berichten. Denn viele Arbeitnehmer würden laut kununu das Offenlegen von Lohn- und Gehaltsdaten befürworten.

Auch wenn es in Sachen Lohn- und Gehaltstransparenz noch viel zu tun gibt und potenzielle Nachteile für Arbeitnehmer erkennbar sind, wenn Gehaltsdaten offengelegt werden, existieren Unternehmen, die neuartige Lohnsysteme eingeführt haben. Neben dem gesetzlichen Auskunftsanspruch bieten beispielsweise einige junge Start-ups innovative Systeme an, um ihre Attraktivität für Arbeitnehmer zu steigern und transparente Einblicke in ihre Lohn- und Gehaltspolitik zu bieten. Aus Arbeitnehmersicht bietet Transparenz und Offenheit vor allem Sicherheit und Planbarkeit. Beschäftigte wissen, wie ihr Verdienst sich zusammensetzt.

Gesetz zur Lohntransparenz in Deutschland: Aktueller Stand

In der Bundesrepublik soll das seit 2017 existierende Entgelttransparenzgesetz der Lohndiskriminierung entgegenwirken. Das Gesetz bezieht sich auf eine Ungleichbehandlung, die auf das Geschlecht sowie auf die Lohnlücke (Gender Pay Gap) zwischen Männern und Frauen zurückzuführen ist. Bei gleicher oder bei gleichwertiger Arbeit soll so sichergestellt werden, dass niemand wegen seines Geschlechts weniger verdient – das ist zumindest das übergeordnete Ziel.

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In der Praxis sorgt das Gesetz jedoch „nur“ dafür, dass Beschäftigte Informationen zum Verdienst (Medianeinkommen) von vergleichbaren Arbeitnehmern des anderen Geschlechts erhalten: Es gibt keinen Anspruch auf eine Lohnanpassung – nur einen Anspruch auf Auskunft.

Zudem ist der Auskunftsanspruch an einige Bedingungen geknüpft, die allen voran dem Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dienen sollen, es insgesamt aber nicht einfacher machen. So werden Beschäftigte, die in einem Unternehmen mit weniger als 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern tätig sind, keine Auskunft bekommen. Ein Nutzen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kleinen Betrieben ist also kaum vorhanden.

Zusammengefasst: Die Auswirkung von transparenten Lohnsysteme ist noch unklar

Das Offenlegen von Lohn- und Gehaltsdaten hat Vor- und Nachteile für Arbeitgeber: Einerseits wirkt Transparenz auf Arbeitnehmer attraktiv. Geht man nach den Studienergebnissen, sind Beschäftigte außerdem bereit, mehr zu leisten, wenn sie wissen, wie viel ihre Kollegen verdienen. Andererseits stünden Unternehmen unter Druck, sich zu erklären, die Faktoren für die Zusammenstellung der Löhne rechtfertigen zu müssen und auch mit den hochbezahlten Arbeitnehmern zu verhandeln.

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Für Arbeitnehmer sieht es nicht anders aus: Zu den Sonnenseiten gesellen sich einige Schattenseiten – und noch ist unklar, wie offene Gehaltsstrukturen sich langfristig auf die Zufriedenheit auswirken. Will man den Forschungsergebnissen trauen, könnte die Arbeitsunzufriedenheit wachsen.

Bildnachweis: Denis Novikov/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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