Eine offene Gehaltsstruktur soll Ungerechtigkeiten verhindern, zum Beispiel das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen. Die Transparenz der Gehälter hat jedoch Schattenseiten.

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Bereits im Jahr 2007 ist in Dänemark der „Equal Pay Act“, welcher geschlechtsspezifische Lohndiskriminierung verhindern soll, in Kraft getreten. Auch Unternehmen in Kalifornien – darunter beispielsweise Riesen wie Apple, Disney und Intel – werden einen wichtigen Schritt gehen müssen: Sie werden ab 2023 per Gesetz dazu angehalten, Gehaltsspannen in ihren Jobinseraten zu veröffentlichen. Dies gilt für Unternehmen, die mehr als 15 Mitarbeiter beschäftigen. Wer gegen die Offenlegungspflicht verstößt und die Ausschreibungen auch danach nicht aktualisiert, hat mit Strafen zu rechnen.

Der Hintergrund: Bis heute gibt es systematische Missstände und Diskriminierung, wenn es um die Vergütung von Beschäftigten geht. Arbeitende, die sich in der gleichen Position befinden und die gleiche Arbeitsleistung erbringen, dafür jedoch ein geringeres Arbeitsentgelt erhalten, fühlen sich benachteiligt. Betroffen sind zum Beispiel Menschen, die rassistisch diskriminiert werden (BIPoc) und auch Frauen.

Auch in Deutschland wird Gehalt- oder Lohntransparenz immer mehr zum Thema. Um Ungerechtigkeiten anzugehen und Entgeltstrukturen transparent zu machen, hat die Bundesregierung bereits 2017 das sogenannte „Entgelttransparenzgesetz“ ins Leben gerufen. Das Gesetz soll vor allem der Ungleichbehandlung von Frauen entgegnen und für mehr Nachvollziehbarkeit bei der Zusammensetzung des Lohns sorgen.

Vor- und Nachteile von transparenten Gehältern

Vor allem junge Start-ups werben heute mit offenen Lohn- und Gehaltsstrukturen. Auf diese Weise sollen Mitarbeiter die Chance bekommen, zu erfahren, warum sie wie viel Geld bekommen.

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Vorteile auf einen Blick

#1: Faire Chancen für alle:

Eine offene Lohnkultur verstärkt die Grenzen, die seitens der Arbeitgeber überschritten werden müssten, um Beschäftigte finanziell zu benachteiligen. Somit ergeben sich faire Lohn- und Gehaltschancen für alle.

#2: Stärkung der eigenen Unternehmenskultur:

Die Offenheit in Bezug auf die Entgeltzahlung kann dafür sorgen, dass die Identität des Unternehmens besser realisiert und gelebt wird; intransparente Handlungen werden erschwert.

#3: Vermeidung von Konflikten:

Missverständnisse, die mit der Lohn- und Gehaltszahlung zu tun haben, werden verhindert; Konflikte können bei Bedarf mit konkreten Zahlen untermauert werden.

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Grundsätzlich klingen transparente Gehälter, wenn wir uns die Vorteile anschauen, erstrebenswert. Es gibt aber Nachteile, die nicht unterschätzt werden sollten.

Nachteile auf einen Blick

#1: Tendenziell niedrigere Löhne:

Eine Untersuchung der Harvard-Wissenschaftlerin Zoe B. Cullen hat ergeben, dass die Bezahlung in Unternehmen mit offener Gehaltsstruktur – im Vergleich zu Unternehmen, die keine offene Struktur leben – niedriger ausfällt. Beschäftigte halten bis zu acht Prozent weniger.

Dies sei auf den sogenannten Gleichgewichtseffekt zurückzuführen: Weil die Gehälter transparenter seien, würde das Lohnniveau insgesamt sinken. Denn Unternehmen würden sich nicht mehr so schnell und bereitwillig auf weitere Gehaltsverhandlungen einlassen, nachdem sie wüssten, dass durchgesetzte Forderungen weitere Forderungen bedeuten könnten.

#2: Gefahr der Missgunst:

Wer in einem Unternehmen mit offener Gehaltsstruktur arbeitet, erfährt nicht nur, ob die eigene Bezahlung fair ausfällt. Sondern auch, was auf den Bankkonten der anderen Mitarbeiter landet. Die Gefahr, missgünstig zu werden, steigt. Die subjektive Wahrnehmung der Lohnungerechtigkeit, etwa wenn man als Geringverdiener im Unternehmen arbeitet, könnte damit zusätzlich steigen, obwohl die Bezahlungen nach objektiven Kriterien fair ausfallen. Konflikte am Arbeitsplatz oder passiv-aggressive Wettkämpfe zwischen den Mitarbeitern sind nicht ausgeschlossen.

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Lage in Deutschland: Regelungen nach dem Entgelttransparenzgesetz

Das in Deutschland geltende Entgelttransparenzgesetz soll sicherstellen, dass Beschäftigte erfahren, nach welchen Kriterien ihr Entgelt bestimmt wird. Es basiert auf der Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen.

Wichtig: Das Entgelttransparenzgesetz ist nicht per se gleichzusetzen mit einer offenen Gehaltsstruktur, wie sie beispielsweise in Start-ups vorherrscht. Per Gesetz besitzen Beschäftigte vielmehr einen Auskunftsanspruch gegenüber ihrem Arbeitgeber oder dem Unternehmen, in dem sie arbeiten. Das bedeutet, sie erhalten Informationen erst auf Anfrage und in regulierter Form, wie es das Gesetz vorsieht. Sollten Beschäftigte herauszufinden, dass sie ungleich behandelt werden, können sie anschließend dagegen angehen.

Um Auskunft zu erhalten, gibt es jedoch Bedingungen: Das Unternehmen muss mehr als insgesamt 200 Menschen beschäftigen und mindestens sechs Mitarbeiter müssen – aus datenschutzrechtlichen Gründen – in einer vergleichbaren Position arbeiten. Private Arbeitgeber mit mehr als 500 Mitarbeitern werden im Rahmen des Gesetztes überprüft, damit sichergestellt werden kann, dass transparente Entgeltstrukturen vorherrschen.

Gut zu wissen: Wenn keine Tarifbindung existiert, wenden sich Angestellte direkt an ihre Arbeitgeber. Sofern es sich um tarifgebundene Firmen mit Eingruppierung handelt, können diejenigen, die ihr Recht auf Auskunftserteilung in Anspruch nehmen wollen, den Betriebsrat fragen.

Das Entgelttransparenzgesetz ist nicht ganz unproblematisch

Das Entgelttransparenzgesetz weist Lücken auf. Dass Beschäftigte in kleineren Betrieben keine Chance haben, auf einen Auskunftsanspruch zurückzugreifen, ist die eine Sache. Die andere ist, dass Auskunftssuchende nur alle zwei Jahre Informationen verlangen dürfen. Obwohl die Bezahlung sich aus mehreren Bestandteilen zusammensetzt, erfahren Auskunftssuchende zudem nicht alle Kriterien für die Zusammensetzung, was ein Vorgehen gegen die Ungerechtigkeit erschwert.

Im Klartext bedeutet das: Wird eine Frau finanziell benachteiligt, hat sie einige Hürden zu überwinden, um gegen die Ungleichheit anzugehen. Zudem verhindert das Entgelttransparenzgesetz, sich mit Frauen innerhalb des Gehaltssystems zu vergleichen – weil der Auskunftsanspruch sich immer auf das jeweils andere Geschlecht, nicht aber auf dasselbe bezieht.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Auskunft des Arbeitgebers nicht ausreicht, um Diskriminierung vor Gericht zu beweisen und Recht zu bekommen. Wenn Betroffene sich lediglich auf den Median, also auf das mittlere Durchschnittseinkommen des anderen Geschlechts beziehen, genügt dies nicht. Es gilt, ergänzende Faktoren zu benennen. Das könnte beispielsweise ein nicht nachvollziehbares, also ein intransparentes System für die Bezahlung der Mitarbeiter sein.

Open Salaries: Offene Gehaltsstrukturen wirken für Beschäftigte spannend

Weg vom Entgelttransparenzgesetz – und hin zu den Unternehmen, die offene Gehaltsstrukturen in die Tat umsetzen. Häufig handelt es sich um junge Unternehmen, die als Start-up aufblühen und ihre zukünftigen Arbeitnehmer mit Transparenz überzeugen wollen. Die Umsetzung erfolgt auf unterschiedlich Weise. Eine Idee: Alle Gehaltszahlungen werden gegenüber den anderen Kollegen offengelegt, untermauert mit einer Begründung für die Höhe der Summe.

Auch „Buffer“ begann als Start-up und ist vor allem für seine Transparenz bekannt. Keine Büroräume, alle Firmendaten öffentlich einsehbar, sogar E-Mails werden veröffentlicht. Das Unternehmen gilt als einer der Pioniere, die dafür stehen, Offenheit und Transparenz zu leben. Mitarbeiter können sehen, wie sich ihre Gehälter zusammensetzen. Kriterien sind unter anderem die Jobposition, der Standort, von dem sie arbeiten und ihre Erfahrung.

Bis heute wird darüber diskutiert, ob eine solch radikale Transparenz mehr Vorteile oder mehr Nachteile hat. Ob sie zu mehr Zufriedenheit unter den Mitarbeitern führt oder zu mehr Neid und Frustration. Fest steht, dass Fachkräfte, die sich für ein Start-up oder einen Arbeitgeber mit offener Gehaltsstruktur entscheiden, von der Struktur profitieren, wenn sie Wert auf Nachvollziehbarkeit legen.

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Fazit

Die Idee hinter einer solchen Struktur passt zu der modernen Arbeitswelt, wie sie heute gelebt wird oder wie sie zumindest angestrebt wird: mit flachen Hierarchien, Offenheit und Gleichberechtigung. Offene Gehaltsstrukturen wirken deshalb attraktiv, wenn sie mit der eigenen Wertvorstellung übereinstimmen. Wenn Neid und Missgunst ausgehalten werden können, auch wenn sie durch das Offenlegen von Gehältern gefördert werden, handelt es sich um ein vielversprechendes System gegen Ungleichbehandlung.

Bild: Liubomyr Vorona/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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