„Nein, danke.“ Zwei Worte, die immer häufiger fallen – und zwar ausgerechnet von jenen Talenten, denen man irgendwann die Führungsetage anvertrauen wollte. Eine neue Generation sagt: Chef werden? Lieber nicht.

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Eine häufig zitierte Prognose der Boston Consulting Group warnt vor einer wachsenden Lücke: Zu viele offene Stellen, zu wenige Menschen, die sie besetzen wollen, besonders im Managementbereich. In einer Zeit, in der Demografie, Automatisierung und Transformation gleichzeitig Druck erzeugen, droht diese Lücke zum Faktor für das Scheitern ganzer Unternehmen zu werden.

Warum klassische Karriereleitern abschrecken

Für viele junge Fachkräfte ist klar: Karriere darf nicht mehr heißen, Freizeit, Gesundheit und Balance zu opfern. Wer Chefs erlebt hat, die morgens als erste durchs Firmentor schreiten und abends noch Mails schreiben – gestresst, unnahbar, getrieben – denkt meist nicht: „Das will ich.“ Sondern: „Danke, nein.“

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Der klassische Mix aus Einfluss, Geld und Gestaltungsmacht? Tja, der wirkt heute oft nicht mehr wie ein Anreiz, sondern wie ein Risiko – für das Gleichgewicht zwischen Job und Leben, für mentale Gesundheit, für Zeit mit Familie und Freunden.

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Die Belohnung wirkt dagegen diffus, der Preis zu hoch. Wer mit Sinn, Selbstbestimmung und Balance aufgewachsen ist, begegnet dem traditionellen Führungsverständnis mit Skepsis. Verantwortung scheint lukrativ, aber nur, wenn sie nicht mit Erschöpfung erkauft wird.

Womit Führung heute hadert

In vielen Unternehmen beruht Führung noch immer auf Kontrolle und Hierarchie: kleine Managementkreise, große Entscheidungsmacht, klare Ansagen, aber wenig Beteiligung. Das frustriert viele Talente, vor allem jene, die mit Eigenverantwortung und Agilität sozialisiert wurden.

Führung wird hier nicht als Chance erlebt, sondern als Engpass – und genau das demotiviert. Alles läuft über eine Person, aber kaum etwas durch sie. Die Folge: Rückzug, geringe Motivation, fehlende Dynamik. Statt ambitionierten Nachwuchs aufzubauen, verlieren Unternehmen die Talente, die sie gerade jetzt dringend brauchen.

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Führung neu denken – statt Nachwuchs in alte Rollen zu pressen

Es muss nicht immer der Chefposten sein. Führung kann flexibel, situativ und geteilt sein: Projektleitung auf Zeit, wechselnde Rollen im Team, Verantwortungsübernahme nach Kompetenz. So wird Führung zu einer Funktion, die sich an Aufgaben und Fähigkeiten orientiert, statt als Belohnung für Loyalität oder Betriebszugehörigkeit zu gelten.

Fachkarrieren ohne Personalverantwortung gewinnen in diesem Kontext an Bedeutung. Schließlich ist nicht jeder Mensch eine geborene Führungskraft und das ist völlig in Ordnung. Gerade deshalb bieten sie eine wertvolle Alternative: Entwicklungsspielraum, ohne den Umweg über disziplinarische Führung.

Führung wird dadurch zugänglicher, aber nicht beliebiger. Im Gegenteil: Sie verlangt mehr denn je nach Menschlichkeit, Entscheidungsfreude und Kommunikationsstärke. Nur eben nicht als Machtposition, sondern als verlässliche Rolle im Miteinander.

Führung wirkt – und zwar in beide Richtungen

Dass Führung kein abstraktes Kulturthema ist, sondern ein ganz konkreter Hebel für Bindung und Zufriedenheit, zeigt eine weitere Studie der Boston Consulting Group. Befragt wurden über 11.000 Angestellte in acht Ländern, darunter auch Deutschland. Das Ergebnis: Führungskräfte haben den mit Abstand größten Einfluss darauf, ob Menschen bleiben oder gehen.

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Hervorragende Führung senkt laut BCG das Risiko einer Kündigung um 72 Prozent, steigert die Mitarbeitermotivation um das Dreifache und erhöht die Zufriedenheit am Arbeitsplatz sogar um das Vierzehnfache. Umgekehrt verdoppelt sich das Fluktuationsrisiko dort, wo Mitarbeiter mit ihrer Führung unzufrieden sind.

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Die Studie macht außerdem deutlich: Es sind nicht mehr allein Gehalt, Arbeitszeiten oder Weiterbildungsangebote, die zählen. Es sind emotionale Faktoren wie Wertschätzung, ein faires Miteinander, Sicherheit und Freude an der Arbeit. Und genau diese Dimensionen werden maßgeblich von der direkten Führungskraft geprägt. Das bestätigen auch die zahllosen User-Kommentare auf unseren Social-Media-Kanälen.

Führung ja, aber bitte anders

Natürlich wird es sie weiter brauchen: Chefs, Teamleiter, Vorstände. Menschen, die entscheiden, Verantwortung übernehmen und Richtung geben. Aber das Bild, das viele mit dieser Rolle verbinden, ist überholt. Führung heißt heute nicht mehr: vorne stehen, ständig präsent sein, alles wissen, alles regeln. Gefragt ist jemand, der das Team stärkt, nicht einer, der es überragt.

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