Konzentriert, leistungsbereit, effizient – das ist das Idealbild, das uns die Arbeitswelt täglich vor Augen hält. Doch unser Kopf funktioniert nicht auf Knopfdruck. Es gibt Tage, an denen der Körper anwesend ist, aber der Geist sich nach Ruhe sehnt. Warum tun wir so, als könnten wir das ignorieren? Maybe-Tage setzen genau hier an – nicht als Flucht vor der Arbeit, sondern als Antwort auf menschliche Belastbarkeit.

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Das Konzept wirkt auf den ersten Blick radikal einfach: Mitarbeitende dürfen an wenigen Tagen im Monat oder im Jahr morgens spontan entscheiden, ob sie zur Arbeit erscheinen oder nicht. Kein Anruf beim Vorgesetzten, keine E-Mail mit fadenscheiniger Begründung, kein Arztbesuch wegen psychosomatischer Symptome. Eine kurze Nachricht genügt und der Tag gehört wieder einem selbst. Diese Idee stellt nicht nur das Verständnis von Präsenzpflicht infrage, sondern auch unser Bild davon, wie Leistung entsteht und aufrecht erhalten werden kann.

Was sind Maybe-Tage eigentlich?

Maybe-Tage sind kein zusätzlicher Urlaub und keine Tarnung für heimliches Blaumachen. Sie sind ein institutionalisiertes Innehalten. Drei oder vier Mal im Jahr – so lautet der häufig genannte Rahmen – dürfen Mitarbeitende selbst entscheiden, ob ein Arbeitstag heute wirklich sinnvoll ist. Die Gründe sind bei jedem verschieden. Vielleicht ist es emotionale Erschöpfung. Vielleicht eine mentale Leere. Oder schlicht das Gefühl, dass man an diesen Tag seine Kollegen mehr nerven würde, als einemlieb ist.

Der besondere Reiz der Maybe-Tage liegt in der Unkompliziertheit: Es gibt keine Bürokratie, keine Bewertung, keinen Legitimationsdruck. Stattdessen: 100 Prozent Vertrauen. Und genau das ist die Voraussetzung, damit dieses Modell funktioniert. Denn wo Vertrauen fehlt, wird jede Freiheit zur Bedrohung – für das Standing im Unternehmen und die Karriereleiter.

Warum könnte das sinnvoll sein?

Unser Arbeitsalltag ist durchgetaktet. Termine, Deadlines, To-do-Listen – alles läuft auf maximale Produktivität hinaus. Doch Menschen sind keine Maschinen. Unser Energielevel schwankt. Unsere Belastbarkeit ebenso. Wer müde, überreizt oder emotional überfordert ist, arbeitet nicht konzentriert – er kämpft sich durch. Die Folge: Fehler schleichen sich ein, die Stimmung im Team wird frostig, das Miteinander leidet.

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Dabei wissen wir längst: Leistung entsteht nicht durch Dauerdruck, sondern im Wechselspiel aus Spannung und Entspannung. Unser Gehirn braucht Pausen, nicht nur die geregelten, sondern auch die ungeplanten. Maybe-Tage schaffen Raum für solche spontanen Auszeiten, die oft mehr helfen als ein geplanter Urlaub.

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Die Wissenschaft hinter dem Prinzip Pause

Gerade in Momenten der Untätigkeit passiert im Gehirn Erstaunliches. Wenn wir etwa auf einer langen Zugfahrt aus dem Fenster starren, aktiviert sich das sogenannte Ruhemodusnetzwerk – ein Netzwerk aus Hirnarealen, das für Selbstreflexion, Erinnerung und kreatives Denken zuständig ist. Während der Körper stillhält, wird der Kopf wach. Neue Ideen entstehen, Probleme sortieren sich, Perspektiven verschieben sich. Ja, die Welt sieht plötzlich anders aus.

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Diese Erkenntnis stammt aus der Neurowissenschaft. In den 1990er Jahren entdeckten Forscher dieses Netzwerk zufällig, als Probanden im MRT einfach nur dalagen. Seitdem ist klar: Der Mensch denkt am besten, wenn er scheinbar nichts tut. Genau das machen Maybe-Tage möglich, sie schenken dem Geist Raum zur Regeneration und Neuausrichtung. Und davon profitiert nicht nur der Einzelne, sondern auch das Unternehmen.

Was haben Unternehmen davon?

Klar: Spontane Auszeiten wirken auf viele Führungskräfte erst einmal wie ein Kontrollverlust. Doch wer genauer hinsieht, erkennt das Potenzial. Mitarbeitende, die das Gefühl haben, ernst genommen und nicht überwacht zu werden, bringen sich engagierter ein. Sie treffen bessere Entscheidungen, sind kreativer und loyaler. Maybe-Tage stärken also das psychologische Grundbedürfnis nach Autonomie – ein Faktor, der laut moderner Motivationsforschung entscheidend für langfristige Zufriedenheit und Leistung ist.

Auch ökonomisch lohnt sich der Blick: Fehlzeiten durch psychische Erkrankungen nehmen stetig zu. Gleichzeitig sind die Kosten für Burnout, Präsentismus (also Arbeiten trotz Krankheit) und chronische Erschöpfung enorm. Maybe-Tage sind eine vergleichsweise kostengünstige Maßnahme, um dem ein Stück weit vorzubeugen. Sie senken das Risiko von Langzeitausfällen und reduzieren die Fluktuation.

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Und die Risiken?

Natürlich gibt es auch Gegenargumente. Nicht jeder Beruf erlaubt spontane Pausen, im Gesundheitswesen, in der Produktion oder im Einzelhandel müssen Schichten besetzt, Abläufe gesichert sein. Hier braucht es kreative Lösungen: etwa Backup-Systeme im Team, flexible Pool-Modelle oder den Umbau von Rollenprofilen.

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Auch kulturell ist das Konzept durchaus anspruchsvoll. Es fordert ein Umdenken, weg vom Ideal des immer verfügbaren Leistungsträgers, hin zu einem Menschenbild, das Schwankungen als normalen Teil des menschlichen Daseins versteht. 

Maybe heißt auch mehr Mut zur Menschlichkeit

Der Arbeitsmarkt verändert sich. Die Ansprüche der Beschäftigten steigen. Generell ist das Leben vielseitiger und damit auch auslaugender geworden. Maybe-Tage sind daher auch kein Allheilmittel, aber zumindest ein starkes Signal: Wir sehen dich. Wir nehmen dich ernst. Und wir trauen dir zu, selbst zu entscheiden, wann du bereit bist, dein Bestes zu geben und wann deine Batterien einfach leer sind.

Vielleicht ist es genau dieses Maybe Vertrauen, das Arbeit in Zukunft menschlicher – und damit erfolgreicher – macht.

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