Überstunden, Extraschichten und am Ende ein Standardgehalt kassieren. Willkommen in der Realität vieler deutscher Arbeitnehmer. Unternehmen verlangen Spitzenleistung, bezahlen aber Mittelmaß. Diese Rechnung geht nicht mehr auf. Und sie wird in Zeiten von Fachkräftemangel nicht nur unfaire Gehälter zementieren, sondern langfristig auch den Unternehmenserfolg gefährden.
Unternehmen wollen High Performer, zahlen aber Standardgehälter
In Stellenausschreibungen heißt es sinngemäß: „High Performer gesucht“. Im Büro: „Wir zählen auf dich“. Bei der Gehaltsrunde wird aber nur „marktüblich“ gezahlt. Genau hier liegt der Widerspruch:
Die Erwartungen vieler Arbeitgeber an ihre Mitarbeitenden liegen über dem Durchschnitt, das Gehalt bleibt jedoch darunter.
Nach Jahren sinkender Reallöhne gab es 2024 laut Statistischem Bundesamt zwar den stärksten Reallohnanstieg seit Beginn der Zeitreihe (+3,1 %), dennoch liegt das Reallohnniveau seit 2019 insgesamt niedriger als der OECD-Durchschnitt. Zwar stieg das Gehaltsniveau 2024 nominell um 5,4 % (rund 218?Euro brutto im Monat), doch vor allem obere Einkommensgruppen – darunter viele Fachkräfte – bekamen unterdurchschnittliche Steigerungen von teils unter fünf Prozent. Gleichzeitig wuchsen die Gehälter von Spitzenmanagern zweistellig.
Managergehälter auf Rekordniveau
Ein Blick auf die DAX-Vorstandsetagen zeigt die Schieflage besonders deutlich: 2024 kassierten die Vorstandschefinnen und -chefs der größten deutschen Konzerne insgesamt 231,4 Millionen Euro – 10,4 % mehr als im Vorjahr. Der durchschnittliche Vorstandschef erhielt rund 6,3 Millionen Euro, einzelne Spitzenreiter wie Christian Klein (SAP) fast 19 Millionen Euro. Vincent Warnery (Beiersdorf) verfünffachte sein Gehalt auf fast 13 Millionen Euro. Mehr als 10 Millionen Euro erhielten auch die CEOs von Mercedes, VW, Porsche und Allianz.
Bemerkenswert: Während die Nettogewinne der Konzerne nur um ein Prozent stiegen, wuchsen die Vergütungen der Vorstände überproportional. Die gesamten Bezüge aller Vorstandsmitglieder der DAX-Konzerne kletterten um 5,2 % auf 893,2 Millionen Euro – ein Rekordniveau. Laut Managementberatung Kienbaum „schlagen die Vergütungssysteme bei guter Geschäftsentwicklung häufig stärker nach oben aus, als sie bei schlechter nach unten korrigieren“.
Stepstone Gehaltsreport 2025: Was Arbeitnehmer verdienen
Während in den Vorstandsetagen Millionen verteilt werden, sieht es für die breite Arbeitnehmerschaft anders aus. Der Stepstone Gehaltsreport 2025, der erstmals über eine Million Gehaltsdaten ausgewertet hat, zeigt: Das Bruttomediangehalt in Deutschland liegt bei 45.800 Euro. Ärzte verdienen median 98.750 Euro, Ingenieur:innen 58.500 Euro, Banker:innen 59.500 Euro – doch in vielen Branchen liegen Fachkräfte trotz Mehrarbeit und hoher Leistung kaum über diesem Durchschnitt.
Frauen in Vollzeit erzielen ein Mediangehalt von 42.100 Euro, Männer 48.000 Euro – ein Gender Pay Gap von 12,4 %. Bereinigt bleiben 5,7 Prozent.
Hinzu kommt, dass bis Mitte 2026 die EU-Entgelttransparenzrichtlinie umgesetzt werden muss. Sie verpflichtet Unternehmen, Gehaltsstrukturen offenzulegen und Lohnungleichheiten zu adressieren. Laut Stepstone fühlt sich die Hälfte der Unternehmen darauf nicht vorbereitet, 21 % kennen die Richtlinie gar nicht.
Das Hochleistungsparadox: Überflieger bekommen kaum mehr
In vielen Teams sieht es so aus: Die Projektmanagerin, die regelmäßig mit Krisen und Deadlines jongliert, wird bei der nächsten Gehaltsrunde mit einer „marktüblichen Gehaltserhöhung“ abgespeist. Der Entwickler, der den entscheidenden Produktlaunch stemmt, bekommt ein Schulterklopfen und ein symbolisches Dankeschön, aber keine spürbare Gehaltserhöhung. Start-ups locken mit Buzzwords wie „High Performer gesucht“ und „Top-Talente willkommen“, bieten aber maximal Standardgehälter. Man muss ja schließlich erst Laufen lernen
Das hat Folgen: In Unternehmen, die dauerhaft überdurchschnittliche Leistung fordern, aber nicht entsprechend entlohnen, liegt die Fluktuationsrate bis zu 50 % höher. Viele Beschäftigte reagieren mit innerer Kündigung, andere wechseln direkt zum Wettbewerber – oft mit einem Gehaltsplus von 20 bis 30 Prozent.
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Psychologischer Vertrag: Fehlende Gehaltserhöhungen zerstören Vertrauen
Geld ist nicht alles, aber ohne faire Bezahlung ist alles nichts. Man spricht hier auch von einem „psychologischen Vertrag“: dem unausgesprochenen Deal, dass mehr Leistung auch mehr monetäre Anerkennung bedeutet. Wird dieser gebrochen, verlieren Beschäftigte Vertrauen in ihren Arbeitgeber.
Motivation lässt sich so nicht aufrechterhalten. Nach dem Zwei-Faktoren-Modell von Herzberg ist Geld allein zwar kein langfristiger Motivator – aber fehlende oder unfaire Bezahlung ist ein massiver Demotivator.
Fehlanreize in der Vergütung: Starre Gehaltsbänder bremsen Leistung
Viele Unternehmen hantieren mit starren Gehaltsbändern, die selbst bei außergewöhnlicher Leistung kaum Luft nach oben lassen. Variable Vergütungsanteile wie Boni oder Gewinnbeteiligungen sind oft intransparent oder werden nur zurückhaltend vergeben. Gleichzeitig profitieren Vorstände und obere Führungsetagen von Boni, die weit über dem Marktdurchschnitt liegen, ein weiterer Bruch in der allzuoft gepriesen Fairness.
High Performer lernen so schnell, dass zusätzlicher Einsatz finanziell kaum belohnt wird. Die Folge: Selbst die Besten reduzieren ihr Wirken auf ein Minimum und machen Dienst nach Vorschrift oder – noch wahrscheinlicher – verlassen das Unternehmen.
Was Unternehmen ändern müssen
- Klare Leistungskriterien: Transparent messbare Ziele und nachvollziehbare Gehaltsentscheidungen statt vager Bauchentscheidungen oder gar Nasenfaktor.
- Variable Gehaltsmodelle: Boni, Gewinnbeteiligungen und schnelle Gehaltssprünge müssen möglich sein, wenn jemand messbar überperformt.
- Regelmäßige Marktanpassungen: Gehälter müssen sich proaktiv an der Marktlage orientieren – nicht erst reagieren, wenn Mitarbeitende kündigen.
- Entgelttransparenz: Offene Gehaltsstrukturen helfen, Ungleichheiten sichtbar zu machen und Gender Pay Gaps zu schließen.
- Karrierechancen parallel zum Geld: Überdurchschnittliche Leistung muss auch mehr Verantwortung, Aufstiegsmöglichkeiten und Gestaltungsspielraum bedeuten.
Spitzenleistung braucht Spitzengehalt – sonst droht Talentverlust
Die Gleichung ist eigentlich ganz einfach: Top-Performance braucht Top-Gehalt. Alles andere ist Kostenkontrolle – was zwar in der aktuellen Wirtschafzslage nachvollziehbar sein mag –, zeigt aber vor allem fehlenden Respekt gegenüber den Menschen, die ein Unternehmen überhaupt erst erfolgreich machen. Wer das nicht versteht, wird zwangsläufig die besten Köpfe verlieren – und zwar an Wettbewerber, die bereit sind, Leistung fair oder sogar überdurchschnittlich zu entlohnen.
Verwendete Quelle: Destatis, Tagesschau, Stepstone Gehaltsreport