In der modernen Arbeitswelt gilt Teamwork als Nonplusultra. Meetings, Brainstorming-Sessions, offene Büros – der ständige Austausch mit Kollegen soll Kreativität und Effizienz fördern. Doch nicht jeder fühlt sich in dieser Dynamik wohl. Manche Menschen arbeiten am liebsten allein. Sie schätzen die Ruhe, die Kontrolle über ihre Aufgaben und das ungestörte Eintauchen in ihre Gedankenwelt.
Aber ist Einzelarbeit auch produktiver? Und wann wird das bewusste Alleinsein zum Nachteil – für die Betroffenen selbst, für das Team, für das Unternehmen?
Warum ziehen sich manche Menschen lieber zurück?
Es gibt Menschen, die ihre besten Ideen im stillen Kämmerlein entwickeln. Die schon in der Schule Gruppenarbeiten mieden und am liebsten für sich selbst Lösungen fanden. Solche Vorlieben sind oft tief in der Persönlichkeit verwurzelt.
Ein entscheidender Faktor ist hierbei die Introversion. Während Extrovertierte durch soziale Interaktion regelrecht Energie gewinnen, empfinden introvertierte Menschen diese als anstrengend. Sie konzentrieren sich besser, wenn sie ungestört – allein – sind. Da sie Reize intensiver verarbeiten, benötigen sie auch mehr Zeit für Reflexion.
Doch nicht nur Introvertierte ziehen sich zurück. Perfektionisten bevorzugen Einzelarbeit, weil sie ungern Kontrolle abgeben und sich vor Kompromissen scheuen. Auch Menschen mit einem hohen Autonomiebedürfnis arbeiten lieber für sich – um alleine schneller und effizienter zu sein. Dass Einzelarbeit mit mehr Produktivität verbunden ist, scheint zunächst plausibel. Doch die Sache ist deutlich komplexer.
Besser fokussiert – aber auch produktiver?
Es gibt kaum etwas, das den Arbeitsfluss so sehr stört wie ein Meeting oder das laute Telefonat eines Kollegen.
Im Schnitt dauert es 20 Minuten, um nach einer Unterbrechung wieder in eine produktive Fokus-Phase zurückzufinden. Ablenkungen im Büro oder ständige digitale Benachrichtigungen können diesen Prozess noch verlängern.
Eine Studie von Diehl & Stroebe (1987) zeigt, dass Gruppen beim Brainstorming weniger Ideen produzieren als Einzelpersonen – vor allem wegen sogenannter Produktionsblockaden: Wer in der Gruppe wartet, bis er sprechen darf, denkt weniger neue Ideen. Dadurch gehen wertvolle Einfälle verloren. Wir kennen das alle: Manchmal hat man das, was man eigentlich sagen wollte, schon wieder vergessen.
Zwar entwickeln Einzelne mehr Ideen, doch Gruppen liefern oft vielfältigere Ergebnisse, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Produktivität heißt also nicht nur, Aufgaben schnell und effizient zu erledigen, sondern auch, sinnvolle Lösungen zu finden, die ins Gesamtbild passen.
Zwischen Freiheit und Vereinsamung
Die Digitalisierung hat Einzelarbeit erleichtert. Homeoffice und Remote Work sind längst normal geworden. Viele genießen es, ohne Ablenkung zu arbeiten und sich ihren Tag frei einzuteilen. Doch das hat seinen Preis.
Die Studie von Ozcelik & Barsade (2018) mit 672 Mitarbeitern und 114 Vorgesetzten zeigt, dass Arbeitsplatz-Einsamkeit mit geringerer Leistung verbunden ist. Menschen, die sich isoliert fühlen, werden von Kollegen als weniger zugänglich wahrgenommen und haben zudem eine geringere emotionale Bindung an ihr Unternehmen.
Ein Teufelskreis, denn: Wer sich einsam fühlt, zieht sich weiter zurück und wird dadurch noch weniger in das Team eingebunden. Der fehlende Austausch – das spontane Gespräch beim Kaffeeholen, das kurze „Hast du eine Idee dazu?“ im Flur entfällt, ist aber wichtig für Innovation und Teamdynamik. Wer dauerhaft allein arbeitet, wird unsichtbar.
Wann wird man zum Eigenbrötler?
Einsamkeit ist nicht gleich Einsamkeit. Man kann allein arbeiten, ohne sich einsam zu fühlen – und zugleich unter Menschen sein und sich dennoch isoliert wissen. Doch es gibt eine Grenze: Wer sich zu lange aus dem sozialen Gefüge löst, wird irgendwann nicht mehr als Teil davon wahrgenommen.
Einzelgänger gelten im Berufsleben gar als weniger kooperativ, selbst dann, wenn ihre Leistung überdurchschnittlich ist. Denn fachliche Exzellenz allein reicht selten aus. Netzwerke, Gespräche und persönliche Beziehungen haben einen größeren Einfluss auf Karrieren, als vielen bewusst sein mag.
Es ist somit ein schleichender Prozess. Was als bewusste Entscheidung für konzentrierteres Arbeiten beginnt, kann in einer selbstgewählten, aber folgenreichen Distanzierung enden. Plötzlich merkt man, dass man nicht mehr in wichtige Diskussionen einbezogen wird. Dass Kollegen nicht mehr nach der eigenen Einschätzung fragen. Dass man zwar effizient arbeitet – aber kaum noch sichtbar ist.
Einige werden das auch aus dem privaten Umfeld kennen. Rückzug schafft Abstand – auch zu denen, die einem eigentlich nahestehen. Wer sich abkapselt, hört irgendwann nichts mehr. Und sitzt schließlich allein da.
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Die richtige Balance zwischen Rückzug und Austausch
Was also tun? Die Antwort liegt nicht im Entweder-oder, sondern in der Balance. Einzelarbeit kann hoch produktiv sein, wenn sie gezielt eingesetzt wird. Unternehmen tun gut daran, Phasen der Konzentration mit strukturierten Team-Interaktionen zu kombinieren.
Einige Firmen schwören bereits auf „Deep Work“-Phasen (nach Cal Newport), in denen Mitarbeiter ohne Unterbrechungen arbeiten dürfen. Gleichzeitig fördern sie bewusste Austauschformate, nicht nur in Meetings, sondern auch durch gemeinsame Mittagessen oder Zeit für Austausch.
Für Einzelarbeiter selbst gilt: Auch wer gerne allein arbeitet, sollte sich regelmäßig mit anderen vernetzen. Schon ein kurzer Plausch auf dem Flur kann Wunder wirken. Denn am Ende entscheidet nicht nur die Qualität der Arbeit, sondern auch, wie sichtbar sie im Unternehmen ist.