Arbeitnehmer fühlen sich oft schlecht, wenn sie Urlaub nehmen – das weiß Verhaltenspsychologin und Harvard-Professorin Dr. Ashley Whillans. Was Arbeitgeber tun können.

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Von „Vacation Shaming“ bis hin zu irrationalen Schuldgefühlen

Wir fühlen uns häufig schlecht, wenn wir Urlaub beantragen, obwohl er uns zusteht. Ganz zu schweigen davon, dass wir ihn dringend benötigen.

Die gute Nachricht ist: Immer mehr Berufstätige entwickeln ein Bewusstsein für ihre mentale Gesundheit und sie sind bereit, Erholungsurlaub zu beantragen. Das zeigen Untersuchungen von Expedia, die das Unternehmen regelmäßig unter dem Titel „Vacation Deprivation“ durchführt.

Die schlechte Nachricht ist: Die Studie zeigt zugleich, dass wir Urlaubstage zwar beanspruchen, es manchmal aber nicht schaffen, sie richtig zu nutzen. Und es gibt Arbeitnehmer, die so einige ungenutzte Urlaubstage auf ihrem Urlaubskonto haben. Harvard-Professorin und Verhaltenspsychologin Dr. Ashley Whillans vermutet, dass dahinter oft Sorgen und ein schlechtes Gewissen stecken. Sorgen, wichtige Projekte und Dinge im Job zu verpassen. Und ein schlechtes Gewissen, weil wir das Gefühl haben könnten, unseren Job zu vernachlässige und diesen Eindruck auch beim Arbeitgeber zu hinterlassen.

Diese irrationalen Schuldgefühle nagen manchmal so sehr an uns, dass wir versuchen, so wenig wie möglich zu „fehlen“. Es zeugt auch vom Leistungsdruck und dem Druck, sich zeigen und verfügbar sein zu müssen. Phänomene, die sich wegen der Digitalisierung verstärken.

Und dann kommt das Vacation Shaming hinzu: Es soll gefälligst 24/7 gearbeitet werden. Wenn Führungskräfte und Kollegen Vacation Shaming betreiben, indem sie passiven Druck ausüben und zeigen, dass eine permanente Anwesenheit auf der Arbeit der einzig richtige Weg ist, um einen guten Job zu machen, appellieren sie an unsere Schuldgefühle. Wir sollen uns schuldig fühlen, wenn wir eine andere Arbeitsmoral als diese zeigen.

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Schon gewusst?

Im europäischen Vergleich genießen die Deutschen weniger Urlaubstage als ihre Kollegen in Nachbarländern. Auch in Schweden sieht es zum Beispiel im Vergleich zu Frankreich etwas dürftig aus, was den gesetzlichen Urlaubsanspruch angeht – denn die Franzosen kommen auf über 30, einige Arbeitnehmer auf über 37 Urlaubstage pro Jahr. Schauen wir über die Grenzen von Europa, gibt es einige Länder, in denen Berufstätige besonders wenig Urlaubsanspruch haben. Dazu gehören zum Beispiel Indien, Kanada, China und Singapur. Mehr als 10 bis maximal 14 Tage sind hier nicht drin.

Schalt‘ mal ab: Deshalb ist Urlaub so wichtig für Berufstätige

#1: Urlaub und Erholung kann das Risiko für körperliche Erkrankungen senken

Ob Herzinfarkt, Rückenschmerzen oder andere Arten der körperlichen Gefahren: Je gestresster wir sind, desto höher ist unser Risiko für Erkrankungen. Das ist kein Geheimnis. Dennoch schaffen wir es immer wieder, uns diesen Risiken auszusetzen, indem wir uns zu wenig Erholung gönnen. Deshalb brauchen wir Urlaub und sollten uns diesen unbedingt erlauben.

#2: Unser Gehirn regeneriert sich

Andere Umgebung, Abwechslung, neue Eindrücke, Entspannung: Das alles hilft unserem Gehirn. Denn während unserer regulären Arbeitstage arbeitet unser Hirn auf Hochtouren und der Körper kommt nicht zur Ruhe. Stressreize sorgen dafür, dass wir ständig auf Trab sind. Sofern der Stress chronisch wird, ist es oft schon zu spät und die Gefahr, auszubrennen, steigt. Die ständigen Alarmsignale, die unser Gehirn im Dauerzustand sendet, sollten deshalb keinesfalls zur Normalität werden. Eine Unterbrechung in Form von Urlaubstagen ist deshalb besonders wichtig.

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#3: Wir beugen psychischen Erkrankungen rechtzeitig vor

Die Fehltage steigen, weil immer mehr Arbeitnehmer sich wegen psychischer Erschöpfung und/oder einer Depression krankmelden. Anstatt unsere seelische Gesundheit noch mehr zu belasten und deshalb zu fehlen, sollten wir es priorisieren, „gesund“ zu fehlen – während unseres Urlaubs. Denn nur so können wir gesund und glücklich sowie motiviert einem Job nachgehen.

#4: Wir fühlen uns produktiver

Urlaub bedeutet, Energiereserven aufzutanken, die wir im Job immer wieder aufbrauchen. Um produktiv sein zu können, sind wir deshalb nicht nur auf kleinere Pausen im Alltag, sondern auch auf einen richtigen Erholungsurlaub angewiesen, um unsere Batterien wieder aufzuladen.

Chefsache: So können Arbeitgeber ihre Mitarbeiter beim Thema Urlaub unterstützen

Ausgebrannte, müde und gestresste Mitarbeiter sind bekanntlich die schlechteren Mitarbeiter. Deshalb sollte auch Arbeitgebern viel daran liegen, dass jeder und jede aus dem Team genügend Erholung bekommt und sich guten Gewissens den wohlverdienten Urlaub nehmen sollte. So können Arbeitgeber ihre Mitarbeiter unterstützen.

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Tipp #1: Work-Life-Balance sollte Priorität haben

Unternehmen, die ein ausgeklügeltes Konzept für eine gute Work-Life-Balance bieten, sind heute besonders Attraktivität für Arbeitnehmer. Denn sie ermöglichen Urlaub ohne Vacation Shaming oder Schuldgefühle und unterstützen ihre Mitarbeiter, indem sie diese zu Auszeiten ermutigen. Es fängt bei der entsprechenden Kommunikation mit der Belegschaft an und hört beim Vorleben einer gesunden Pausenkultur auf.

Tipp #2: Arbeitgeber sollten Sicherheit vermitteln

Manchmal wollen Arbeitnehmer keinen Urlaub nehmen, weil sie Sorge haben, dass ihre Arbeit und ihre Projekte verstauben und auf der Strecke bleiben. Vorgesetzte können helfen, indem sie dabei unterstützen, Verantwortlichkeiten zu organisieren. Wer kann sich um ein wichtiges Projekt kümmern, wenn Mitarbeiter fehlen? Ist es möglich, einen Plan zu pausieren, während ein Urlaub stattfindet? Vor allem ist es also Chefsache, Sicherheit zu vermitteln und Mitarbeitern zu kommunizieren, dass ihre Arbeit gesehen wird und nicht umsonst gewesen sein wird, nur weil sie sich eine Pause gönnen.

Zusatztipp: Sicherheit können Arbeitgeber auch vermitteln, indem sie Urlaub zu einer Art Pflicht machen, ohne zu großen Druck auszuüben. Hierfür ist es unbedingt notwendig, Mitarbeitern mitzuteilen, wie wichtig es einem selbst ist, dass alle Arbeitnehmer ihre Urlaubstage nutzen. Zu oft wird die Wirkung dieser Worte unterschätzt. Doch sie können den Schalter in den Köpfen der Belegschaft tatsächlich umlegen und motivieren.

Tipp #3: Vorgesetzte sollten auch selbst Urlaub nehmen

Keine Zeit, sich Erholung zu gönnen? Es gibt Chefs, die sich selbst nur wenige Urlaubstage erlauben. Solche Führungskräfte bauen eine Druckkultur auf, die nicht immer beabsichtigt ist. Sie wollen anwesend sein, Präsenz zeigen und sie können schlecht Kontrolle abgeben. Alles verständlich. Wer der Belegschaft jedoch signalisieren möchte, dass es in Ordnung ist, auch mal abzuschalten, ohne sich schuldig zu fühlen, muss als Vorbild fungieren. Das kann nur funktionieren, wenn auch Chefs abschalten und sich Urlaub nehmen.

Übrigens: Urlaub sollte man nicht nur nehmen, sondern auch nehmen „können“. Für viele Führungskräfte ist das eine wahre Kunst – denn sie sind oft als Workaholics bekannt, die es nicht schaffen, sich eine Auszeit zu gönnen. Deshalb ist es nur logisch, dass Mitarbeiter das Verhalten, vielleicht auch unbewusst, nachahmen.

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Tipp #4: Urlaub heißt Urlaub – keine E-Mails oder Anrufe

Eine der wichtigsten Dinge, um Arbeitnehmer dabei zu unterstützen, sich ihren Urlaub zu nehmen, ist, diesen als solchen zu behandeln. Vorgesetzt, die versuchen, Mitarbeiter trotz ihrer freien Tage immer wieder zu kontaktieren, weil beispielsweise ein wichtiges Projekt sonst auf der Strecke bleibt, sollten dringend umdenken.

Auch wenn Fachkräfte unverzichtbar sind: Wenn sie nicht ausbrennen sollen und Unternehmen noch länger von ihrer Arbeit profitieren möchten, sollten Arbeitgeber anfangen, die Zeit, Kraft und Grenzen ihrer Mitarbeiter zu respektieren. Dazu gehören auch die Urlaubstage.

Bildnachweis: PeopleImages/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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