Ein Bewerbungsgespräch. Früher stellte der Jobkandidat die Fragen: nach Homeoffice, Purpose, Vier-Tage-Woche. Heute diktiert wieder zunehmend der Chef die Spielregeln. Der Ton hat sich verändert – und das Machtgefüge gleich mit.
In den vergangenen Jahren schien der Arbeitsmarkt fest in der Hand der Arbeitnehmer. Unternehmen überboten sich mit Benefits, flexiblen Arbeitsmodellen und Purpose-Versprechen. Bewerber galten als Mangelware, und in vielen Branchen mussten sich Arbeitgeber deutlich mehr Mühe geben, um Personal zu gewinnen und zu halten.
Doch dieser Ausnahmezustand war genau das: eine Ausnahme. Spätestens seit der erneuten Konjunkturabschwächung Ende 2024 kippt die Stimmung – nicht nur in Chefetagen, sondern auch auf dem Flur, im Vorstellungsgespräch, in der Personalabteilung. Die Wirtschaft tritt auf der Stelle, die Wachstumsprognose wurde mehrfach nach unten korrigiert. Das ifo Institut rechnet nur noch mit einem Wachstum von 0,2 % im Jahr 2025 – ein weiterer Rückschritt gegenüber den Jahren zuvor. Die Zeichen stehen auf Stagnation.
Der Arbeitsmarkt verlangsamt sich. Neueinstellungen werden verschoben oder ganz auf Eis gelegt. Laut dem Indeed Arbeitsmarktindex ist die Arbeitskräftenachfrage seit Anfang 2024 um rund 15,5 % gesunken – besonders deutlich im oberen Lohnsegment und bei Wissensberufen wie IT, Projektmanagement und Softwareentwicklung. Und mit dieser wirtschaftlichen Unsicherheit kehrt auch die alte Logik zurück: Wer zahlt, bestimmt.
Für einige Unternehmen ist das eine willkommene Wende. Die Pandemie hatte Hierarchien verwischt, hybride Arbeit neue Freiheiten geschaffen, und Mitarbeitende gewannen neues Selbstbewusstsein. Jetzt aber – mit stagnierenden Aufträgen, schrumpfenden Budgets und starker globaler Konkurrenz – wächst die Bereitschaft, diese Freiheit Stück für Stück wieder einzuschränken. Manche Firmen tun das leise, andere – international – sehr deutlich.
Subtile Kontrolle statt offener Konfrontation
Was auffällt: Es geht nicht um harte Schnitte, sondern um schleichende Verschiebungen. Die einen schränken Homeoffice-Regelungen ein – mit der Begründung, der persönliche Austausch sei „unverzichtbar für das „Wir-Gefühl“ und den Unternehmenserfolg“. Tatsächlich ist der Anteil der Stellenanzeigen mit Remote-Option laut Indeed von 16,5 % im Februar 2023 auf 14 % im Herbst 2024 gesunken – ein kleiner, aber symbolischer Rückschritt.
Andere führen neue Zielvereinbarungen ein, die plötzlich kaum erreichbar scheinen. Wieder andere streichen Boni: Man habe das „variable Vergütungssystem überarbeitet“, heißt es dann. Auch die zuvor wachsende Gehaltstransparenz stagniert – ein Trend, der sich seit Ende 2023 in den Daten messbar zeigt.
So ändert sich das Klima. Mitarbeitende, die sich noch vor einem Jahr trauten, nach mehr Freizeit oder Sinn zu fragen oder gar zu fordern, halten sich nun zurück. Wer kündigt, hat keine Garantie mehr, sofort etwas Besseres zu finden. Und auch intern gelten neue Maßstäbe: Wer als „unflexibel“ gebrandmarkt wird, steht schneller auf der internen Abschussliste – selbst wenn das so niemand sagt.
Die Rückkehr alter Denkmuster
Was hier geschieht, ist nicht nur ökonomisch motiviert. Es geht auch um eine Art kulturelle Rückeroberung durch die Arbeitgeber. Viele Führungskräfte, vor allem in traditionellen Branchen, empfanden die letzten Jahre als Kontrollverlust. Sie mussten sich plötzlich rechtfertigen, zuhören, anbieten – das war neu. Jetzt sehen sie die Gelegenheit, alte Muster zu reaktivieren.
Dabei geht es nicht nur um Präsenzkultur oder Gehaltsverhandlungen. Es geht um Haltung. Um das Selbstverständnis, wer die Spielregeln definiert – wer die Zügel in der Hand hält. In einigen Vorstellungsgesprächen etwa berichten Personalverantwortliche inzwischen wieder von „klassischer Hierarchie“, „Verlässlichkeit“ und „Disziplin“ – Begriffe, die noch vor kurzem als toxisch galten. Statt New Work heißt es wieder: klare Strukturen.
Was das für Beschäftigte bedeutet
Für Arbeitnehmer ist diese Entwicklung ein Schock – vor allem für jene, die den „Arbeitnehmermarkt“ nie infrage gestellt haben. Die Erfahrung, in der stärkeren Verhandlungsposition zu sein, war für viele prägend. Doch nun gilt wieder: Wer Ansprüche stellt, muss sie gut begründen. Loyalität zählt plötzlich wieder mehr als Haltung, Belastbarkeit mehr als Meinung.
Besonders hart trifft es jene, die sich in der Komfortzone eingerichtet haben: Wer sich auf Benefits, Remote-Arbeit oder lockere Führung verlassen hat, erlebt die neue Realität oft als Rückschritt. Und tatsächlich: In vielen Betrieben wird wieder mehr kontrolliert, bewertet, überprüft – oft unter dem Deckmantel der „Effizienzsteigerung“.
Zugleich zeigt sich ein paradoxes Bild: Während Unternehmen kürzertreten, bleibt der strukturelle Fachkräftemangel bestehen – besonders in Pflege, Bildung und Handwerk. Laut Indeed gehen Zuwächse in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung aktuell vor allem auf Teilzeitstellen und den öffentlichen Dienst zurück. Die Lücke bei qualifizierten Vollzeitkräften wächst dennoch weiter.
Bleiben, anpassen oder gehen?
Wie damit umgehen? Wer klug ist, zieht keine vorschnellen Schlüsse. Nicht jede Verschärfung ist gleich ein Angriff, nicht jede neue Vorgabe zwangsläufig ein Rückschritt. Aber klar ist auch: Wer die Zeichen der Zeit ignoriert, verspielt möglicherweise Jobchancen. Es braucht jetzt mehr strategisches Gespür – nicht nur für den eigenen Marktwert, sondern auch für die Dynamik im Unternehmen.
Anpassen, ohne sich zu verbiegen – das ist die Kunst. Wer mitdenkt, vorausplant und zeigt, dass er oder sie die wirtschaftlich angespannte Lage versteht, wird auch in einer konservativeren Umgebung geschätzt. Und wer sich nicht mehr wohlfühlt, sollte nicht trotzig kündigen, sondern gezielt suchen – nach Arbeitgebern, die trotz Krise auf moderne Strukturen setzen.
Ein neuer Realismus kehrt ein
Vielleicht ist das, was wir gerade erleben, nicht einfach ein Rückfall in alte Zeiten – sondern der Beginn eines neuen Realismus. Der Hype um New Work, Selbstverwirklichung und Sinn war und ist richtig, aber oft auch überzeichnet. Jetzt, da die wirtschaftliche Basis wackelt und sich kein Aufschwung abzeichnet, zeigt sich, welche Elemente davon Substanz haben – und welche bloß gutes Marketing-Geschwätz waren.
Die Arbeitgeber haben gerade wieder ein Stück weit mehr Macht. Aber sie sollten sie klug einsetzen. Denn eines hat sich trotz allem nicht geändert: Fachkräfte sind und bleiben knapp.
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Nachgefragt: Wie sehr hast du dich an neue Freiheit und Flexibilität gewöhnt – und wie schwer fiele es dir, darauf wieder zu verzichten?