Über Jahrzehnte haben sie Unternehmen geprägt, Krisen gemeistert, Wissen gesammelt. Sie kennen die Abkürzungen, die ungeschriebenen Regeln der Zusammenarbeit, wissen, wen man anruft, wenn es mal schnell gehen muss. Und dann? Ein letzter Arbeitstag, eine kleine Abschiedsrunde mit Kaffee und Kuchen, ein kurzes Dankeschön vom Chef – und das war’s. Manchmal nicht mal das.

Anzeige

Mit den Babyboomern verabschiedet sich nicht nur eine ganze Generation von Leistungsträgern aus dem Arbeitsleben, sondern auch ein immenser Wissensschatz. Und die meisten Unternehmen sind darauf nicht vorbereitet.

Dass mit dem Renteneintritt von Fachkräften Wissen verloren geht, ist kein neues Phänomen. Doch der demografische Wandel hat das Problem drastisch verschärft: Bis 2036 werden in Deutschland rund 12,9 Millionen Menschen aus dem Berufsleben ausscheiden. Viele von ihnen waren jahrzehntelang in ihren Unternehmen tätig, haben nicht nur tiefes Fachwissen angehäuft, sondern auch Erfahrungen, die sich nicht in Handbüchern und digitalen Speichern dokumentieren lassen. Wer geht, nimmt dieses Wissen mit – wenn sich niemand rechtzeitig darum kümmert. Doch genau daran hapert es in vielen Firmen.

Wissen, das in keinem Handbuch steht

Oft wird Wissensmanagement auf das Festhalten von Prozessen reduziert: Checklisten, Datenbanken, Dokumentationen. Doch was verloren geht, ist vor allem das implizite Wissen – das Wissen, das in den Köpfen der Menschen steckt, das man sich über die Jahre aneignet, ohne es bewusst zu verschriftlichen. Es sind die kleinen Tricks, mit denen Abläufe effizienter werden, die Erfahrungen aus gescheiterten Projekten, die einem sagen, welche Stolpersteine man besser umgeht. Es sind die Netzwerke, die über Jahre gewachsen sind und zum entscheidenden Hebel werden, wenn eine schnelle Lösung gefragt ist.

Anzeige

Gerade in Unternehmen mit langen Betriebszugehörigkeiten sind es die älteren Mitarbeitenden, die das Unternehmen und die gesamten Abläufe wirklich verstehen. Wer neu dazu kommt, mag die Unternehmensstrukturen lernen, aber erst mit der Zeit wird klar, wie Entscheidungswege wirklich funktionieren, welche kulturellen Eigenheiten den Alltag bestimmen, welche Dynamiken zwischen Teams und Abteilungen existieren. Dieses Wissen geht verloren, wenn der Übergang nicht aktiv gestaltet wird.

Warum Wissensweitergabe der Babyboomer oft scheitert

Dass so viele Unternehmen sich mit dem Thema schwertun, hat verschiedene Gründe. Ein Problem ist Zeitdruck: Im Tagesgeschäft bleibt wenig Raum für eine strukturierte Übergabe, vieles soll mal so „nebenbei“ passieren. Doch genau das funktioniert nicht. Wissen lässt sich nicht auf Knopfdruck weitergeben, es entsteht im Austausch, in der gemeinsamen Arbeit. Wenn die Übergabe erst in den letzten Wochen vor dem Ausscheiden beginnt, ist es zu spät.

Hinzu kommt ein kulturelles Problem: In vielen Unternehmen fehlt die Wertschätzung für die Erfahrung der älteren Generation. Während für neue Mitarbeitende aufwendige Onboarding-Prozesse eingerichtet werden, verläuft das Offboarding lieblos. Ein paar Formulare, die letzten Urlaubstage verrechnen, vielleicht eine Verabschiedung in der Kantine – aber kein ernsthafter Versuch, das Wissen zu bewahren.

Anzeige

Die Botschaft an die scheidenden Mitarbeitenden ist klar: Danke für die Zeit, aber jetzt machen wir weiter. Dabei wäre genau hier der Moment, um anzuerkennen, was sie geleistet haben, und sie aktiv in den Wissenstransfer einzubinden.

Ein weiteres Hindernis sind die unterschiedlichen Erwartungen und Kommunikationsstile der Generationen. Viele ältere Mitarbeitende haben ihre Erfahrungen über die Jahre intuitiv verinnerlicht und tun sich schwer, diese strukturiert weiterzugeben. Jüngere Mitarbeitende wiederum erwarten oft eine klar dokumentierte Übergabe, in der sich alles nachlesen lässt – ein Wunsch, der nicht immer realistisch ist. Statt Wissen in Dokumente zu pressen, braucht es daher Formate, die echten Austausch ermöglichen.

Wie Unternehmen Wissen bewahren können

Die Herausforderung besteht also nicht nur darin, Wissen zu sichern, sondern auch, es so zu vermitteln, dass es für die nächste Generation nutzbar bleibt. Dafür braucht es eine strategische Herangehensweise – und eine Kultur, die den Wert dieses Wissens anerkennt.

Anzeige

Ein erster Schritt ist, den Wissenstransfer frühzeitig in die Personalstrategie zu integrieren. Es reicht nicht, sich erst mit dem Thema zu beschäftigen, wenn der Abschied eines Babyboomers kurz bevorsteht. Unternehmen sollten gezielt Formate schaffen, in denen Erfahrungswissen laufend weitergegeben wird – nicht als Pflichtübung, sondern als selbstverständlicher Teil der Unternehmenskultur.

Mentoring-Programme sind hier ein bewährtes Mittel, um den Austausch zwischen den Generationen zu fördern. Doch klassische Eins-zu-eins-Mentorings greifen oft zu kurz. Sinnvoller sind langfristige Tandem-Modelle, in denen scheidende Mitarbeitende eng mit Nachfolgern zusammenarbeiten, Wissen schrittweise übergeben und gleichzeitig noch beratend zur Verfügung stehen. Besonders effektiv ist das Konzept des Reverse Mentorings, bei dem jüngere Mitarbeitende ebenfalls ihr Wissen teilen – etwa im Bereich Digitalisierung – und so ein echter Austausch entsteht.

Auch in der Dokumentation von Wissen sollten Unternehmen umdenken. Anstatt trockene (digitale) Handbücher zu schreiben, können Erfahrungsberichte in interaktiven Formaten festgehalten werden: besonders durch Video-Tutorials, Podcasts oder digitale Wissensplattformen, die Erfahrungswissen mit konkreten Fallbeispielen lebendig halten.

Anzeige

Ein „Lessons Learned“-Archiv, in dem scheidende Mitarbeitende ihre wichtigsten Erkenntnisse teilen, kann verhindern, dass Fehler der Vergangenheit wiederholt werden.

Offboarding als Zeichen der Wertschätzung

Neben dem reinen Wissenstransfer geht es beim Abschied von Mitarbeitenden aber auch um Wertschätzung. Wer über Jahrzehnte in einem Unternehmen gearbeitet hat, will nicht einfach still und leise gehen. Der Abschied sollte also bewusst gestaltet werden – nicht nur als symbolischer Akt, sondern als Zeichen der Anerkennung für die Lebensleistung der Babyboomer-Generation.

Unternehmen, die hier sensibel vorgehen, profitieren in mehrfacher Hinsicht. Zum einen signalisiert ein durchdachter Abschied den verbleibenden Mitarbeitenden, dass langjährige Erfahrung und Einsatz geschätzt werden – was sich positiv auf die Identifikation mit dem Unternehmen auswirken kann. Zum anderen hinterlässt ein respektvoll gestalteter Übergang einen bleibenden Eindruck und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ehemalige Mitarbeitende dem Unternehmen verbunden bleiben, sei es als Berater, Mentoren oder durch gefestigte berufliche Kontakte.

Anzeige

Merke: Niemand ist wirklich ersetzbar – jeder Mensch ist individuell mit seinen Stärken und Schwächen. Jedes Mal, wenn ein erfahrener Mitarbeitender geht, hinterlässt er eine Lücke, die nicht so einfach gefüllt werden kann. Die Frage ist, ob Unternehmen diese Lücke ignorieren – oder ob sie aktiv daran arbeiten, Wissen zu bewahren, Erfahrungen weiterzugeben und den Abschied als das zu sehen, was er ist: Ein Übergang, den man gestalten kann.

Anzeige
Anzeige