Neue Regeln fürs Homeoffice, ambitionierte Umsatzziele oder ein strategischer Kurswechsel – Führungskräfte im mittleren Management sind oft diejenigen, die solche Entscheidungen intern vermitteln müssen. Sie stehen in der Sandwichposition: Oben wird entschieden, unten erwartet man Orientierung.
Lese-Tipp: Mittelmanager – wenn’s oben drückt und unten zieht
Was in der Theorie sehr koordiniert und durchdacht wirkt, entpuppt sich in der Praxis oft als emotionale Zwickmühle. Die Chefetage drängt auf schnelle Umsetzung, während die Stimmung im Team kippt. Wer jetzt nicht souverän agiert, gerät ins Schleudern – zwischen der Loyalität zur Unternehmensführung und der Verantwortung gegenüber den Mitarbeitenden.
Und genau an diesem Punkt trifft viele Führungskräfte die Realität mit voller Wucht. Laut einer aktuellen Studie der Dr. Jürgen Meyer Stiftung und der Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik in Kooperation mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg geben 52 % der befragten Mittelmanager an, massiven Druck von oben zu erleben – mehr als von jeder anderen Seite. Das Gefühl, permanent von oben getrieben und gleichzeitig nach unten rechenschaftspflichtig zu sein, ist somit kein Einzelfall. Es ist systemisch.
Einige reagieren darauf mit einer bewussten Strategie. Andere mit einem Reflex: Wenn es oben ungemütlich wird, wird unten nachschärft. Der Druck wird einfach weitergegeben – ungefiltert, unreflektiert. Doch das ist kein Führungsstil. Das ist Flucht nach vorne auf kosten der Mitarbeitenden.
Besonders heikel wird es, wenn der weitergereichte Druck auf unterschiedliche Generationen trifft. Die Gen Z beispielsweise hinterfragt häufiger, sucht nach Sinn und Mitsprache – während viele Führungskräfte, geprägt von Boomer- oder Gen-X-Werten, primär in Ergebnissen denken. Was oben als Pflichtbewusstsein verstanden wird, kommt unten schnell als Kaltschnäuzigkeit an.
Um diesen Spagat erst gar nicht moderieren zu müssen, wählen viele den vermeintlich einfachen Weg: Sie sagen nur noch „Das kam von oben – da kann ich auch nichts machen.“ Doch genau das untergräbt Vertrauen. Und Verantwortung.
„Das kam von ganz oben“ – Warum diese Haltung problematisch ist
Wer so spricht, zieht sich aus der Verantwortung und macht das eigene Team zum Blitzableiter. Doch Führung heißt nicht: durchreichen. Sondern verstehen, filtern, einordnen, übersetzen. Und manchmal auch: widersprechen.
Wer Erwartungen ungeprüft weitergibt, riskiert nicht nur die Motivation seiner Mitarbeitenden, sondern auch die eigene Glaubwürdigkeit. Teams spüren sehr genau, ob ihre Vorgesetzten hinter einer Entscheidung stehen oder sie nur „ausführen“. Und nichts ist demotivierender als eine Führungskraft, die selbst nicht überzeugt wirkt, aber Druck macht, als wäre sie es.
Zwischen Verantwortung und Rückgrat
Was also tun, wenn man als Führungskraft zwischen den Fronten steht? Wenn das Topmanagement ambitionierte Pläne verkündet, die sich zwar auf dem Papier gut lesen, in der Realität aber kaum umzusetzen sind?
Dann ist vor allem eines gefragt: Entscheidungskraft. Denn viele Mittelmanager erleben ihre Rolle längst als belastendes Dazwischen. Besonders herausfordernd ist dabei die sogenannte Zwitterposition: Führungskräfte sind zugleich Empfänger und Sender von Ansagen – sie müssen umsetzen, was von oben kommt, und zugleich vertreten, was unten gebraucht wird. Daraus entstehen oft widersprüchliche Erwartungen, zwischen Kontrolle und Vertrauen, Tempo und Rücksicht.
Laut der Studie gehört der Rollenkonflikt zwischen „Leader“ und „Follower“ zu den drei größten Herausforderungen im Führungsalltag. Und das schon seit mehreren Jahren – mit zunehmender Tendenz. Wer also führen will, muss sich dieser Spannung stellen.
Das heißt konkret:
- Mach dir selbst ein Bild. Stelle Fragen. Verstehe den Kontext. Nur so kannst du argumentieren oder gezielt intervenieren.
- Sprich offen mit deinem Team, aber ohne es gegen „die da oben“ aufzuhetzen. Transparenz ohne Lagerbildung.
- Priorisiere. Nicht jede Anforderung muss sofort umgesetzt werden. Wer differenziert vorgeht, verhindert Erschöpfung.
- Stehe für dein Team ein. Gerade wenn der Druck steigt, braucht es Führungskräfte, die nicht einknicken, sondern die Verantwortung mittragen – nach oben wie nach unten.
Führung bedeutet Verantwortung – nicht Gefolgschaft
Verantwortung zu übernehmen bedeutet nicht, sich hinter Anweisungen zu verstecken. Wer führt, entscheidet – und steht dafür ein. Auch dann, wenn es unbequem wird. Oder gerade dann.
55 % der Führungskräfte im mittleren Management geben laut Studie an, bereits gegen ihre eigenen moralischen Überzeugungen gehandelt zu haben, weil sie den Druck von oben weitergeben mussten. Ein Alarmsignal. Denn wer nur durchreicht, läuft Gefahr, sich selbst zu verlieren – nicht nur das Vertrauen des Teams.
Führungskräfte, die auf kritische Fragen nur mit „Das kam von oben“ antworten, machen sich klein – und ihre Position gleich mit. Denn wer selbst nicht überzeugt wirkt, wird auch niemanden überzeugen. Und wer nur nachplappert, was die Chefetage vorgibt, verspielt die wichtigste Währung in der Führung: Vertrauen.
Natürlich können Entscheidungen von oben nicht einfach ignoriert werden. Aber sie müssen erklärt, eingeordnet und – wenn nötig – gegenüber dem oberen Management infrage gestellt werden. Denn Führung ohne innere Überzeugung ist bloße Verwaltung.
Zwischen den Fronten liegt die Führungsaufgabe
Wer führt, steht im Dauer-Spannungsfeld zwischen Strategie und Realität, zwischen Deadline und Dialog, zwischen Ansage und Augenmaß. Das ist anstrengend, aber es gehört zum Job. Der Druck ist dabei kein Freibrief, ihn einfach weiterzugeben. Sondern ein Prüfstein: für Selbststeuerung, für Kommunikation und für Charakter.