Jedes Unternehmen braucht Führung. Doch was passiert, wenn sie ausbleibt? Führungsschwäche zeigt sich nicht nur im täglichen Chaos, sondern oft viel subtiler: in verschobenen Entscheidungen, wechselnden Prioritäten, unklaren Zuständigkeiten. Die Folge? Prozesse stocken, Teams agieren orientierungslos, gute Mitarbeiter ziehen sich zurück – oder gehen ganz.
Wenn Chefs keine Chefs sind
Warum übernehmen Führungskräfte ihre Rolle nicht? Einige sind zwar exzellente Fachexperten, aber keine Führungspersönlichkeiten. Andere sind unsicher oder schlicht überfordert. Wiederum einige glauben sogar, dass ein Team sich von selbst organisiert – ein Trugschluss, der sich schnell rächt. Ob Unvermögen, Überforderung oder Desinteresse: Das Ergebnis bleibt gleich. Wer unter einer passiven Führungskraft arbeitet, fühlt sich allein gelassen und verliert mit der Zeit jegliche Motivation.
Führungslosigkeit bleibt lange unbemerkt. Nach außen wirkt ein Unternehmen vielleicht stabil am Markt – erreicht die gesteckten Quartalszahlen, doch intern häufen sich Frust und Unklarheit. Meetings drehen sich im Kreis, Mitarbeiter müssen selbst Prioritäten setzen, Entscheidungen werden verschleppt. Solche Strukturen bremsen nicht nur die individuelle Entwicklung, sondern auch den langfristigen Erfolg des Unternehmens.
Führungslücke – und wer sie füllt
Wenn Führung fehlt, bleibt die Frage: Wer übernimmt sie? Oft springen engagierte Mitarbeiter ein. Sie treffen Entscheidungen, sorgen für Struktur, lenken das Team. Das kann funktionieren – hat aber einen Preis. Denn wer ständig Aufgaben übernimmt, die eigentlich beim Chef liegen, landet schnell in der Falle:
- Mehr Verantwortung, aber keine Befugnisse.
- Mehr Einsatz, aber keine Anerkennung.
- Mehr Leistung, aber kein höheres Gehalt.
Der psychologische Aspekt: Wer sich verantwortlich fühlt, übernimmt meist zu viel. Kollegen gewöhnen sich daran, dass jemand die Lücken füllt, und die Führungskraft delegiert stillschweigend weiter. Irgendwann ist es nicht mehr freiwillige Unterstützung, sondern Erwartung. Und genau hier liegt die Gefahr – wer einmal Verantwortung übernommen hat, gibt sie nur schwer wieder ab.
Der bessere Weg: Lücken füllen, aber bewusst. Es hilft, sich klar zu positionieren: Anstatt auf Entscheidungen seitens der Führungskraft zu warten, besser eine klare Ansage machen – zum Beispiel: „Ich plane, das bis Freitag umzusetzen. Falls es Bedenken gibt, gib mir bitte Bescheid.“ So entsteht Handlungsspielraum, ohne dass man sich in endlosen Abstimmungen verliert.
Führung einfordern – aber mit Fingerspitzengefühl
Nicht jeder Chef merkt von selbst, dass er mehr führen sollte. Manche reagieren erst, wenn sie in die Verantwortung genommen werden. Doch wie macht man das, ohne sich unbeliebt zu machen? Wer zu forsch auftritt, riskiert Konflikte. Wer sich zu sehr zurückhält, bleibt unsichtbar.
Eine clevere Strategie ist es, die Führungskraft mit gezielten Fragen in die Verantwortung zu ziehen: „Welche Priorität hat dieses Projekt?“ zwingt zu einer Antwort. „Sollten wir das bald angehen?“ lädt zum Wegducken ein. Bleibt die Reaktion aus, hilft eine Frist: „Falls ich bis Mittwoch nichts höre, gehe ich davon aus, dass wir das so umsetzen.“ So entsteht sanfter Druck, ohne offene Konfrontation.
Hilfreich ist auch das Spiegeln von Problemen: Statt selbst Lösungen zu präsentieren, kann man dem Chef die Konsequenzen vor Augen führen: „Ohne klare Priorisierung kann das Projekt nicht fristgerecht abgeschlossen werden. Wie wollen wir vorgehen?“ So wird Verantwortung zurückgegeben, anstatt sie selbst zu übernehmen.
Karriere trotz Führungsschwäche?
Ein Chef, der nicht führt, ist nicht nur frustrierend – er ist auch ein Karrierehindernis. Wer keine Unterstützung bekommt, bleibt unsichtbar. Wer kein Feedback erhält, entwickelt sich kaum weiter. Wer sich in einem solchen Umfeld zu lange aufhält, steckt irgendwann fest.
Deshalb gilt: Netzwerke aufbauen, Sichtbarkeit schaffen, Kontakte knüpfen. Der direkte Vorgesetzte sollte nicht die einzige Bezugsperson im Unternehmen sein. Wer strategisch denkt, sucht Mentoren, präsentiert sich stark in Meetings, macht sich unabhängig von einer einzelnen Führungskraft. Denn Karriere passiert nicht einfach so – sie braucht aktive Gestaltung.
Praktische Maßnahmen für mehr Sichtbarkeit:
Regelmäßige Updates über eigene Erfolge an relevante Personen kommunizieren
Sich in Meetings gezielt zu Wort melden und eigene Projekte sichtbar machen
Proaktiv Verantwortung in strategisch wichtigen Themen übernehmen
Unterstützung durch Mentoren oder andere Führungskräfte suchen
Wann es Zeit ist zu gehen
Manchmal hilft alles nichts. Wenn sich über Monate nichts verbessert, Entscheidungswege blockiert bleiben und jede Perspektive fehlt, bleibt oft nur der Schlussstrich.
Ein Jobwechsel klingt radikal, doch in manchen Fällen ist er die klügste Wahl. Denn eines ist sicher: Menschen – und auch Chefs – ändern sich selten. Wer sich in einer Struktur wiederfindet, in der Führungslosigkeit die Regel ist, sollte sich fragen: Lohnt es sich, weiter Energie in dieses Unternehmen zu investieren – oder ist ein Neuanfang langfristig die bessere Option?