Hast du schon einmal von dem Begriff „Holokratie“ gehört? Wenn nicht, solltest du jetzt die Ohren spitzen, denn die Holokratie gilt als eine der vielversprechendsten Organisationsstrukturen der Zukunft. Flache Hierarchien, hohe Selbstverantwortung, schnelle Kommunikation und Förderung von Innovationen – all das verspricht die Holokratie.

Was was ist Holokratie?

Die „Holacracy“ wurde von dem US-amerikanischen Unternehmer Brian Robertson geprägt und erstmalig in seiner eigenen Firma namens „Ternary Software Corporation“ eingeführt. Es handelt sich um eine Organisationsstruktur für Unternehmen, durch welche Hierarchien abgebaut und alle Individuen in die Entscheidungsfindung einbezogen werden sollen. Die Besonderheiten der Holokratie liegen demnach in

  • einer hohen Transparenz.
  • der „Entmachtung“ der Unternehmensspitze.
  • partizipativen Beteiligungsmöglichkeiten.
  • einer „gemeinschaftlichen“ Entscheidungsfindung.
  • einer „führungslosen“ Struktur.
  • großen Netzwerken.
  • kurzen Kommunikationswegen.
  • einem festen Regelwerk.

Holokratie gilt daher gemeinhin als das Gegenmodell zu der klassischen Hierarchie, wie sie derzeit in den meisten (deutschen) Unternehmen praktiziert wird.

Keine Hierarchien mehr? – Wie genau funktioniert diese Holokratie?

Keine Hierarchien – das klingt für viele Arbeitnehmer (und einige Arbeitgeber) nach einem echten Traum. Doch während immer mehr Unternehmen zugunsten ihres Employer Brandings mit flachen Hierarchien werben, scheinen „überhaupt keine“ Hierarchien in naher Zukunft – und vielleicht auch niemals – möglich zu sein. Brian Robertson und die immer größer werdende Gruppe von Anhängern des Holokratie-Konzeptes sind hier jedoch anderer Meinung.

Brian Robertson beschreibt in seinem Buch „Holacracy: Ein revolutionäres Management-System für eine volatile Welt“ das Unternehmen als eine Art menschlichen Körper. Jedes Organ funktioniert autonom und dennoch sind sie alle untereinander vernetzt. Somit könnte jeder Kreis (Aufgabenbereich) im holokratischen System mit einem Organ im Körper verglichen werden. Wird die Organisation größer und komplexer, können die einzelnen Kreise wiederum in „Unterkreise“ aufgegliedert werden. Es gibt also nicht mehr nur das Herz (sagen wir einmal das „Marketing“), sondern die Herzklappen (Social Media), die Herzkammern (TV-Werbung) und die Herzkranzgefäße (Employer Branding).

Eine Person kann jedoch auch in den (Unter-) Kreisen verschiedene Aufgaben übernehmen, zum Beispiel die TV-Werbung im Kreis „Marketing“ sowie die dafür notwendige Budgetplanung im Kreis „Finanzen“. In jedem Zuständigkeitsbereich kann die betreffende Person frei handeln und eigenständig Entscheidungen treffen, ohne sich dafür die „Erlaubnis“ eines Vorgesetzten einholen zu müssen. Damit zwischen all den autonomen Einheiten jedoch kein Chaos ausbricht, basiert das System auf einem festen Regelwerk, das von jedem Individuum unbedingt einzuhalten ist. Es handelt sich hierbei um die sogenannte „Holacracy Constitution“.

Die vier Säulen der Holokratie

Diese „Holacracy Constitution“ umfasst im Groben vier Leitlinien als tragende Säule der neuen Organisationsform. Nur mit (mindestens) diesen vier Grundregeln kann Holokratie im Unternehmen funktionieren:

  1. Double-Linking: Kommunikation ist ja bekanntlich das A und O im (Berufs-) Leben. Und gerade in einem solchen System voller autonomer Einheiten, ist es natürlich unerlässlich, dass diese untereinander kommunizieren. Hierfür gibt es in jedem der Kreise einen oder mehrere Vertreter, welche gezielt die Kommunikation in die jeweils anderen (zugehörigen) Kreise übernehmen. Je klarer die Zuständigkeiten und je direkter die Kommunikation, umso erfolgreicher funktioniert das Konzept der Holokratie. In der Holokratie wird also nicht nur zwischen „Oben“ und „Unten“ kommuniziert, sondern zwischen allen Ebenen – und das auf Augenhöhe.
  2. Trennung von operativen und Steuerungstreffen: Die operativen Treffen finden auch in der Holokratie auf Unternehmensebene statt, um das Tagesgeschäft zu organisieren sowie zu regeln. Nicht aber die Steuerungstreffen: Jede autonome Einheit, sprich eine „Funktion“, sei sie durch eine Einzelperson oder einen (Unter-) Kreis vertreten, ist selbst für ihre Steuerung zuständig. Sind zwei oder mehr Personen einer Funktion zugeordnet, so verfügen diese selbstständig über ihre Zuständigkeiten, Organisation sowie Entscheidungsfindungsprozesse.
  3. „Funktionen“ statt Personen: Wie bereits erwähnt, findet in der Holokratie eine Trennung zwischen Personen und „Funktionen“ – auch Rollen oder Zuständigkeiten – statt. Du bist also nicht „Online-Marketing-Manager“, sondern einfach „Angestellter“ mit den Funktionen „Social-Media-Strategie“ und „Unternehmensblog“. Dadurch sollen Missverständnisse (aufgrund mangelnder Kommunikation) über die Zuständigkeiten einzelner Stellen beziehungsweise Personen vermieden werden. Der erste Schritt  besteht daher in der Definition der verschiedenen Funktionen sowie ihrer Zuständigkeitsbereiche und erst im zweiten Schritt werden diese „Rollen“ dann durch Personen beziehungsweise Kreise besetzt.
  4. Integrative Entscheidungsfindung: Und zuletzt zeichnet sich die Holokratie dadurch aus, dass alle Personen in einem Kreis ein Stimmrecht besitzen. Im Fokus steht dabei stets der Sachbezug einer Entscheidung. Entpuppt sie sich in der Praxis als nicht optimal, kann sie jederzeit korrigiert werden.

In der Theorie klingt die Holokratie nach einem erstrebenswerten Organisationsmodell für die Zukunft. Und auch in der Praxis hat sie sich schon vielerorts bewährt. Sie bringt schließlich zahlreiche Vorteile für alle Beteiligten einer Organisation mit sich:

  • flache bis überhaupt keine Hierarchien
  • gesteigerte Innovationskraft
  • kleine Kurskorrekturen anstelle praxisferner Grundsatzplanungen
  • zufriedenere, motiviertere und produktivere Angestellte
  • flexiblere Organisation
  • Förderung der persönlichen Entwicklung der Mitarbeiter
  • Abbau von Bürokratie
  • Beschleunigung der Kommunikation
  • dezentrale Entscheidungsfindung
  • klar definierte Zuständigkeitsbereiche
  • sinkende Fehlerquoten
  • u. v. m.

Die Holokratie scheint die perfekte Antwort auf eine immer schnelllebigere und komplexere Arbeitswelt zu sein. Sie ermöglicht Unternehmen, flexibel auf Veränderungen im Außen (oder Innen) zu reagieren und steigert zugleich die Innovationskraft der Organisation. Die Mitarbeiter sind eigenständiger, genießen persönliche Freiheit sowie einen hohen Grad an Eigenverantwortung. Dadurch sind sie langfristig zufriedener, motivierter, gesünder und produktiver. Freiheit und Selbstverantwortung – das sind Stichworte, mit welchen sie die begehrte Generation Y in Zeiten des Fachkräftemangels locken lässt. Die Holacracy wird daher zum unschlagbaren Argument im Employer Branding des Unternehmens.

Holokratie – das bedeutet das „Ende“ der Manager und Führungskräfte sowie der klassischen Hierarchien, wie sie bislang in den meisten (deutschen) Unternehmen gelebt werden. Hier kann jeder Mitarbeiter eigene Ideen oder Verbesserungsvorschläge einbringen und (zumindest theoretisch) direkt per Telefon oder im Vieraugengespräch dem CEO vorlegen. Klingt zu schön, um wahr zu sein? Leider ist das in vielen Fällen auch so. Denn vor allem, wenn die Umsetzung der Holokratie nicht „richtig“ erfolgt, kann sie in der Praxis mehr Chaos erzeugen als Innovationen.

Holokratie? Ja bitte – aber richtig!

Wie alles im Leben, hat nämlich auch die Medaille „Holokratie“ zwei Seiten. Alle Individuen in der Organisation müssen das neue Konzept verstehen, mittragen und sein komplexes Regelwerk nicht nur kennen, sondern auch einhalten. Ansonsten birgt die Holokratie das Risiko von Chaos im Unternehmen. Das ist der Hauptgrund, weshalb so viele Organisationen (noch) vor der Einführung der Holacracy anstelle starrer Hierarchien zurückschrecken. Doch richtig umgesetzt, kann die Holokratie für ein Unternehmen zahlreiche Vorteile mit sich bringen – vor allem eine gesteigerte Innovationskraft. Während sich nämlich bei Städten ihre Innovationskraft mit zunehmender Größe vermehrt, ist bei vielen Unternehmen in Deutschland aufgrund aufwändiger Bürokratien, umständlicher Kommunikation und starren Strukturen bislang das Gegenteil der Fall. Unternehmen sollten sich daher nicht die Frage stellen, „ob“ sie Holokratie einführen möchten, sondern „wann“ und „wie“.

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