In einigen Unternehmen wird derzeit umgebaut: Hierarchien werden flacher, Führung wird verteilt, Eigenverantwortung gestärkt. Der Umbau verspricht Agilität, kürzere Entscheidungswege, mehr Nähe zum Kunden. Andere Organisationen hingegen fahren bewusst einen härteren, hierarchischeren Kurs – sei es aus Effizienzgründen oder aus strategischer Überzeugung.

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Doch egal in welche Richtung die Entwicklung geht: Wer Hierarchien abbaut, verändert auch die Spielregeln. Und das führt zu einem Spannungsfeld. Denn während sich die Organisation wandelt, bleiben Erwartungen bestehen – insbesondere die, dass beruflicher Erfolg sich durch Aufstieg ausdrückt. Genau hier beginnt das Problem: In Unternehmen ohne klassische Karriereleitern fehlt das, was einige Persönlichkeiten besonders motiviert – nämlich sichtbare Anerkennung und formeller Status.

Enttäuschte High-Performer

Es sind nicht die Low Performer, die in flachen Strukturen hadern. Es sind häufig genau jene Mitarbeitenden, die durch Einsatz, Eloquenz und Ehrgeiz auffallen. Menschen, die in klassischen Organisationen schnell Verantwortung übernehmen, weil sie danach streben, sich zu beweisen. Oft handelt es sich um stark extravertierte Persönlichkeiten – kommunikativ, durchsetzungsstark, leistungsorientiert.

In traditionellen Karrieresystemen gibt es für sie klare Etappen: Teamleitung, Abteilungsleitung, Bereichsverantwortung. Jeder Schritt ist sichtbar, jeder Titel markiert Fortschritt. In flacheren Organisationen dagegen verschwimmen diese Etappen. Rollen werden flexibler, Führung wird projektbezogen. Verantwortung wird nicht mehr durch Titel verliehen, sondern durch Übernahme im Kontext. Für viele ist das eine Befreiung. Für andere eine Enttäuschung.

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Status wird informell – und das reicht nicht allen

Flache Strukturen verändern die Form von Anerkennung. Statt Beförderungen gibt es Feedback. Statt Jobtiteln: Einfluss im Team. Doch informelle Anerkennung funktioniert anders – sie ist flüchtiger, schwerer messbar und oft weniger sichtbar. Wer daran gewöhnt ist, Anerkennung über Position und Status zu erhalten, fühlt sich schnell unsichtbar.

Das führt zu einem inneren Widerspruch: Der Anspruch, Verantwortung zu übernehmen, bleibt bestehen, doch die Organisation bietet kein erkennbares Zielbild mehr. Mitarbeitende, die sich nach außen als Leistungsträger inszenieren konnten, verlieren die Bühne. Und das kann zu Frustration führen, zu stillem Rückzug oder sogar zur Kündigung.

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Diese Diskrepanz zeigt sich auch im aktuellen Mittelstandsreport 2025 von The Stepstone Group: Über 80 Prozent der Arbeitnehmer haben sich demnach bereits bei einem mittelständischen Unternehmen beworben – einer der Hauptgründe: flache Hierarchien. Viele verbinden damit mehr Nähe zur Entscheidung, mehr Einfluss, mehr Sinn. Gerade in KMU gelten kurze Wege und wenig Bürokratie als Attraktivitätsfaktoren.

Doch was Bewerbende als Vorteil sehen, kann sich im Arbeitsalltag dann doch anders anfühlen, insbesondere für Persönlichkeiten, die über formellen Status motiviert sind. Denn wo keine klaren Aufstiegspfade mehr erkennbar sind, verlieren viele den Maßstab für Erfolg – und das Gefühl, mit ihrer Leistung entsprechend wahrgenommen zu werden.

Wer bleiben soll, braucht Perspektive

Die Lösung ist nicht, extravertierte Talente im Team zu vermeiden oder auf klassische Karrierepfade zurückzufallen. Es geht vielmehr darum, neue Formen der Anerkennung zu etablieren, die auch diesen Persönlichkeiten gerecht werden, ohne dabei die Prinzipien flacherer Organisationen zu verraten. Dazu gehört:

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  • Transparenz über Entwicklungsmöglichkeiten, auch wenn sie nicht in Titeln münden.
  • Sichtbarkeit von Leistungen, etwa über projektübergreifende Rollen, Mentoring oder Repräsentation nach außen.
  • Verlässliche Feedbackkultur, die nicht nur informiert, sondern auch Orientierung gibt.
  • Und nicht zuletzt: ein klares Bekenntnis, dass Karriere nicht immer nach oben führen muss, sondern auch in die Breite, in Wirkung, in Sinn.

Schon gewusst? Fehlende Entwicklungsmöglichkeiten haben Folgen, besonders für Unternehmen. Einer Studie der Universität zu Köln und Faircoach zufolge kündigen derzeit auffällig viele High Performer – vor allem in kaufmännischen und gewerblichen Bereichen. In Einzelfällen liegt die Abwanderungsrate bei satten 54 Prozent. Hauptgründe: fehlende Perspektiven und schwache Führung. Der wirtschaftliche Schaden ist erheblich: Eine Neubesetzung kostet im Schnitt 54.800?Euro – jährlich belaufen sich die Fluktuationskosten pro Unternehmen somit auf rund 670.000?Euro.

Gerade die ersten Wochen entscheiden, ob neue Mitarbeitende langfristig bleiben oder innerlich schon kündigen. Wer früh Orientierung, Wertschätzung und Entwicklungsperspektiven vermittelt, legt den Grundstein für Bindung. Wie das gelingt, zeigt unser Onboarding-Guide.

Was bleibt, wenn der Aufstieg fehlt

Die Transformation zu flacheren Hierarchien ist mehr als ein Umbau des Organigramms. Sie verlangt ein neues Verständnis von Erfolg – und eine Kultur, die verschiedene Motive der Beelegschaft ernst nimmt. Wer extravertierte Leistungsträger halten will, muss ihnen zeigen, dass es auch abseits des klassischen Aufstiegs Wege gibt, sichtbar, wirksam und anerkannt zu sein. Andernfalls droht genau das, was sich kein Unternehmen wünscht und noch weniger leisten kann: dass ausgerechnet die Leistungsträger gehen.

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