In Unternehmen wird viel gelächelt, viel gelobt, viel inszeniert. Doch hinter der freundlichen Kulisse wächst der Zweifel. Beschäftigte spüren: Wertschätzung ist zur Währung geworden – dosiert, kalkuliert, strategisch eingesetzt. Was als Zeichen der Anerkennung wirken soll, hinterlässt oft den Eindruck: Hier geht es nicht um mich – sondern um Wirkung.

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Der tägliche Applaus – und seine Schattenseiten

Im Großraumbüro wird gefeiert. Ein Team hat ein Projekt abgeschlossen, der Vorgesetzte bringt Croissants mit, es gibt Lob per Slack-Nachricht, Emojis inklusive. Und doch bleibt ein seltsamer Beigeschmack. „Das war doch nur, weil nächste Woche die Mitarbeiterbefragung kommt“, murmelt jemand. Ein anderer: „Das ist halt sein Job – uns bei Laune zu halten.“

Psychologisch gesehen spricht man hier von kognitiver Dissonanz: Ein Verhalten (z.?B. Lob oder ein Incentive) wird nicht als im Einklang mit der inneren Haltung wahrgenommen. Die Folge? Es verliert an Wirkung.

Im Gegenteil: Es kann sogar zynisch stimmen. Anerkennung, die nicht kongruent mit dem restlichen Verhalten von Führungskräften ist, wird als manipulativ empfunden – und nicht als ehrlich.

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Wertschätzung verliert ihre Wirkung, wenn sie nur inszeniert ist. Mitarbeitende spüren, ob ein Lob von Herzen kommt – oder als Führungsinstrument missbraucht wird. Was zählt, ist Authentizität, nicht Strategie.

Zwischen Employer Branding und emotionaler Erpressung

In vielen Unternehmen hat sich eine Kultur entwickelt, die man auch als „Marketing der Gefühle“ bezeichnen könnte. Das Ziel: Mitarbeitende emotional binden – und dabei möglichst ökonomisch effizient bleiben. Gratifikationen werden gezielt platziert, Team-Events organisiert, Führungskräfte gecoacht, um nahbarer zu wirken. Doch meist bleibt genau das sichtbar: die Absicht.

Besonders dann, wenn Wertschätzung zum Instrument wird, aber der Mensch dahinter keine wirkliche Rolle spielt. Oder wenn Dank stets dann kommt, wenn es dem Unternehmen nützt – vor einem Quartalsmeeting, beim Onboarding neuer Talente oder als Reaktion auf steigende Kündigungszahlen.

Das Ergebnis ist in der Regel das Gegenteil dessen, was eigentlich beabsichtigt war: Misstrauen statt Bindung, Distanz statt Engagement. Mitarbeiter fragen sich: Meint er mich – oder meint er den Nutzen, den ich für die Unternehmensergebnisse habe?

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Die Psychologie der Anerkennung – worauf es ankommt

Anerkennung ist ein menschliches Grundbedürfnis. In der Arbeitspsychologie zählt sie zu den sogenannten „motivationalen Hygienefaktoren“, wie Frederick Herzberg bereits in den 1950er Jahren herausfand. Fehlt sie, entsteht Unzufriedenheit. Doch: Sie allein reicht nicht aus, um echte Motivation zu erzeugen. Vielmehr braucht es ein authentisches, konsistentes Umfeld.

Drei Bedingungen sind entscheidend, damit Anerkennung auch als solche wahrgenommen wird:

  • Kongruenz: Anerkennung wirkt nur dann glaubwürdig, wenn sie im Einklang mit dem tatsächlichen Verhalten der Führungskraft steht. Wer lobt, aber nächsten Atemzug tadelt, sendet gemischte Signale. Das Lob? Wird zur Floskel – und das Misstrauen wächst.
  • Individualität: Echte Wertschätzung berücksichtigt den Menschen – nicht nur seine Leistung. Sie sieht die Person hinter der Rolle, hinter den Ergebnissen. 
  • Unabhängigkeit vom Timing: Kommt Lob immer dann, wenn es strategisch ins Raster passt, verliert es seine Wirkung. Echte Wertschätzung zeigt sich eher zwischendurch – leise, unerwartet, ehrlich.

Wertschätzung darf nicht zur Währung verkommen

Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass man sich Mitarbeiterbindung erkaufen kann. Mitarbeiter merken, wenn Wertschätzung zur Währung wird – und sie nur so viel zählt wie die nächste Performance-Kennzahl. Wer so handelt, unterschätzt ein zentrales Element psychologischer Sicherheit: Vertrauen. Und Vertrauen lässt sich nicht verordnen – es wächst in Begegnungen im Alltäglichen, nicht in Bonusprogrammen.

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Schon gewusst: Über 40 Prozent der Beschäftigten in Deutschland vermissen eine angemessene Wertschätzung für ihre Arbeit. Das zeigt die Job-Happiness-Studie von XING. Besonders deutlich wird der Zusammenhang zwischen Zufriedenheit und Anerkennung: Während 72 % der zufriedenen Mitarbeitenden sich wertgeschätzt fühlen, sind es bei den Unzufriedenen nur 15 %. 

Der amerikanische Organisationspsychologe Adam Grant spricht von „givers“ und „takers“ in Unternehmen. Givers geben Anerkennung ohne Gegenforderung – sie schaffen Vertrauen. Takers hingegen setzen Lob strategisch ein – und verlieren auf lange Sicht die Bindung der Mitarbeitenden.

Lese-Tipp: „Giver“ oder „Taker“? Mit dieser Frage prüfen Personaler die Persönlichkeit eines Bewerbers

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Was Unternehmen lernen müssen – wenn sie wirklich binden wollen

In Zeiten des Fachkräftemangels reicht es nicht, bunte Benefits zu bieten. Wer Mitarbeitende halten will, muss ihnen zuhören, sie einbeziehen und ihnen Raum geben, sich zu entwickeln – nicht nur Lob verteilen. Was fehlt, ist Echtheit – und eine Führung, die nicht nur auf Leistung zielt, sondern auf Beziehung.

Das bedeutet auch: weniger Inszenierung, mehr Haltung. Echtes Interesse am Menschen, nicht nur an der Leistung, an den Ergebnissen, am Nutzen. Denn genau darin liegt der Unterschied zwischen Motivation und Manipulation.

Lese-Tipp: Führung heißt Haltung zeigen – gerade jetzt

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Mitarbeiterwertschätzung ist ein sensibles Terrain

Wo sie gezielt eingesetzt wird, aber nicht getragen ist von echter Beziehung, entsteht Distanz – keine Bindung. Unternehmen, die heute im War of Talents bestehen wollen, müssen tiefer gehen. Nicht jede Anerkennung muss ein Feuerwerk der Emotionen sein. Oft reicht ein ehrliches: Danke. Ich sehe dich. Aber nur, wenn es auch so gemeint ist.

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