Vertrauen ist eine fragile Währung. Es braucht Zeit, um es aufzubauen, und oft nur einen Moment, um es zu zerstören. In der Arbeitswelt zeigt sich das derzeit auf besonders drastische Weise: Immer weniger Menschen glauben, dass ihre Vorgesetzten es gut mit ihnen meinen – oder überhaupt noch einen Plan von Führung haben.
Laut Gallup vertrauen nur noch 21 Prozent der deutschen Beschäftigten ihrer Führungskraft uneingeschränkt. 2019 waren es noch 49 Prozent. Innerhalb von fünf Jahren hat sich das Vertrauen also mehr als halbiert.
Eine Zahl, die man wirken lassen sollte. Denn sie steht nicht nur für Unzufriedenheit. Sie steht für ein strukturelles Problem in der Art, wie in vielen Unternehmen geführt wird – und wie sich die Beziehung zwischen Führungskraft und Team verändert hat.
Vertrauen entsteht nicht durch Ansagen
Viele Führungskräfte haben gelernt, Entscheidungen zu treffen. Und das ist auch gut so. Weniger gelernt haben sie allerdings, Vertrauen zu gewinnen – oder zu halten. Doch genau das ist heute entscheidender denn je. Denn Vertrauen ist nicht irgendein Nebenprodukt in puncto Teamführung Es ist die Grundlage dafür, dass Menschen überhaupt bereit sind, sich einzubringen. Wer vertraut, engagiert sich. Wer nicht vertraut, macht nur noch Dienst nach Vorschrift.
Und genau das ist harte Alltag in vielen Unternehmen: 78 Prozent der Beschäftigten fühlen sich mit ihrer Arbeit emotional nicht mehr verbunden. Das bedeutet nicht, dass sie faul wären – es bedeutet, dass sie innerlich auf Abstand gegangen sind.
Es fehlt die Nähe zum Team
Dabei ist Vertrauen kein abstraktes Konstrukt. Es entsteht dort, wo Führung erlebbar wird. Wenn Menschen spüren, dass ihre Anliegen gehört werden. Wenn Kommunikation nachvollziehbar ist. Wenn Entscheidungen transparent getroffen und verständlich erklärt werden. All das scheint in den letzten Jahren verloren gegangen zu sein – oder wird von Mitarbeitenden zumindest so wahrgenommen.
Einige Führungskräfte wirken heute vor allem eines: abwesend. Nicht körperlich – sondern menschlich. Der Blick auf Zahlen, Prozesse und Strategien in Krisenzeiten hat vielerorts den Blick auf die Menschen verdrängt. Wer sich aber nicht gesehen, nicht verstanden fühlt verliert Vertrauen. Und oft auch die Motivation, sich aktiv einzubringen.
In eigener Sache: Vertrauen beginnt am ersten Arbeitstag. Wer neue Mitarbeitende gewinnen will, muss sie vom ersten Moment an ernst nehmen. Onboarding ist mehr als ein Prozess – es ist ein Vertrauensangebot. Unser Onboarding-Guide zeigt, wie du neue Mitarbeitende nicht nur einarbeitest, sondern für dein Unternehmen gewinnst.
Führung funktioniert nicht im Autopilot
Natürlich sind Führungskräfte heute enorm gefordert. Der wirtschaftliche Druck ist hoch, die Teams arbeiten durch den Fachkräftemangel am Limit – und Projekte werden gleichzeitig immer anspruchsvoller. Aber genau deshalb wäre es fatal, Führung auf reines Aufgabenmanagement zu reduzieren. Denn Menschen folgen nicht Excel-Tabellen oder Schichtplänen – sie folgen Menschen. Oder eben nicht.
Die Gallup-Zahlen zeigen deutlich: Wo Vertrauen fehlt, da fehlen auch Loyalität, Leistungsbereitschaft und Innovationskraft. Nur noch die Hälfte der Beschäftigten sieht sich in einem Jahr noch beim aktuellen Arbeitgeber. Und selbst mittelfristig wollen nur 34 Prozent bleiben. Das ist nicht nur ein Achtungssignal – das ist ein Hilferuf.
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Vertrauen braucht Haltung
Viele Führungskräfte glauben, alles wissen und im Griff haben zu müssen. Als dürften sie sich keinerlei Unsicherheit und Zögern leisten. Wer als Führungskraft offen kommuniziert, auch dann, wenn geraden Antworten auf bestimmte Fragen fehlen, schafft mehr Bindung als jemand, der sich hinter Strategiephrasen und Durchhalteparolen versteckt.
Was vielen Vorgesetzten zudem schwerfällt: Fehler einzugestehen. Dabei kann genau das ein starker Vertrauensanker sein. Wer Verantwortung übernimmt, ohne sich davor zu drücken, zeigt Führungsstärke. Und wer konsequent zu seinem Wort steht, auch wenn es mal unbequem wird, schafft Sicherheit und Verlässlichkeit.
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Was Unternehmen jetzt tun sollten
Vertrauen lässt sich nicht anordnen – nicht herbeibeschwören. Aber es lässt sich gestalten. Nicht mit einem einmaligen Workshop oder eines hippen Firmenevents. Sondern im Arbeitsalltag. Im Verhalten. In jedem Meeting, jeder Rückmeldung, jedem Gespräch. Wer jetzt Vertrauen aufbauen oder zurückgewinnen will, muss genau dort ansetzen.
Das beginnt auch bei den vermeintlich kleinen Dingen: zeitnahe Rückmeldungen. Zusagen einhalten. Fragen beantworten – und sei es nur mit einem „Ich weiß es gerade nicht, aber ich finde es für dich heraus und melde mich.“
Es geht darum, präsent zu sein – nicht nur erreichbar. Es geht darum, zuzuhören. Und es geht auch darum, Sinn im Tun und Handeln – man nennt es auch Mission – zu vermitteln. Denn wer nicht weiß, warum er morgens aufstehen soll, wird kaum 100 Prozent motiviert seine Arbeit verrichten.
Ohne Vertrauen keine Führung – und kein Team
Am Ende ist Führung eine Art von Beziehung. Und jede Beziehung lebt von Vertrauen. Wenn das fehlt, nützen keine Tools, keine Boni, keine Kick-Offs. Dann geht es zuerst um Wiederannäherung. Um Zuhören. Um Glaubwürdigkeit. Und vor allem um die Frage: Wofür stehe ich als Führungskraft – und wie spüren das meine Leute?