Passt ein Bewerber zum Job? Hat er Entwicklungspotenzial? Die meisten Vorstellungsgespräche laufen nach festen Regeln ab. Die Fragen sind anspruchsvoll, das Gespräch soll Aufschluss über Persönlichkeit und Belastbarkeit geben. Doch nicht alle Methoden, die Unternehmen nutzen, um Bewerbern im Jobinterview auf den Zahn zu fühlen sind sinnvoll. Manche greifen zu fragwürdigen Tests wie dem „Wasserglas-Trick“, um Jobkandidaten unauffällig zu bewerten. Dabei sagen sie wenig über berufliche Fähigkeiten aus – und noch weniger über echtes Potenzial.

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Der Wasserglas-Test: Was er über deine Manieren verraten soll

Das Szenario: Der Bewerber bekommt ein Glas Wasser hingestellt, und sein Umgang damit wird genau beobachtet. Greift er das Glas am Rand oder am Bauch? Trinkt er vorsichtig oder spült er in einem Zug runter? Was passiert, wenn das Glas leer ist?

Was Personaler daraus ablesen wollen: Hier soll die Aufmerksamkeit und Höflichkeit eines Kandidaten bewertet werden. Wird das Glas korrekt gehalten, zeigt das angeblich Manieren und ein gewisses Maß an sozialer Intelligenz. Ebenso wird beobachtet, ob der Bewerber aktiv danach fragt, ob er ein leeres Glas nachfüllen darf – das könnte als Zeichen von Initiative und Aufmerksamkeit interpretiert werden.

Psychologisch steckt hier die Annahme dahinter, dass solche kleinen Handlungen auf die Achtsamkeit hinweisen. Wer achtsam ist, achtet auch im Job auf Details – zumindest in der Theorie.

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Die Realität: Die Frage, wie jemand ein Glas hält oder ob er bei einem Bewerbungsgespräch um Nachschub fragt, hat wenig mit Kompetenz zu tun. Menschen reagieren in Stresssituationen oft anders als im gewohnten Alltag. Wer das Glas „falsch“ hält oder abwesend wirkt, könnte einfach nur nervös sein. 

Der Kaffeetassen-Test: Ein Indikator für Teamfähigkeit?

Ein anderer Klassiker: Dem Bewerber wird Kaffee oder Tee angeboten. Am Ende des Gesprächs wird beobachtet, ob er die Tasse freiwillig in die Küche bringt oder sie stehen lässt.

Was Personaler aus diesem Test zusammenreimen wollen: Hier steht Teamfähigkeit und Bescheidenheit im Fokus. Der Gedanke: Wer eine Tasse abräumt, zeigt, dass er bereit ist, auch kleinere Aufgaben im Büroalltag zu übernehmen. Zudem wird auf Eigeninitiative geachtet – ob der Bewerber von selbst erkennt, dass die Tasse nicht einfach auf dem Tisch stehen bleiben sollte.

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Im psychologischen Kontext gilt die Tasse als „Mikrotest“ für Arbeitsmoral: Kleine, unscheinbare Aufgaben zu erledigen, könnte laut dieser Logik darauf hinweisen, dass jemand auch bei größeren Aufgaben den Überblick behält und sich nicht zu schade ist, mit anzupacken.

Die Realität: Hier wird die Situation oft völlig überinterpretiert. Vielleicht weiß der Bewerber nicht, wo die Tasse hingehört. Vielleicht wurde ihm beigebracht, in formellen Gesprächen nichts ohne Erlaubnis zu tun. Oder er ist so auf das Gespräch fokussiert, dass er die Tasse schlicht vergisst. 

Der Aufmerksamkeits-Trick: Hilfsbereitschaft unter Stress

Der Gesprächspartner lässt absichtlich etwas fallen – einen Stift, ein Blatt Papier oder eine Brille. Ziel ist es zu prüfen, ob der Bewerber fix reagiert und den Gegenstand aufhebt.

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Was Personaler sehen wollen: Dieser Test richtet sich an die Hilfsbereitschaft und Aufmerksamkeit des Kandidaten. Reagiert er schnell, zeigt das angeblich Serviceorientierung und soziale Kompetenz. Bleibt der Bewerber passiv, wird ihm Desinteresse oder mangelnde Aufmerksamkeit unterstellt. Psychologisch greift hier die Theorie des „sozialen Interesses“: Wer instinktiv hilft, soll ein hohes Maß an Empathie und Bereitschaft zur Zusammenarbeit mitbringen.

Die Realität: Auch hier greift die Methode viel zu kurz. Bewerber befinden sich in einer angespannten Situation. Manche sind sogar so sehr darauf konzentriert, die nächste Frage richtig zu beantworten, dass sie den fallenden Gegenstand gar nicht bemerken. Andere möchten die Gesprächssituation nicht stören und bleiben daher passiv. Hilfsbereitschaft in einem Bewerbungsgespräch bedeutet nicht automatisch, dass diese Eigenschaft im Arbeitsalltag genauso präsent ist.

Was diese Tests wirklich zeigen

Die Grundannahme hinter diesen Tests ist, dass unbewusste Verhaltensweisen entscheidende Rückschlüsse auf Persönlichkeit, soziale Intelligenz und Arbeitsweise zulassen. Doch in der Praxis ist das alles quatsch.

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Was Personaler dabei übersehen:

  1. Kontextabhängigkeit: Verhalten ist immer von der Situation abhängig. Ein nervöser Bewerber reagiert anders als ein entspannter Kandidat.
  2. Momentaufnahmen: Diese Tests basieren auf Sekundenentscheidungen und lassen keinen Rückschluss auf das langfristige Verhalten im Arbeitsumfeld zu.
  3. Missinterpretation: Was als Desinteresse oder fehlende Initiative interpretiert wird, könnte schlicht Unsicherheit sein.

Unternehmen, die solche Tests anwenden, senden ein fragwürdiges Signal, bei dem Bewerbern die Alarmglocken schrillen sollten: Es wirkt, als stehe Misstrauen statt einer ehrlichen Bewertung der Fähigkeiten im Vordergrund.

Wie Bewerber souverän mit solchen Tests umgehen

Was tun, wenn das Vorstellungsgespräch von solchen Prüfungen geprägt ist? Das Wichtigste ist, sich nicht verunsichern zu lassen. Ruhig und authentisch bleiben

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Wenn der Eindruck entsteht, dass solche Methoden überhandnehmen, kann das Thema höflich angesprochen werden. Zum Beispiel: „Ich habe das Gefühl, mein Verhalten wird genau beobachtet. Worauf kommt es Ihnen dabei besonders an?“ Solche Fragen sind höflich, zeigen aber gleichzeitig Selbstbewusstsein – und fordern Personaler dazu auf, klar Stellung zu beziehen.

Denn eines ist sicher: Sich nicht von solchen Tests aus der Ruhe bringen zu lassen, zeigt oft mehr über die eigene Eignung als der Test selbst.

Kompetenz schlägt Spielchen – immer

Bewerbertests wie der Wasserglas-Trick oder die Kaffeetassen-Falle sind keine verlässlichen Indikatoren für Jobtauglichkeit. Sie schaffen bei potenziellen Jobkandidaten eher Verwirrung als Klarheit. Unternehmen, die wissen wollen, ob jemand ins Team passt, sollten auf offene Gespräche und fundierte Auswahlprozesse setzen – statt auf fragwürdige Prüfungen.

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Am Ende zählt doch, was man kann – und nicht, wie man ein Glas hält.

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