Fast jeder Bewerber kennt die Angst, bei der Gehaltsverhandlung zu tief einzusteigen und sich unter Wert zu verkaufen. Aber was passiert, wenn du beim Gehalt zu hoch pokerst? Eine wegweisende Studie der israelischen Forscher Yossi Maaravi und Sandra Segal enthüllt, welche drastischen Folgen überzogene Gehaltsforderungen psychologisch und wirtschaftlich haben können.
Hohe Gehaltsforderung, hohes Risiko: Warum mehr nicht immer besser ist
In der Arbeitswelt hält sich hartnäckig der Glaube, dass eine – nennen wir sie – ambitionierte Gehaltsforderung automatisch zu besseren Verhandlungsergebnissen führt. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels scheint diese Überzeugung durchaus plausibel: Wer über seltene und gefragte Fähigkeiten verfügt, darf selbstbewusst mehr Gehalt verlangen. Genau dieser Annahme gingen Maaravi und Segal auf den Grund und stellten fest: Das Gegenteil ist häufig der Fall.
In ihrer umfangreichen Studie analysierten sie in mehreren experimentellen Versuchen, wie HR-Manager und Arbeitgeber auf unterschiedlich hohe Gehaltsforderungen reagieren. Dabei deckten sie eine kritische psychologische Dynamik auf, die entscheidend für den Verhandlungserfolg ist.
Wie die Studie durchgeführt wurde
Um aussagekräftige Ergebnisse zu erzielen, führten die Wissenschaftler eine Pilotstudie sowie vier detaillierte Experimente durch. Teilnehmer waren sowohl Online-Arbeitnehmer als auch erfahrene Personalexperten. Diese Vielfalt ermöglichte es, unterschiedliche Sichtweisen zu berücksichtigen und psychologische Reaktionen sowie wirtschaftliche Entscheidungen umfassend zu bewerten.
Hohe Gehaltsforderungen lösen unbewusste Abwehrreaktionen aus
Psychologisch betrachtet, senden zu hohe Forderungen kritische Signale an Arbeitgeber: Sie suggerieren mangelndes Verständnis für die Branche oder sogar Selbstüberschätzung. Arbeitgeber reagieren darauf unbewusst mit Misstrauen und Distanzierung – sie fühlen sich herausgefordert oder sogar manipuliert.
Ein weiterer psychologischer Mechanismus, der in der Studie aufgezeigt wurde, ist der sogenannte Kontrasteffekt: Eine übertriebene Forderung wirkt im Vergleich mit realistischen Kandidaten besonders negativ und verstärkt den Eindruck, dass der Bewerber „aus der Reihe tanzt“. Dies führt dazu, dass nicht nur die wirtschaftliche Entscheidung, sondern auch die persönliche Einschätzung des Bewerbers negativ beeinflusst wird.
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Der Kipppunkt: Wenn Ambition zur Ablehnung führt
Zunächst scheint eine hohe Gehaltsforderung vorteilhaft, da sie als psychologischer Anker dienen kann – der Arbeitgeber orientiert sich an dieser Zahl. Doch die Studie ergab, dass es einen klaren Kipppunkt gibt: Sobald eine Forderung die realistische Obergrenze deutlich überschreitet, sinkt die Akzeptanz rapide. Dieses Phänomen nennen die Forscher „abnehmende Anchoring Response Function“ (ARF).
In Klartext bedeutet das: Je extremer deine Gehaltsforderung, desto geringer ist der Nutzen – stattdessen wächst das Risiko, als unrealistisch und unsympathisch abgestempelt zu werden. Die Folge: Die Chancen auf den Job sinken dramatisch.
Realistisch, selbstbewusst, überzeugend: Die goldene Gehaltsmitte finden
Die Studie von Maaravi und Segal liefert somit eine klare Empfehlung: Wer bei Gehaltsverhandlungen erfolgreich sein will, muss ambitioniert, aber realistisch bleiben. Entscheidend ist dabei eine gründliche Recherche des marktüblichen Gehalts und eine klare Darstellung des eigenen Mehrwerts für das Unternehmen. Wenn Arbeitgeber sehen, dass deine Forderung gerechtfertigt ist, entsteht keine psychologische Abwehr, sondern eine Atmosphäre der Fairness und gegenseitigen Wertschätzung.
Psychologisch clever das Gehalt verhandeln: So überzeugst du
Um in Gehaltsverhandlungen erfolgreich zu sein, solltest du bewusst auf die Signale achten, die du sendest. Zeige dem Arbeitgeber, dass du die Branche verstehst, und begründe deine Forderung sachlich und emotional nachvollziehbar. Empathie und eine professionelle Haltung sorgen dafür, dass du als Partner wahrgenommen wirst, nicht als Gegner.
Denn psychologische Intelligenz schlägt hohe Poker-Einsätze jederzeit. Die Forschungsergebnisse verdeutlichen, dass zu hohe Forderungen mehr schaden als nützen. Wer aber die psychologischen Mechanismen versteht und seine Forderungen intelligent platziert, steigert seine Chancen auf ein attraktives Gehalt und den Wunschjob erheblich.
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