Hast du schon einmal vom Ankereffekt gehört? Dieses faszinierende psychologische Trick könnte der Schlüssel für dein nächstes Gehaltsgespräch sein und dir mehr Geld bescheren.

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Aus Angst oder Unsicherheit, es bei den Gehaltsverhandlungen so richtig zu vergeigen, geben wir manchmal eine niedrigere Gehaltsvorstellung an, als wir uns eigentlich wünschen. Wer höher pokern will, macht im letzten Moment doch einen Rückzieher. Dabei kann alles viel einfacher sein, als wir zunächst glauben.

Es klingt erstaunlich: Wenn du bei der Gehaltsverhandlung zu Beginn eine willkürliche, dir zusagende Zahl nennst, wirst du das Urteil deines Gegenübers höchstwahrscheinlich zu deinen Gunsten beeinflussen können. Egal, wie intelligent und erfahren dein Verhandlungspartner ist oder wie es um dessen Gemütszustand aktuell steht. Diesen psychologischen Effekt konnten die Wissenschaftler und Nobelpreisträger Amon Tversky und Daniel Kahnemann 1974 in ihren Studienergebnissen der Forschung „Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases“ nachweisen.

Kognitionspsychologie: Was bedeutet Ankereffekt?

In ihrem Experiment wollten die Psychologen Kahnemann und Tversky erforschen, wie Umgebungsinformationen unser persönliches Urteil beeinflussen. Herausgekommen ist das berühmte Glücksrad-Experiment: Im Rahmen des Experiments bekamen alle Probanden eine zufällige Zahl vom Glücksrad. Im Anschluss wurden die Teilnehmer gebeten, zu schätzen, wie hoch der Prozentanteil afrikanischer Staaten in der UNO ist.

Ergebnis: Probanden mit einer Glückszahl, die bei 65 und höher lag, gaben im Schnitt höhere Prozentzahlen an, als es um die afrikanischen UNO-Mitgliedsstaaten ging. Wenn die Glückszahl bei nur zehn lag, konnte beobachtet werden, dass auch die Angabe der Prozentzahl für die UNO-Staaten niedriger ausfiel.

Die Glückszahlen haben demnach als sogenannte „Anker“ gedient, an denen sich die Probanden festgehalten haben. Der berühmte Ankereffekt ist eingetreten: Unser Gehirn kreist um diesen einen Anker, egal, um welches Thema es geht und wie irrelevant der Anker für unsere Entscheidungsfindung ist. Der mentale Anker ist die ganze Zeit präsent, sodass wir uns an ihm wie an einem Schiffsanker festklammern.

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Warum brauchen Menschen einen Anker bei Entscheidungen?

In der Regel treffen wir Entscheidungen aus dem Bauch heraus – oder wir gehen unserem Verstand nach. Und doch passiert in unserem Gehirn viel mehr, als wir glauben: Auch bewusste Entscheidungen werden häufig von unbewussten Faktoren beeinflusst. Vor allem, wenn es um Zahlen geht, etwa bei der Gehaltsverhandlung oder beim Einkaufen, orientieren wir uns am liebsten an Vergleichszahlen. Wir benötigen den Vergleich, um möglichst korrekte, plausible Entscheidungen treffen zu können.

Wenn wir wissen, dass wir für eine Tafel Schokolade üblicherweise 80 Cent bezahlen, empfinden wir 2,20 für eine Tafel – etwa von der nächsten Tankstelle – als zu teuer. Wären die 2,20 Euro aber schon immer die Norm, wäre das der Normalpreis für uns und wir würden diesen nicht hinterfragen, sondern die Zahl als Orientierung, also als Ankerzahl und damit als eine Vergleichszahl nutzen.

Häufig werden verschiedene Anchoring-Maßnahmen im Marketing und im Verkauf eingesetzt, um Kunden zu beeinflussen und sie für sich zu gewinnen. So siehst du oft den durchgestrichenen Originalpreis für, sagen wir, eine Jeans, und den Neupreis sowie eine Angabe zu den gesparten Prozenten. Weil der alte Preis noch zu sehen ist, dient er als Anker. Der neue Preis wirkt jetzt im direkten Vergleich besonders verlockend. Die Prozente verstärken den Effekt.

Gehaltsverhandlung: So setzt du den Ankereffekt effektiv ein

Folglich ergibt es Sinn, wenn du zu Beginn deiner Gehaltsverhandlung bei einer etwas höheren Zahl ansetzt, um den Ankereffekt auszulösen. Dein Gegenüber wird die Zahl als Vergleichswert nehmen, um zu einer finalen Entscheidung zu kommen.

Wer beim Gehalt höher ansetzt, kann damit rechnen, dass das Gegenüber keine Zahl nennen wird, die deutlich von der vorgeschlagenen Ankerzahl abweicht – denn diese gibt eine Richtung vor. Hinter dieser Anchoring-Maßnahme steckt die sogenannte „Suggestion“: Du machst einen konkreten Vorschlag, gibst im Grund bereits eine Entscheidung vor.

Umgekehrt gilt: Wenn du eine niedrige Zahl nennst, ist es wahrscheinlicher, dass dein Lohn am Ende tatsächlich auch niedriger als gewünscht ausfällt. Zudem kann eine negative Assoziation nicht ausgeschlossen werden, weil dein Gehaltswunsch auch deinen Marktwert definiert. Eine niedrige Zahl wird folglich mit Begriffen wie „billig“ oder „leicht zu haben“ verbunden.

Lese-Tipp: So steigerst du dein Gehalt um 11,3 Prozent – auch wenn du noch neu im Unternehmen bist

Wie du deine Ankerzahl präsentierst, wirkt sich übrigens ebenfalls auf dein Gegenüber aus. Wenn du zurückhaltend und leise bleibst und nicht den Eindruck vermittelst, dass du das, was du sagst, auch so meinst, kann die Ankerzahl unecht wirken. Dann kommt sie lediglich als verzweifelter Versuch an, mit etwas Glück (und nicht Können) mehr Geld aushandeln zu wollen. Mit deinem Gehaltswunsch darfst du deshalb ruhig selbstbewusst auftreten.

Wirf den Anker aus, aber nicht zu weit

Auch wenn du selbstbewusst in die Gehaltsverhandlungen gehen solltest und dir eine Taktik zurechtgelegt hast, ist der Ankereffekt weder Garantie noch Wundermittel für dein Wunschgehalt. Im Gegenteil: Wer sich jetzt viel zu weit aus dem Fenster lehnt, riskiert einen schweren Aufprall. Wichtig ist deshalb, dass du es nicht zu bunt treibst. Die Summe, die du nennst, sollte branchenüblich und deiner Position entsprechend angemessen sein.

Wenn du zu utopischen Zahlen greifst, die nicht deiner Qualifikation und Erfahrung entsprechen und deren Berechtigung du auch sonst nicht belegen kannst, wirst du dein Gegenüber abschrecken. Möglich ist, dass du in schlimmen Fällen sogar eine Trotzreaktion auslöst und auf großen Widerstand triffst. Bleibe deshalb fair, um auch die zukünftige Zusammenarbeit nicht zu gefährden.

Tipp: Eine gründliche Recherche im Vorfeld hilft dir dabei, nicht zu hoch oder zu tief zu stapeln. Außerdem kann es sinnvoll sein, Probeverhandlungen mit Freunden oder Kollegen durchzuführen, um zu schauen, wie gefestigt du in deinen Argumenten bist und in welchen Punkten du dich noch unsicher fühlst.

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Weitere Tipps für deine Gehaltsverhandlung

Mit dem Ankereffekt erhöhst du bereits deine Chance auf dein Wunschgehalt. Zusätzlich kommen hier noch einige clevere Tipps, die du ebenfalls beachten solltest, um die Erfolgswahrscheinlichkeit zu verdoppeln:

#1: Setze auf Argumente, die du belegen kannst

Die besten Gründe für die Erhöhung deines Gehalts sind nachvollziehbare Argumente, die du gut vorbereiten solltest. Dabei sollte es sich nicht um leere Versprechungen handeln, die deinem Boss keine Sicherheit geben – wie etwa, dass du dein Bestes geben wirst, um Kunden an Land zu ziehen. Beziehe dich stattdessen auf konkrete Ergebnisse und Zahlen aus den letzten Monaten und Projekten.

#2: Sei mutig, aber nicht ausfallend

Es gibt keinen Grund, ängstlich in die Gehaltsverhandlungen zu gehen. Halte dir deshalb vor Augen, dass du selbstbewusst in das Gespräch gehen kannst. Mutig und selbstbewusst aufzutreten bedeutet aber nicht, verletzend oder forsch zu werden. Gib deinem Gegenüber die Gelegenheit, Sätze voll und ganz auszusprechen, bevor du ihm oder ihr ins Wort fällst. Du wirst die Chance bekommen, deine Sicht der Dinge darzustellen.

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#3: Bestehe immer auf Schriftform

Absprachen, etwa die für die Zeit bis zu den nächsten Gehaltsverhandlungen, sollten immer schriftlich festgehalten werden. Frage deshalb bereits in den Verhandlungen nach einer entsprechenden Abmachung in Schriftform. Das zeigt, wie ernst es dir ist und du deine Verhandlungspartner samt Vereinbarungen, die beispielsweise getroffen werden, um deinem Wunschgehalt bald entsprechen zu können, beim Wort nimmst.

Bild: Lucas Sankey/Unsplash

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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