Du bist loyal, pünktlich, verlässlich? Gratuliere, aber du hast im Job das Nachsehen. Im Meeting schmückt sich der Kollege mit fremden Federn, die Chefin lobt seine „Macher-Mentalität“ und du sitzt daneben und klatscht dir innerlich auf die Stirn. Willkommen im modernen Arbeitsleben, wo nicht Integrität, sondern Dreistigkeit belohnt wird. Je krasser der Regelbruch, desto größer die Bühne.
Manche verstoßen gegen Vorschriften, andere gegen den Anstand. Und das scheinbar mit Erfolg: Wer trickst, täuscht oder bewusst Grenzen überschreitet, wird in vielen Unternehmen nicht etwa getadelt, sondern befördert. Warum? Weil diese Protagonisten zumindest so wirken, als würden sie „alles geben“. Entschlossen, dominant, durchsetzungsstark. So als ob Rücksichtslosigkeit eine Kompetenz wäre.
Wenn Dreistigkeit Karriere macht
Eine Studie mit Daten aus sechs NHL-Spielzeiten bestätigt das: Spieler, die häufiger gegen Regeln verstoßen, bekommen von ihren Trainern mehr Spielzeit. Sogar dann, wenn das dem Team eher schadet. Regelbrecher wirken einfach engagierter, als ob sie für den Sieg auch über Leichen gehen würden. Genau dieser Trugschluss zeigt sich auch in Unternehmen. Wer sich vordrängelt, für seine Ideen trommelt (auch wenn es nicht die eigenen sind) und Reibung erzeugt, hat häufig die Aufmerksamkeit auf seiner Seite. Wer dagegen eher still, konstant und brav seiner Arbeit nachgeht, verschwindet im Hintergrundrauschen.
Lese-Tipp: F##K Nettigkeit: Warum uns Unhöflichkeit im Job weiterbringt
Krise? Lasst die Hunde raus
Besonders kritisch: Der Effekt verstärkt sich in Krisenzeiten. Sobald Kunden abspringen und Marktanteile schwinden, brauchen viele Führungskräfte „harte Hunde“. Also rücken die Ellenbogen in den Vordergrund. Ausgerechnet in der Phase, in der Vertrauen, Zusammenhalt und Stabilität am wichtigsten wäre, bekommen die Falschen im Team das Ruder in die Hand. Und schlimmer noch: Sie dürfen es behalten. Denn sie „liefern“. Irgendwie. Irgendwas. Und weil niemand genauer hinschaut, bleiben sie an der Spitze, mitsamt ihren fraglichen Methoden.
Lese-Tipp: Konkurrenz im Job: Wenn aus Kollegen Gegner werden
Das kleine Einmaleins der Büro-Tricksereien
Das kleine Einmaleins der Büro-Tricksereien ist längst kein Geheimwissen mehr. Der Projektleiter, der Deadlines so eng setzt, dass sein Eingreifen zur Rettung wird. Die Kollegin, die Präsentationen des Teams geschickt umetikettiert. Der Chef, der die Erfolge des Teams einsackt, aber seine eigenen Fehler geschickt unter den Teppich kehrt. Alle wissen, was gespielt wird. Aber weil sie scheinbar Ergebnisse bringen, lässt man sie gewähren oder schlimmer: Man macht sie sich zum Vorbild.
Genau das belegt auch eine weitere Studie: In Teams mit gemeinsamen Bonus-Systemen schauen Kollegen eher weg, wenn jemand trickst oder unethisch handelt. Denn am Ende profitieren alle von den Ergebnissen, selbst wenn sie auf fragwürdige Weise zustande kommen. Regelbruch wird so zum Gemeinschaftsgewinn. Wer den Mund aufmacht, gefährdet nicht nur den Bonus, sondern auch das „Wir-Gefühl“. Also wird geschwiegen.
Das Heimtückische: Systeme, die eigentlich Zusammenarbeit und Kreativität fördern sollen, machen Organisationen regelrecht blind für Fehlverhalten. Was als Teamgeist verkauft wird, verschleiert in Wahrheit Probleme und lässt sie weiter schwelen.
Der Lucifer-Effekt: Wenn gute Menschen schlechte Chefs werden
Der Psychologe Philip Zimbardo beschreibt mit seinem „Lucifer-Effekt“, wie aus anständigen Menschen Machtmissbraucher werden, nicht weil sie per se böse sind, sondern weil das Umfeld sie formt. Wer lernt, dass Ehrlichkeit bremst und Skrupellosigkeit belohnt wird, passt sich an. Aus Mitspielern werden Mitläufer. Aus Mitläufern werden Machthaber. Und aus Machthabern werden Karrieristen mit Ellenbogen.
In manchen Firmen ist der moralische Kompass so kaputt, da zeigt er auf den Bonus statt nach Norden.
Die, die den Laden am Laufen halten, kommen kaum zu Wort
Während sich die Lauten ins Rampenlicht drängen, halten andere den Laden am Laufen. Die loyale Mitarbeiterin, die jeden Fehler auffängt, Konflikte schlichtet, ihr Wissen mit Kollegen teilt, aber nie gefragt wird, wenn es um Aufstieg, Strategie, Sichtbarkeit oder geschweige denn um eine Gehaltserhöhung geht. Oder der Abteilungsleiter, der jeden Konflikt scheut, Harmonie über alles stellt und damit das Feld den Lauten überlässt.
Wenn Aufrichtigkeit nichts mehr wert ist, Teamgeist ein Fremdwort ist und Rücksichtslosigkeit sogar noch befördert wird, kippt die Kultur schneller als ein Stehtisch beim Sommerfest. Gute Leute gehen, die Lauten bleiben. Sie kriegen ja auch Applaus fürs Klappern.
Lese-Tipp: Der Hauptgrund, warum A-Mitarbeiter kündigen, sind B-Mitarbeiter
Und mit ihnen bleibt der Eindruck, dass nicht Kompetenz zählt, sondern Lautstärke, Selbstdarstellung und die Fähigkeit, zur richtigen Zeit den größten Zampano zu geben. Was auf den ersten Blick aus dem Chefsessel effizient oder als Lösung auf mögliche Unternhemensprobleme erscheinen mag, ist auf den zweiten meist nur das Warm-up für den nächsten internen Totalschaden.