„Und was machst du beruflich?“ – Kaum eine andere Frage entlarvt unser Werteverständnis so radikal wie diese. Hinter ihr verbirgt sich ein komplexes System aus Erwartungen, Bewertungen und tief verankerten Glaubenssätzen. Der Beruf gilt als Visitenkarte, als Maßstab für Wert, Erfolg und sogar Identität. Doch was geschieht, wenn dieses System nicht länger überzeugt?

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Die Karriereleiter – ein Ideal, das bröckelt

In den wirtschaftlich starken Jahrzehnten galt die Karriereleiter als ultimatives Ziel: Schritt für Schritt nach oben, vom Praktikanten zur Teamleitung, von dort weiter zur Geschäftsführung. Erfolg maß sich an Leistung, Status und Einkommen – ein Narrativ, das tief in unserer westlichen Arbeitskultur verwurzelt ist. Doch zunehmend stellt sich die Frage, ob diese Karriereleiter tatsächlich zu Zufriedenheit führt. Immer mehr Menschen empfinden sie als eng, steil und einsam.

Denn Deutschland steht still, zumindest was die Motivation seiner Arbeitnehmer betrifft. Noch nie haben so viele Beschäftigte hierzulande Dienst nach Vorschrift gemacht – satte 78 Prozent. Gleichzeitig sank die Zahl derjenigen, die sich emotional mit ihrem Job verbunden fühlen, auf ein Rekordtief von nur neun Prozent. Haben wir tatsächlich die Lust am Arbeiten verloren – oder vielmehr an einer Arbeitskultur, die uns nicht mehr erfüllt?

Sinn statt Status – die Sehnsucht nach Erfüllung

Gespräche mit Berufstätigen zwischen 30 und 50 Jahren zeichnen oft ein überraschend einheitliches Bild: Viele Menschen haben Karriere gemacht, gute Jobs, einen sicheren Status – und fühlen dennoch eine innere Leere. Nicht Einkommen oder Prestige fehlen, sondern Sinnhaftigkeit, Autonomie und echte emotionale Verbundenheit. Unsere Arbeitswelt verändert sich immer schneller, doch unsere Vorstellung von Erfolg hinkt da noch hinterher. Gerade jüngere Generationen – Y und Z – verlangen nach einer neuen Sprache für Erfolg, einer, die neben Work-Life-Balance auch Gemeinschaft, Sinn und persönliche Entwicklung umfasst.

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Lese-Tipp: Generation Z: Wie sie die Arbeitswelt verändern

Alternative Karrieremodelle für eine neue Zeit

Doch wenn die klassische Karriereleiter nicht mehr genügt, was kommt dann? In den letzten Jahren gewinnen alternative Karriereformen zunehmend an Beliebtheit, Modelle, die nicht weniger ambitioniert sind, jedoch nach anderen Kriterien beurteilt werden:

  • Karriere in der Breite: Bewusstes Wechseln zwischen unterschiedlichen Branchen oder Tätigkeiten, um Erfahrung und Wissen in der Breite zu erweitern.

  • Downshifting: Ein bewusster Schritt zurück, der weniger Stress und mehr Lebensqualität verspricht. Lese-Tipp: Downshifting: Leben ist in, Karriere ist out!

  • Purpose-driven Work: Arbeit als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit und als Beitrag zu gesellschaftlichen Zielen, nicht bloß als reine Existenzsicherung.

  • Job Crafting: Aktive, eigenverantwortliche Gestaltung des Arbeitsplatzes, um ihn besser an persönliche Bedürfnisse, Werte und Stärken anzupassen.

Warum wir Erfolg neu denken müssen

Die Neudefinition von Erfolg ist nicht nur ein Modephänomen, sondern eine psychologische und gesellschaftliche Notwendigkeit. Wer seine Identität ausschließlich über äußere Erfolgsmerkmale definiert, setzt sich dem Risiko von Burnout, Depressionen und Sinnkrisen aus.

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Die amerikanische Psychologin Carol Dweck betont daher die Bedeutung einer wachstumsorientierten Denkweise, die lebenslanges Lernen, Flexibilität und eine gesunde Selbstwahrnehmung ermöglicht. Dem gegenüber steht die fixierte Denkweise, die ausschließlich auf Status und unveränderliche Merkmale setzt und kaum Spielraum für persönliche Entwicklung lässt.

Unsichtbare Karrieren – Erfolge jenseits des Sichtbaren

Nicht jede Leistung passt in die klassischen Kategorien. Viele Menschen leisten Bedeutendes, ohne dass dies sichtbar in Titeln oder Einkommensnachweisen wiederspiegelt: Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, ehrenamtliche Tätigkeiten oder auch persönliche Krisenbewältigung gehören ebenso zu einer erfüllenden Lebensgestaltung wie Karrierefortschritte im traditionellen Sinne.

Immer mehr Menschen erkennen dies und tragen solche Erfahrungen bewusst als Unpaid Care Work, Sabbatical oder persönliche Neuorientierung in ihre Lebensläufe ein. Ein mutiger Schritt, der zeigt, dass auch vermeintliche Pausen produktiv sein können, dass Umwege oft die interessantesten Wege sind, und dass Lebensbrüche Stärke und Wachstum bedeuten können.

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Erfolg als Beziehung, nicht als Ergebnis

Der wichtigste Perspektivwechsel könnte darin bestehen, Erfolg nicht als endgültigen Zustand zu betrachten, sondern als Beziehung zu dem, was wir tun und warum wir es tun. Innerliche Stimmigkeit, Resonanz und Authentizität in der eigenen Tätigkeit sind letztlich wertvoller als rein äußere Erfolgsmerkmale. Konzepte wie die Resonanztheorie von Hartmut Rosa und die Selbstkongruenz nach Carl Rogers helfen uns, dieses neue Verständnis von Erfolg zu verankern: Erfolg entsteht dort, wo wir spüren, dass unser Tun zu uns passt, uns erfüllt und uns als Menschen wachsen lässt.

Neue Bilder für die Arbeitswelt von morgen

Die Karriereleiter taugt heute kaum noch als Sinnbild einer erfüllten beruflichen Laufbahn. Besser geeignet ist vielleicht das Bild eines Gartens: Unterschiedliche Bereiche, in denen Berufliches, Privates, Kreatives und Soziales nebeneinander gedeihen können. Hier wächst manches schnell, anderes braucht Geduld, und auch Ruhephasen gehören selbstverständlich dazu. Vielfalt wird zum Reichtum, nicht zum Makel.

Welche Samen pflanzt du heute, damit dein Garten morgen wachsen kann?

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