Ein stiller Protest im Job, bekannt als Quiet Quitting, kann kurzfristig helfen, langfristig aber belasten. Die gesündere Alternative: Quiet Thriving.

Quiet Quitting – ein Trend, bei dem es um die Reduzierung der Arbeit auf ein Minimum geht – hat eine Kehrseite. Die bessere Lösung könnte das sogenannte „Quiet Thriving“, einer von Psychologin Lesley Alderman ins Leben gerufene Begriff, darstellen. Wer nur noch Dienst nach Vorschrift macht und trotzdem auf der Arbeit erscheint, obwohl eine offensichtliche Unzufriedenheit im Job vorherrscht, nimmt eine passive Rolle ein. Wir gehen eher in den stillen Protest.

Quiet Quitting kann sich wegen dieser Passivität negativ auf unsere mentale Gesundheit auswirken. Obwohl wir frustriert sind, schaffen wir mit dem stillen Protest „nur“ eine halbe Lösung. Innerlich toben wir weiter. So sieht es Neurowissenschaftlerin und zertifizierter Gesundheitscoach Laura Ellera. Die Forscherin beschäftigt sich mit Themen wie psychisches Wohlbefinden am Arbeitsplatz, Hirngesundheit und Erfolg im Business. Sich „geistig von Negativem zu distanzieren“, das sei ihrer Auffassung nach lediglich ein Verdrängungsmechanismus, nicht aber eine nachhaltige Antwort für das Problem, das wir eigentlich hätten.

Was ist Quiet Thriving?

Die Unzufriedenheit, die wir wegen unseres Arbeitsplatzes empfinden, erzeugt Wut. Wer mit dieser Wut in eine passive Haltung geht, den eigentlichen Job immer noch ausführt, aber dennoch irgendwie „drin“ steckt, nutzt die intensive Power und damit das Potenzial der Wutreaktion nicht ganz.

Das Quiet Thriving beschreibt eine Reaktion auf die Unzufriedenheit, die in eine eher positive, aktive Richtung geht: Es geht darum, die uns unglücklich machenden Umstände nicht zu verdrängen, sondern an der eigenen Haltung zu arbeiten. „Thrive“ bedeutet übersetzt so viel wie „wachsen“ oder „gedeihen“. Anstatt Dienst nach Vorschrift zu machen, die Leistung herunterzufahren und still zu protestieren, nutzen wir die Wut für positive Neugestaltung, die wir selbst in die Hand nehmen.

Quiet Thriving setzt deshalb Eigeninitiative voraus. Weil wir beispielsweise überlastet sind, Stress empfinden und weniger arbeiten wollen, aber dennoch arbeiten müssen, gilt es, eine Umgebung und auch innere Räume für uns zu erschaffen, die Arbeit und Ausgeglichenheit vereinen.

Kurz: Es geht es nicht darum, das, was wir ohnehin nicht kontrollieren können, krampfhaft verändern zu wollen. Sondern sich bewusst auf die Dinge zu fokussieren, die in unserer Kontrolle liegen.

Schon gewusst?

Stress wird grundsätzlich negative gewertet. Psychologen differenzieren jedoch: Es existiert positiver Stress, der sogenannte „Eustress“ (euphorischer Stress) und negativer Stress, in der Fachsprache „Distress“; auch „Dis-Stress“ („dis“ lateinisch für „schlecht“). Während negativer Stress sich destruktiv auf körperliche und mentale Gesundheit auswirken kann, ist es mit positivem Stress möglich, das Wohlbefinden sogar zu verbessern.

Stress auf der Arbeit muss deshalb nicht immer ein schlechtes Zeichen sein. Beeinflusst dieser jedoch Körper, Gesundheit und Psyche negativ, ist das ein Warnsignal für hohen Distress. Veränderungen werden in einem solchen Zustand dringend empfohlen.

Quiet Thriving: 5 Empfehlung der Neurowissenschaftlerin Laura Ellera

Neurowissenschaftlerin Ellera erklärt ihre Empfehlungen für das Quiet Thriving aus ihrer professionellen Sicht. Dabei spielt unser Nervensystem eine große Rolle, denn bei diesem Trend steht vor allem eine Sache im Mittelpunkt: ein gesunder Ansatz und keiner, der uns krank macht. Welche Tipps die Forscherin ihren Klienten und Lesern an die Hand gibt, liest du im Folgenden.

Tipp #1: Werde dir über die Bereiche bewusst, die du kontrollieren kannst

Der Kern des Quiet Thrivings ist das eigene Wachstum oder auch das Erblühen – aus einer Situation heraus, die uns eigentlich frustriert. Zu Beginn, so Ellera, hilft es, sich über die Dinge bewusst zu werden, die uns besonders stark herunterziehen. Was löst negative Emotionen bei dir aus? Ist es das Verhalten deiner Vorgesetzten oder Kollegen? Sind es die Arbeitszeiten?

Besitzen wir keine Kontrolle über diese Situationen, passiert es schnell, dass unser Gehirn Alarmsignale sendet. Der Stresspegel steigt automatisch durch den Reiz, der in triggernden Situationen ausgelöst wird, an.

Unterteile die Situationen, die dich frustrieren, deshalb in drei Kategorien:

  • Kategorie 1: „Ich habe die Kontrolle darüber.“
  • Kategorie 2: „Ich habe bedingt Kontrolle.“
  • Kategorie 3: „Ich habe keine Kontrolle darüber.“

Wichtig ist, die Situationen, die du kontrollieren kannst, hervorzuheben. Die Dinge, über die du wenig Kontrolle hast, das kann beispielsweise ein nörgelnder Teamkollege sein, sollten dir ebenfalls bewusst sein. Die Kunst ist es, sich auf die beeinflussbaren Situationen zu fokussieren. So sollen wir es langsam schaffen, frustrierende Situationen, die wir nicht kontrollieren, loszulassen. Du kannst zum Beispiel nicht ändern, dass dein Kollege wieder einmal einen cholerischen Wutanfall hat.

Aber: Du hast es in der Hand, es nicht persönlich zu nehmen – und Abstand zu gewinnen. Und das ist ein wichtiger Schritt, um deinem Gehirn zu signalisieren: „Alles ist okay.“

Tipp #2: Lerne dein Nervensystem kennen und beruhigen

Nicht umsonst sind Atemregulation, Yoga und Meditation wirksam, denn sie beeinflussen unser Nervensystem. Unser Nervensystem ist das, was wir unter die Lupe nehmen sollten. Es nimmt Sinnesreize auf, also auch alles, was auf deiner Arbeit passiert. Wusstest du zum Beispiel, dass unsere Nervenbahnen fast 5,8 Millionen Kilometer zählen? Oder dass eine einzige Nervenzelle bis zu 100.00 Synapsen besitzen kann? Ob eine unangenehme Situation beim Meeting oder wenn dein Chef mal wieder brüllt: Die ganzen Zahlen musst du dir nicht merken, sondern nur, wie du dein Nervensystem beruhigen kannst. Mache dich beispielsweise mit Atemübungen vertraut, um in frustrierenden Situationen besser abschalten zu können. Denn von diesen gibt es im Job oft reichlich.

Tipp #3: Gehe bewusst Kontakte mit anderen ein

Menschen in unserer Umgebung können einen wesentlichen Teil dazu beitragen, unsere Nerven zu beruhigen. Die dritte Empfehlung ist deshalb ganz einfach: Suche bewusst Kontakt und pflege Beziehungen zu Menschen, die dir guttun. Der Austausch und manchmal auch schon die Anwesenheit unserer Liebsten und Vertrauten ist wie Balsam für die Seele.

Tipp #4: Dein Gehirn braucht Pausen – normalisiere sie

Pausen sind das A und O, wenn es um die Gesundheit unseres Hirns geht und darum, Lösungen für unsere Jobsituation zu finden. Eine Veränderung im Job setzt voraus, dass du klar denken kannst. Unser Kopf ist dauerhaft damit beschäftigt, Informationen und Reize zu verarbeiten. Vor allem in Jobs, die uns frustrieren, benötigen wir viel „Hirnschmalz“, um clever mit der Situation umzugehen, ja, um irgendwie „überleben“ zu können. Erholung und Ruhepausen sollten deshalb nicht nur dann stattfinden, wenn sie gerade möglich sind.

Ganz im Gegenteil: Sie sind Priorität, weshalb du dir bewusst Zeit für sie freischaufeln solltest – etwa in deiner Freizeit, aber auch auf der Arbeit. Anstatt noch schnell die Arbeit für morgen zu erledigen, um den Chef zu beeindrucken, den wir eigentlich sowieso nicht mögen, kannst du auch einfach abschalten.

Tipp #5: Gib deinem Körper, was er braucht

Ob Schlaf, Bewegung oder Entspannung: Unser körperlicher Zustand hängt eng mit unserer mentalen Gesundheit und dem Wohlbefinden am Arbeitsplatz zusammen. Wenn du müde oder mit Rücken- und Kopfschmerzen auf der Arbeit erscheinst, verschlimmerst du deine Situation. Mit einem fitten, starken und erholten Körper kannst du deinen Job besser erledigen – auch wenn es Dinge gibt, die du nicht so gerne machst. Alles fängt bei gutem Schlaf, unserer Ernährung und unserer Fitness an. Gib deinem Körper deshalb das, was er benötigt, um genügend Energie zu haben und den Arbeitsalltag gut bewältigen zu können.

Hinweis

Ein toxischer Arbeitsplatz lässt sich auch mit dem Trend des Quiet Thrivings nicht (komplett) verändern. Wenn es dir nicht gut geht und du unter den äußeren Umständen leidest, kann es deshalb ebenfalls sinnvoll sein, weitere Maßnahmen zu ergreifen, wie etwa eine Jobberatung, ein Coaching oder manchmal eine Therapie.

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