Montagmorgen, irgendwo in einer Personalabteilung. Draußen ist die Stadt gerade im Hustle-Modus, drinnen blubbert die Kaffeemaschine. Auf dem Bildschirm: 50 neue Bewerbungen. 50 potenzielle Karrieren. 50 Chancen. Oder eben 50 frustrierende Punkte auf der To-do-Liste eines Recruiters.

Anzeige

Eine Stunde später, nach dem Öffnen von PDFs, dem Überfliegen von Anschreiben, dem gedanklichen Abhaken von Kriterien, bleibt meist Ernüchterung. Vier von fünf Bewerbungen sind bestenfalls mittelmäßig. Viele schlicht unpassend. Jede dritte wird nach weniger als einer Minute beiseitegelegt.

Das ist fiktives Szenario. Laut einer aktuellen Stepstone-Studie bewerten 80 Prozent der Recruiter eingehende Bewerbungen als höchstens mittelmäßig. 81 Prozent sagen sogar, die Qualität habe sich in den letzten zwei Jahren spürbar verschlechtert. In der Praxis heißt das: Unternehmen und Bewerber verschwenden Zeit – und verpassen dabei oft genau den Job oder den Kandidaten, den sie gesucht haben.

Geschwindigkeit frisst Individualität

Die Ursache liegt auf der Hand: Bewerbungen sind zu schnell geworden. Früher bedeutete „sich bewerben“: recherchieren, formulieren, abstimmen, ausdrucken, eintüten. Heute reicht ein Browserfenster und ein paar Klicks.

Anzeige

Künstliche Intelligenz beschleunigt den Prozess noch einmal dramatisch. Zwei von drei Bewerber nutzen inzwischen Tools wie ChatGPT oder Perplexity. Sie erstellen damit fehlerfreie, formal perfekte Bewerbungen – die sich jedoch oft kaum voneinander unterscheiden. 73 Prozent der Recruiter empfinden solche Unterlagen als weniger authentisch, 69 Prozent kritisieren fehlende Individualität.

Dabei ist das Problem nicht die Technologie selbst, sondern ihr Einsatz. Wer eine Stelle will, muss verstehen, dass Masse statt Klasse selten die beste Weg ist. 

Die größten Stolpersteine von Bewerbern

Trotz Digitalisierung klingen die Gründe fürs Aussortieren laut Stepstone ernüchternd vertraut:

Anzeige
  • Fehlende relevante Fähigkeiten (60 Prozent).
  • Zu wenig Berufserfahrung (42 Prozent).
  • Unzureichende Sprachkenntnisse (36 Prozent).
  • Rechtschreibfehler (33 Prozent).
  • Unerklärte Lücken im Lebenslauf (26 Prozent).

Warum? Weil zwei Drittel der Bewerber glauben, Stellenanzeigen seien flexibel interpretierbar. 42 Prozent geben sogar zu, sich schon einmal „auf gut Glück“ beworben zu haben. Doch eine Bewerbung ist kein Lottoschein.

HR auf der anderen Seite des Schreibtisches

Auch für Unternehmen ist dieser Kreislauf zermürbend. Durchschnittlich 9,91 Arbeitstage pro Stellenausschreibung verbringen HR-Teams damit, irrelevante Unterlagen auszusortieren – fast 80 Stunden Sichtungszeit. Im Schnitt wird ein Drittel aller Bewerbungen schon nach dem ersten Screening aussortiert. 

Früher reichte diese Zeit für den ersten Eindruck. Heute muss sie für die ganze Entscheidung genügen. Das ist nicht nur riskant, sondern vor allem teuer: Fehlbesetzungen kosten zwischen 43.000 und 175.000 Euro pro Position. Und fast jeder HR-Manager hat schon jemanden eingestellt, der sich später als Fehlgriff entpuppte.

Anzeige

Präzision statt Bewerbungsflut

Weder Bewerber noch Unternehmen profitieren von diesem Tempo. Bewerber sollten die Gießkanne gegen die Lupe tauschen – weniger Bewerbungen, dafür gezielte und passgenaue. Unternehmen wiederum müssen Stellenprofile präziser formulieren, unnötige Anforderungen streichen und schneller reagieren. Selbst eine fehlende zeitnahe Absage beklagen Bewerber immer wieder

Künstliche Intelligenz kann unterstützen, etwa beim Abgleich von Lebensläufen mit den Kernanforderungen einer Stelle. Aber sie ersetzt nicht die menschliche Einschätzung und schon gar nicht die Authentizität. Und dafür lohnt es sich, die Geschwindigkeit zu drosseln.

Anzeige

Anzeige