Montagmorgen, 9:30 Uhr. Das Telefon in der Personalabteilung klingelt. „Guten Tag, ich wollte mich für heute kurzfristig krankmelden. Mir geht es nicht gut.“ Die Stimme klingt bestimmt, aber nicht unbedingt krank. Die Abteilungsleiterin notiert die Info, fragt nicht weiter nach. Sie kennt das Spiel. Ein Arzttermin? Oder doch ein Bewerbungsgespräch?
Jobwechsel als Tabuthema
Viele Beschäftigte halten ihre Wechselabsichten geheim – denn offene Gespräche darüber sind in Deutschland noch immer ein Tabu.
Laut der aktuellen forsa-Langzeitstudie zur Wechselbereitschaft im Auftrag von XING (Durchführungszeitraum: 18. Dezember 2024 bis 8. Januar 2025, 3.413 Befragte) sind derzeit 36 Prozent der Beschäftigten offen für einen Arbeitgeberwechsel, darunter bemühen sich sieben Prozent aktiv um eine neue Stelle. Besonders ausgeprägt ist die Wechselbereitschaft bei jüngeren Beschäftigten: Fast die Hälfte (48 Prozent) der Generation Z steht neuen beruflichen Herausforderungen offen gegenüber.
Dieser Trend zeigt, dass sich die Haltung zur Unternehmensloyalität verändert – während ältere Generationen oft auf langfristige Stabilität setzten, betrachten Jüngere einen Wechsel eher als normale Karriereoption.
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Zwischen Loyalität und Selbstschutz
Rein rational betrachtet ist es nachvollziehbar: Wer seinen Job wechseln will, muss diskret vorgehen. Eine all zu offene Kommunikation hinsichtlich des bevorstehenden Wechselwunsches birgt Risiken – etwa den plötzlichen Karrierestillstand beim aktuellen Arbeitgeber. Insbesondere in Branchen mit Fachkräftemangel kann das Bekanntwerden einer Wechselabsicht dazu führen, dass Beschäftigte von wichtigen Projekten ausgeschlossen oder gar früher als gewollt freigesetzt werden.
Psychologisch betrachtet bewegt sich die Situation auf einem schmalen Grat. Zum einen steht das Bedürfnis nach Ehrlichkeit und Loyalität gegenüber dem aktuellen Arbeitgeber. Zum anderen gibt es das eigene Karriereziel – und den Druck, beruflich nicht ins Hintertreffen zu geraten.
Die kreativen Ausreden der Wechselwilligen
Ein Bewerbungsprozess kann mehrere Runden umfassen, oft sind mindestens zwei bis drei Gesprächstermine notwendig. Wer nicht offen darüber sprechen kann oder will, wird erfinderisch. Einige der gängigsten Methoden:
- Der Arzttermin: Eine Möglichkeit, sich unauffällig freizunehmen. Besonders Facharzt- oder Zahnarzttermine lassen sich oft nur während der Arbeitszeit wahrnehmen. Wer den ohnehin geplanten Termin nutzt, um danach noch schnell ein Bewerbungsgespräch wahrzunehmen, bewegt sich in einer Grauzone.
- Spontane Krankheit: Eine plötzliche Magenverstimmung oder Kopfschmerzen – für manche der perfekte Vorwand, um sich für ein paar Stunden oder Tage aus dem Job auszuklinken. In vielen Unternehmen können Beschäftigte bis zu drei Kalendertage ohne ärztliches Attest frei nehmen. (§ 5 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz, EFZG).
- Familienangelegenheiten: Ein „dringender Termin mit der Kita“ oder „ein notwendiger Behördengang“ lässt sich selten überprüfen.
- Gleitzeit-Tricks: Wer flexible Arbeitszeiten hat, plant Vorstellungsgespräche frühmorgens oder nachmittags – und trägt sie als „private Erledigung“ ein.
Was macht das mit der Unternehmenskultur?
Für Unternehmen ist das ein heikles Thema. Offiziell wird der verdeckte Wechselwunsch kaum adressiert, doch in vielen Firmen ist er ein offenes Geheimnis. Der Umgang damit variiert. Einige Unternehmen reagieren mit Misstrauen, indem sie wechselwillige Mitarbeitende engmaschiger kontrollieren oder deren Befugnisrahmen einschränken. Andere dagegen setzen auf offene Gesprächskultur und versuchen, mit Gegenangeboten oder Entwicklungsmöglichkeiten gegenzusteuern.
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Wie ein offenerer Umgang mit Wechselabsichten gelingt
Unternehmen sollten beispielsweise offizielle „Karrieregespräche“ anbieten, in denen auch externe Wechseloptionen thematisiert werden dürfen – ohne Konsequenzen für den aktuellen Job. Beschäftigte haben hierzulande immer noch Angst vor negativen Konsequenzen, Arbeitgeber fürchten, Leistungsträger und Know-how zu verlieren. Dabei könnte ein transparenter Umgang beiden Seiten helfen: Statt Misstrauen und verdeckten Terminen könnte eine offene Gesprächskultur dazu führen, dass mehr Menschen ihren nächsten Karriereschritt innerhalb der Firma machen – anstatt hinter dem Rücken ihres Arbeitgebers nach neuen Möglichkeiten zu suchen.
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