„Dranbleiben zahlt sich aus.“ „Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ Solche Sätze stehen auf Motivationspostern, Kalendern und Social-Media-Profilen. Und sie machen Druck. Einen toxischen. Denn sie suggerieren: Nur wer sich quält und aufopfert, verdient den Erfolg. Nur wer leidet, kommt ans Ziel.
Aber was, wenn das Ziel gar nicht mehr stimmt? Was, wenn das Weitermachen dich nicht weiterbringt, sondern dich auslaugt, klein macht, abstumpfen lässt? Was, wenn Durchhalten nicht bewundernswert ist, sondern schlicht dumm?
Durchhalten ist keine Tugend, wenn es dich zerstört
Steve Jobs hat mal gesagt: „Die Hälfte dessen, was erfolgreiche Unternehmen von nicht erfolgreichen unterscheidet, ist pures Durchhaltevermögen.“ Und Jeff Bezos formuliert es eher nüchtern: „Jeder Erfolg über Nacht dauert etwa 10 Jahre.“ Klingt alles schön und logisch – vor allem, wenn man mit dem iPhone oder dem Space-Raketenprogramm Blue Origin auf zugegebenermaßen erstaunliche Erfolge zurückblickt. Aber für die meisten von uns sieht der Alltag anders aus:
Wir rackern. Wir reiben uns auf. Wir halten durch – in Systemen, die kein Zurück kennen. In Jobs, die uns nicht nur fordern, sondern regelrecht fressen. In toxischen Teams, die uns mehr Energie entziehen, als sie geben. In Unternehmen, deren Management sich lieber selbst feiert, als ihre Mitarbeitenden entsprechend zu würdigen. Was will man auch machen, wenn die Lebenshaltungskosten steigen und die Raten für das Haus jeden Monat fällig werden.
Wann Aufgeben die klügere Entscheidung ist
Nicht jede Situation, jeder Job, jede Selbständigkeit verdient unser Durchhaltevermögen. Manchmal ist Aufgeben kein Scheitern, sondern einfach nur Selbstschutz. Kein Drama, sondern ein klares Stoppzeichen: bis hierhin – und nicht weiter. Es ist die Erkenntnis, dass du dich in etwas verrennst, das dir mehr nimmt als gibt. Dass du nicht mehr kämpfst, sondern nur noch aushältst. Und dass du dich nicht länger selbst verraten willst, nur um von außen als stark und taff zu gelten.
Wofür genau hältst du dann eigentlich durch?
- Für eine Führungskraft, die nicht fördert, sondern kontrolliert?
- Für ein Projekt, das sich seit Monaten tot durch den Büroflur zieht?
- Für eine Firma, die längst sehen müsste, was du alles kannst und leistest?
- Für ein Arbeitsumfeld, das Fehler rigoros bestraft und Ideen im Keim erstickt?
Wir glorifizieren das „Dranbleiben“ manchmal so sehr, dass wir vergessen haben, wie befreiend ein ehrliches „Ich bin raus“ sein kann.
Warum wir das Aufgeben so verteufeln: Ein Blick auf die deutsche Leidenskultur
Weil unsere Gesellschaft ein absurdes Ideal aus Leidensbereitschaft gemacht hat. Weil wir in einer Arbeitskultur groß geworden sind, in der 60 % der Erwerbstätigen unter einem höheren Stresslevel leiden als in den letzten ein bis zwei Jahren und 42 % der deutschen Beschäftigten sich gestresst fühlen – mehr als der europäische Durchschnitt von 39 Prozent. Wo Erschöpfung als Leistungsausweis gilt. Wo 31 % der Beschäftigten häufig ihre Ruhepausen ausfallen lassen. Wer hierzulande durchzieht, gilt als diszipliniert und pflichtbewusst Wer hinschmeißt, als nicht belastbar oder gar Low Performer.
Die Angst-Maschinerie hinter dem Durchhalten
Dabei übersehen wir: Viel zu oft ziehen Menschen nicht durch, weil sie schlichtweg Angst haben. 90 % der Beschäftigten spüren hin und wieder vermehrten Stress, und bei jedem Sechsten werden stressbedingte Ängste ausgelöst. Diese Angst lässt sich präzisieren: Angst, als Versager dazustehen. Angst, den Lebenslauf zu „verunstalten“ und somit bei einem Jobwechsel schlechte Karten zu haben. Angst, der hiesigen Arbeitsrealität nicht zu genügen. Also halten sie durch. In Beziehungen, in Jobs, im eigenen Business – bis es sie kaputt macht.
Und die Ironie? Ausgerechnet jene, die mutig genug sind loszulassen, gelten als schwach. Dabei sind doch gerade sie es, die Verantwortung übernehmen. Für sich. Für ihre Gesundheit. Für ihr Leben. Das Aufgeben ist also nicht das Problem. Unser Blick darauf ist es.
Beispiele aus dem Berufsleben: Wenn Aufgeben klüger ist
- Die Marketingmanagerin, die nach zehn Jahren Agenturleben erkennt: Ich kann nicht mehr. Der Druck, die ständige Erreichbarkeit, die seelenlosen Pitches. Sie steigt aus, macht eine Ausbildung zur Therapeutin. Heute hilft sie anderen, die ebenfalls fast daran zerbrochen wären.
- Der ITler, der merkt: Mein Unternehmen wird mich nie in die Projektleitung lassen. Er bewirbt sich extern, steigt ein, wird gefördert. Und fragt sich ein Jahr später: Warum habe ich so lange gewartet?
- Die Juniorberaterin, die merkt: Ich habe keine Lust mehr, für Statussymbole zu leben. Sie geht, macht ein Sabbatical, startet ein nachhaltiges Food-Startup. Noch keine Millionen. Aber Sinn.
Aufgeben braucht Mut – und ein scharfes Urteilsvermögen
Es braucht nicht viel, um eine toxische (Lebens-) Situation zu verlassen. Nur Ehrlichkeit – dir selbst gegenüber. Vor allem brauchst du kein Burn-out, um zu beweisen, dass du über jahre oder jahrzehnte loyal warst. Dass du alles gegeben hast. Was du brauchst, ist Klarheit in folgenden vier Punkten:
- Ist das noch mein Weg?
- Lerne ich hier noch etwas – über mich, meinen Beruf, die Welt?
- Oder halte ich aus, weil ich Angst habe vorm Neuanfang?
- Bin ich noch ich selbst in diesem Umfeld?
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Warum du deine Energie nicht verschwenden solltest
Zeit ist begrenzt. Energie auch. Und beides ist zu kostbar, um es in etwas zu investieren, das dir nichts zurückgibt oder immer mehr von dir nimmt. Wenn du merkst, dass dein Einsatz verpufft, dass du dich jeden Morgen überreden musst, aufzustehen, weiterzumachen – dann ist das schon kein Weckruf mehr, sondern ein deutliches Alarmsignal.
Wann du aber weitermachen kannst und vielleicht auch solltest
Ja, es gibt auch die andere Seite. Nicht jeder Frust ist ein Grund zu gehen. Nicht jede Krise ist toxisch. Die haben wir alle – mal mehr, mal weniger. Schlechte Tage gehören einfach zum Leben. Manchmal lohnt es sich dennoch, durchzuhalten – aber nur, wenn:
- Du eine klare Entwicklungsperspektive hast
- Deine Arbeit dich fordert, nicht nur stresst
- Du trotz allem Sinn und Freude empfindest
- Es Menschen gibt, die dich fördern, inspirieren und dir gut tun
Merke: Nicht alles, was man beginnt, muss man zu Ende bringen. Und nicht jeder Kampf ist deiner. Wer klug aufgibt, schafft Raum für das, was wirklich zählt: Entwicklung, Sinn, Energie. Und am Ende vielleicht sogar Glück und Erfolg.