Es ist ein Moment, der vieles verändert: Der erste Blick auf das eigene Kind. Für viele Männer, die bisher unerschütterlich in ihrem beruflichen Selbstverständnis verankert waren, wird plötzlich alles anders. Schlaflose Nächte, Babygeschrei und ein ständiges Jonglieren zwischen beruflichen und privaten Verpflichtungen bringen neue Perspektiven – auch auf die eigene Rolle als Führungskraft.

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Ein Switch zu besserer Führung? Vaterschaft scheint genau das zu bringen: Mehr Empathie, klarere Prioritäten, eine Balance zwischen Arbeit und Leben. Doch so vielversprechend die Geschichte vom „neuen Vater“ klingt, sie hat ihre Tücken. Männer profitieren, Mitarbeiterinnen dagegen weniger.

Der Wandel im Führungsstil: Zwischen Empathie und Effizienz

Viele Führungskräfte, die Vater werden oder bereits sind, berichten, dass sie ihr eigenes Verhalten im Job grundlegend überdenken. Statt bis spätabends im Büro zu bleiben, holen sie plötzlich ihr Kind überpünktlich aus der Kita ab. Anstatt jede Aufgabe selbst zu erledigen, delegieren sie häufiger an ihre Mitarbeitenden, um Zeit zu sparen. Auch der Kontrollzwang einiger Führungskräfte lässt spürbar nach. Und ja, sie entwickeln oft ein neues Verständnis für die Belastungen, die berufstätige Eltern – insbesondere Mütter – täglich schultern.

Ich kenne diese Dynamik aus eigener Erfahrung: Als Vater von fünf Kindern jongliere ich nicht nur meine unternehmerischen Aufgaben, sondern auch mein „kleines großes Familienunternehmen“ zu Hause. Der Spagat zwischen Schlafmangel, Kita, Hausaufgaben und dem nächsten Meeting-Termin hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, Prioritäten klar zu setzen – sowohl im Job als auch privat. Aber es hat mir auch eine Art Lektion erteilt: Gute Führung bedeutet nicht nur, das eigene Leben in Balance zu bringen, sondern dafür zu sorgen, dass auch das Team diesen Freiraum bekommt.

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Dieser Wandel spiegelt sich zwangsläufig auch im Führungsstil wider:

  1. Empathie für die Bedürfnisse anderer: Väter, die selbst erleben, wie herausfordernd es sein kann, Care-Arbeit und Beruf zu vereinen, sind offener für flexible Arbeitszeitmodelle und kurzfristige Abwesenheiten ihrer Mitarbeitenden. Sie verstehen, dass das Leben nicht immer planbar ist – eine Erkenntnis, die vielen Teams zugutekommt.

  2. Klare Prioritäten: Der Alltag als Elternteil zwingt Führungskräfte, effizienter zu arbeiten. Zeitfresser wie endlose Meetings oder unnötige Kontrollschleifen werden schneller erkannt und reduziert.

  3. Ein Vorbild für Work-Life-Balance: Wenn der Chef selbst pünktlich Feierabend macht, um Zeit mit seinem Kind zu verbringen, wird das für die Mitarbeitenden ein sichtbares Signal: Es ist in Ordnung, Grenzen zu setzen und Beruf und Familie in Einklang zu bringen.

Fortschritt für Chefs, Rückschritt für Frauen?

Doch bevor wir den Papa-Chef zum Hoffnungsträger der modernen Arbeitswelt erklären, lohnt sich ein genauerer Blick. Denn die Geschichte der neuen Väterlichkeit hat auch eine andere Seite – und die betrifft vor allem Frauen.

1. Der „Papa-Bonus“ und der „Mama-Malus“

Männer, die sich aktiv um ihre Kinder kümmern, werden in der Arbeitswelt oft gefeiert: „Was für ein engagierter Vater!“ Frauen hingegen kämpfen weiterhin mit hartnäckigen Vorurteilen, die sie als weniger ambitioniert oder belastbar abstempeln, sobald sie Mutter werden.

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Laut einer Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung sind Frauen nach wie vor deutlich seltener in Führungspositionen vertreten – in 26 von 34 Branchen arbeiten Männer häufiger in leitender Stellung. Nach der Elternzeit erleben viele Frauen eine Karrierestagnation oder gar Rückschritte, während Männer davon weitgehend verschont bleiben. Verstärkt wird diese Ungleichheit durch den Gender Pay Gap: In 45 von 46 Branchen verdienen Frauen weniger als Männer, ein Muster, das ihre Benachteiligung am Arbeitsmarkt weiter zementiert.

2. Ungleiche Verantwortung bleibt bestehen

Auch wenn Väter immer mehr Verantwortung übernehmen, bleibt der Großteil der Care-Arbeit oft an den Müttern hängen. Selbst in Partnerschaften, die sich als gleichberechtigt verstehen, übernehmen Frauen laut des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) weiterhin den Großteil der Betreuungsaufgaben. Chefs, die sich stolz als moderne Väter inszenieren, blenden häufig aus, dass ihre weiblichen Kolleginnen diese Doppelbelastung schon immer schultern mussten – und das oft ohne Anerkennung.

3. Fortschritt für wenige, Stagnation für viele

Flexiblere Arbeitszeiten oder Homeoffice-Regelungen werden meist individuell und informell umgesetzt, abhängig vom Führungsstil der jeweiligen Führungskraft. Das führt dazu, dass Mitarbeitende ohne Kinder oder Frauen, die in eher konservativeren Teams arbeiten, häufig von solchen Fortschritten ausgeschlossen bleiben.

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Was sich wirklich ändern müsste

Die Vaterschaft allein macht noch keinen besseren Chef. Sie bietet jedoch die Chance, etwas Größeres in Gang zu setzen – einen Wandel, der über persönliche Einsichten hinausgeht und die Unternehmenskultur als Ganzes prägt.

  1. Elternzeit für Führungskräfte als Standard: Wenn Chefs nicht nur darüber reden, sondern aktiv Elternzeit nehmen, setzen sie ein Zeichen. Sie zeigen, dass Care-Arbeit nicht nur Sache der Mütter ist und dass auch Männer ihre beruflichen Prioritäten zugunsten der Familie verschieben können – ohne Karriereeinbußen.

  2. Systemische Veränderungen statt Einzelmaßnahmen: Flexible Arbeitszeitmodelle und transparente Regelungen müssen für alle gelten – unabhängig vom Geschlecht, der Position oder der familiären Situation. Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben darf nicht vom Goodwill einzelner Führungskräfte abhängen.

  3. Gleichberechtigung durch Reflexion: Führungskräfte – ob mit oder ohne Kinder – sollten sich regelmäßig fragen: Fördere ich wirklich alle Mitarbeitenden gleichermaßen? Oder unterliegen meine Entscheidungen unbewussten Stereotypen, die Männer belohnen und Frauen benachteiligen?

  4. Eine neue Fehlerkultur: Elternschaft ist eine Lernkurve – niemand hat von Anfang an alle Antworten. Führungskräfte sollten sich aber trauen, offen über die Herausforderungen zu sprechen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit sich bringt. Diese Offenheit schafft Raum für ehrliche Gespräche und gegenseitiges Verständnis.

Ein neuer Führungsstil – aber bitte für alle

Die Vaterschaft kann vieles verändern. Sie macht Männer oft empathischer, klarer und reflektierter in ihrem Führungsstil – manche würden sagen: weicher. Doch damit diese Veränderungen nicht nur einzelnen Teams zugutekommen, sondern die Arbeitswelt insgesamt fairer machen, braucht es mehr als individuelle Einsichten. Es braucht einen Kulturwandel, der alle einbezieht: Frauen und Männer, Eltern und Kinderlose, Chefs und Mitarbeitende.

Die zentrale Frage lautet: Sind wir bereit, diesen Wandel zu gestalten? Es reicht nicht, wenn ein Chef früher nach Hause geht, um sein Kind ins Bett zu bringen. Entscheidend ist, ob er auch dafür sorgt, dass alle anderen dies tun können – ohne Nachteile – fair. Denn das ist es, woran gute Führung wirklich gemessen wird: ob sie eine Balance schafft, die nicht nur für den Einzelnen funktioniert, sondern für alle.

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Nachgefragt: Wie hat dein Papa-Sein deinen Führungsstil oder allgemein deine Sichtweise auf Führung verändert? Gibt es Momente, in denen du gemerkt hast, dass sich deine Prioritäten oder dein Umgang mit deinem Team durch die Erfahrung als Vater verschoben haben?

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