Immer erreichbar, immer 100 Prozent, immer am Limit. Viele bemerken nicht, wie sich die Arbeit unmerklich zur alles bestimmenden Kraft im Leben entwickelt. Ehe man sich versieht, geraten Beziehungen ins Wanken, die eigene Gesundheit leidet – und irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem es keinen Ausweg mehr zu geben scheint. Doch wie erkennt man, dass aus Engagement Abhängigkeit geworden ist? Und wie findet man zurück zu einer gesunden Balance, bevor es zu spät ist?

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Was bedeutet „suchthaftes Arbeiten“?

Die Studie definiert „Workaholism“ anhand von zwei Hauptdimensionen:

  1. Exzessives Arbeiten: Das bedeutet, lange Arbeitszeiten, schnelles Abarbeiten von Aufgaben und das ständige Jonglieren mehrerer Tätigkeiten gleichzeitig.
  2. Getriebenheit: Menschen fühlen sich getrieben, hart arbeiten zu müssen – selbst, wenn es keinen Spaß macht. Sie empfinden Schuldgefühle, wenn sie frei nehmen, und sind nach Feierabend nicht in der Lage, sich zu entspannen.

Laut der Studie betrifft dies nicht wie zu erwarten nur Führungskräfte, sondern zieht sich durch alle Branchen. Rund 10 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland fallen in die Kategorie der Arbeitssüchtigen. Weitere 33 Prozent arbeiten exzessiv, jedoch ohne den zwanghaften Charakter, und eine kleine Gruppe arbeitet zwar nicht viel, aber zwanghaft.

Arbeit dient auch als Flucht vor privaten Problemen

Arbeitssucht ist selten nur auf berufliche Ambitionen zurückzuführen. Häufig steckt mehr dahinter: die Flucht vor privaten Problemen oder inneren Konflikten. Manchmal arbeiten wir nicht exzessiv, weil es nötig ist oder von der Führungsriege erwartet wird, sondern weil wir unangenehmen Gefühlen oder Spannungen ausweichen wollen.

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  • Beziehungsprobleme: Konflikte zu Hause werden verdrängt, indem man sich in den Job flüchtet. Arbeit wird zum Mittel, um unangenehmen Gesprächen und Konflikten mit dem aus dem Weg zu gehen.
  • Emotionale Leere: Für viele Arbeitssüchtige bedeutet Nicht-Arbeiten, sich mit inneren Unsicherheiten auseinandersetzen zu müssen. Arbeit dagegen gibt ihnen Struktur, Ablenkung und Kontrolle.
  • Mangelndes Selbstwertgefühl: Wenn du dich nur über deine Leistung definierst, suchst du in der Arbeit die Bestätigung, die dir in deinem privaten Umfeld vielleicht fehlt.

Warum Arbeit keine Lösung für innere Konflikte ist

Arbeit mag auf den ersten Blick wie eine Flucht erscheinen, die funktioniert: Du bist beschäftigt, bekommst Anerkennung und verdienst auch noch mehr Geld. Die Problem? Wie weggewischt. Doch je mehr du dich in den Job stürzt, desto größer werden die Probleme, denen du ausweichst. Arbeit als Bewältigungsstrategie verstärkt langfristig die inneren Konflikte, statt sie zu lösen.

Wenn du Arbeit als Fluchtweg nutzt, wirst du irgendwann merken, dass das Fundament im Hier und Jetzt wackelt. Beziehungen leiden, der Körper zeigt erste Symptome von Überlastung, und die Freude an der Arbeit schwindet. Langfristig bleibt Arbeitssucht nicht ohne Folgen.

Die psychischen und physischen Folgen von Arbeitssucht

Auch wenn es für viele im Moment noch nicht offensichtlich ist: Die Folgen von Arbeitssucht zeigen sich sowohl psychisch als auch körperlich. Arbeitssüchtige ignorieren erste Warnsignale von Körper und Geist solange, bis sich die Reißleine von selbst zieht.

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Psychische Folgen:
  • Erschöpfung und Burnout: Chronischer Stress und Überarbeitung führen zu mentaler Erschöpfung. Burnout ist eine häufige Folge.
  • Angst und Depression: Arbeitssüchtige können Angstzustände entwickeln, insbesondere wenn sie sich gezwungen fühlen, mal nicht zu arbeiten. Das hieße ja, sich den Problemen zu stellen. Auch depressive Verstimmungen können entstehen, weil Arbeit die innere Leere nicht dauerhaft füllt.
Körperliche Folgen:
  • Schlafstörungen: Arbeitssüchtige kommen am Abend nicht zur Ruhe, was den Schlaf massiv beeinträchtigt. Du fühlst dich morgens regelrecht verleiert.
  • Rücken- und Kopfschmerzen: Chronische Überlastung zeigt sich auch in physischen Beschwerden. Erst zieht es mal hier, dann dort – und schließlich ständig.
  • Herz-Kreislauf-Probleme: Langfristiger Stress kann das Herz-Kreislauf-System belasten und zu Bluthochdruck oder gar Herzproblemen führen.

Work-Life-Blending: Wie viel „Vermischung“ ist okay?

In Zeiten von Homeoffice und flexiblen Arbeitszeiten verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr. Viele Menschen arbeiten auch abends, beantworten E-Mails oder erstellen eine Präsentation mal schnell übers Wochenende – die Kinder parkt man eben vor dem Fernseher. Dieses Phänomen nennt man Work-Life-Blending. Dabei geht es nicht darum, Arbeit und Privatleben strikt zu trennen, sondern sie bewusst zu vermischen – allerdings nur in einem Maß, das für dich angenehm ist.

Das Ziel beim Work-Life-Blending ist es, bewusst zu entscheiden, wie viel Vermischung in Ordnung ist. Es kann zum Beispiel okay sein, abends eine kurze E-Mail zu beantworten, wenn du dafür den Nachmittag entspannt mit deiner Familie verbringst. Wichtig ist, dass du die Kontrolle über diesen Mix behältst – und nicht der Job. Doch das fällt vielen schwer.

Hohes Risiko für Führungskräfte und Selbstständige

Besonders auffällig ist die Häufung von Arbeitssucht bei Führungskräften und Selbstständigen. Führungskräfte sind laut der Studie mit 12,4 Prozent überdurchschnittlich oft betroffen. Auf den höheren Führungsebenen steigt der Anteil sogar auf 16,6 Prozent.

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Der Grund: In vielen Unternehmen wird von Führungskräften „still“ erwartet, dass sie als Vorbilder immer präsent sind – als Erster ins Büro kommen und als Letzter gehen. Diese Kultur erzeugt enorme Anreize für exzessives Arbeiten und führt dazu, dass viele Führungskräfte in einen Strudel aus Überarbeitung und Selbstaufopferung geraten.

Als Erster am Arbeitsplatz erscheinen und als Letzter geht aber nicht automatisch mit einer hohen Arbeitsmoral einher. Tatsächlich machen produktive Mitarbeiter oft genau das Gegenteil – wie du in unserem Artikel „Die besten Mitarbeiter kommen spät und gehen früh“ nachlesen kannst.

Auch Selbstständige und Unternehmer sind stark betroffen: 13,9 Prozent arbeiten suchthaft, häufig aufgrund fehlender Strukturen, die ihnen helfen könnten, ihre Arbeitszeit zu begrenzen. Sie tragen die alleinige Verantwortung und neigen demzufolge dazu, den Erfolg ihres Unternehmens über das eigene Wohlbefinden zustellen. Selbst und ständig wird nicht nur gepredigt, sondern auch gelebt.

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Berufliche Erfüllung finden, ohne dich selbst zu verlieren

Eine große Sorge vieler Menschen ist, dass sie sich zwischen einer erfolgreichen Karriere und einem erfüllten Privatleben entscheiden müssen. Warum entweder oder? Du kannst beides haben. Es gilt, herauszufinden, was dir im Job wirklich wichtig ist und was du bereit bist zu geben – und was nicht.

Hier einige Tipps, wie du berufliche Erfüllung findest, ohne dein Privatleben zu opfern:

  • Fokussiere dich auf deine Stärken: Finde heraus, was dir am meisten Spaß macht und worin du wirklich gut bist. Setze darauf, diese Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Viele Menschen konzentrieren sich viel zu sehr auf ihre Schwächen und reiben sich dabei auf, diese so gut es eben geht, auszubügeln.
  • Delegiere Aufgaben: Du musst nicht alles selbst erledigen. Gib Aufgaben ab, die dich überfordern oder ausbrennen, und konzentriere dich auf die, die dich motivieren. Nutze die ABC-Methode: Indem du Aufgaben nach ihrer Priorität einteilst, behältst du den Überblick, arbeitest zielgerichteter und reduzierst Stress.
  • Sag auch mal „Nein“: Es ist absolut in Ordnung, nicht jede Aufgabe oder Verantwortung anzunehmen. Zu lernen, „Nein“ zu sagen, ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, um dich vor Überlastung zu schützen – privat wie beruflich.

Mitbestimmung in Betrieben: Ein Schutz vor Überarbeitung?

Ein weiteres spannendes Ergebnis der Studie ist der Einfluss von betrieblicher Mitbestimmung. In Betrieben mit einem Betriebsrat oder klaren Mitbestimmungsstrukturen arbeiten deutlich weniger Menschen suchthaft. In Unternehmen mit Mitbestimmung liegt der Anteil bei 8,7 Prozent, während er in Unternehmen ohne Betriebsrat auf 11,9 Prozent steigt.

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Warum? Betriebsräte setzen häufig Regelungen durch, die Beschäftigte vor Überarbeitung schützen, zum Beispiel durch klare Arbeitszeitregelungen und Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.

Auch die Unternehmensgröße spielt eine Rolle: In kleinen Betrieben mit weniger als zehn Mitarbeitenden liegt die Quote der Arbeitssüchtigen bei 12,3 Prozent, während sie in großen Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten auf 8,3 Prozent sinkt. Hier gibt es meist stärkere Kontrollen und Strukturen, die verhindern, dass die Arbeitszeit unkontrolliert ausufert.

Verlier deine Lebensfreude nicht aus den Augen

Arbeit ist wichtig, aber sie sollte nicht dein Leben bestimmen. Es ist leicht, sich in der Berg voller Aufgaben zu verlieren, besonders wenn du ehrgeizig bist oder den Druck verspürst, ständig Leistung zu erbringen. Doch am Ende zählt, dass du ein Leben führst, das dich erfüllt und glücklich macht. Frage dich: Was bringt dir ein gut bezahlter Job, wenn du dabei leer und ausgebrannt bist?

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Hier einige praktische Ideen, wie du deine Lebensfreude wieder in den Vordergrund rückst:

  • Finde ein Hobby, das dich erfüllt: Ob Sport, Musik oder Kunst – finde etwas, das dir Spaß macht und dir Energie gibt. Ich habe z. B. das Malen für mich (neu)-entdeckt.
  • Plane regelmäßige Auszeiten: Ob ein kurzer Urlaub oder nur ein freies Wochenende – gönn dir regelmäßig Auszeiten, in denen du komplett abschaltest.
  • Verbringe Zeit mit den Menschen, die dir wichtig sind und gut tun: Beziehungen zu Freunden und Familie sind sehr wichtig für langfristige Zufriedenheit und Ausgeglichenheit. Nimm dir bewusst Zeit für sie.

Du bist mehr als deine Arbeit

Die Ergebnisse der Studie zeigen deutlich, wie verbreitet suchthaftes Arbeiten in Deutschland ist – und wie stark es uns auslaugen kann. Doch der erste Schritt zur Veränderung beginnt immer bei dir. Dein Job sollte nur ein Teil deines Lebens sein, nicht dein Leben. Setze klare Grenzen, lass dich nicht von einem endlosen Kreislauf der Arbeit vereinnahmen und sorge dafür, dass du neben deinem Beruf auch Zeit für dich selbst findest. Deine Arbeit definiert nicht, wer du bist. Es sind deine Beziehungen, deine Leidenschaft und dein Wohlbefinden, die am Ende wirklich zählen.

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