Als Erster am Arbeitsplatz erscheinen und als Letzter gehen und damit eine hohe Arbeitsmoral zeigen? Produktive Mitarbeiter machen genau das Gegenteil.

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Tägliche Überstunden gefährden auf lange Sicht Produktivität und Gesundheit von Beschäftigten. Dennoch wird es als Zeichen des Fleißes, der Einsatzbereitschaft und der Loyalität gewertet, wenn wir Mehrarbeit bis zum Umfallen leisten, Überstunden schieben und das Abendessen mit der Familie regelmäßig verpassen. Denn Disziplin sowie harte Arbeit werden seit jeher positiv konnotiert und gelten deshalb als hohe Tugenden.

Hohe Arbeitsmoral der Babyboomer prägt die Gesellschaft

Eine wichtige Rolle für junge Menschen, die lange arbeiten, früh auf der Arbeit erscheinen und sehr spät nach Hause gehen, spielt die Prägung der Vorgenerationen. Spätestens seit der Babyboomer-Generation wird die Gesellschaft maßgeblich von der hohen Arbeitsmoral der zwischen den Jahren 1946 und 1964 geborenen Menschen geprägt.

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Die Babyboomer zeichnen sich nicht nur durch ihr hohes politisches Engagement aus. Typisch für diese Generation ist auch, dass sie zumeist als „Workaholics“ beschrieben werden. Mehrarbeit, längere und harte Arbeitstage sind nicht unbedingt ein Zeichen dafür, dass hier etwas gewaltig schiefläuft – sondern für Erfolg und ein glücklicheres Leben.

Der Wertekonflikt zwischen den Babyboomern und den jüngeren Generationen hat es heute sogar zu einem eigenen Meme geschafft: „OK, Boomer“ ist eine Phrase, die seit 2019 immer wieder im Netz zu lesen ist. Eine Phrase, die verwendet wird, um allen voran Aussagen abzuwerten, die als engstirnig, konservativ und veraltet gelten und der Babyboomer-Generation zugeordnet werden. Auch die Arbeitsmoral wird hinterfragt. Spätestens seit der Zeit der Millennials ist Work-Life-Balance ein wichtiges Thema, weil jüngere Generationen ihre Gesundheit nicht verkaufen wollen, um Anerkennung und Sicherheit in Bezug auf ihren Arbeitsplatz zu bekommen.

Überstunden machen krank und sind reine Produktivitätskiller

Das frühe Erscheinen und lange Bleiben auf der Arbeit hat Gründe, auch aus Arbeitgebersicht. Weil Personal fehlt, müssen Beschäftigte Mehrarbeit leisten und so gezwungenermaßen eine Art Ausgleichsarbeit leisten. Vor allem Arbeitnehmer mit wenig anderen Möglichkeiten, die auf eine spezielle Stelle angewiesen sind, um die eigene Existenz zu sichern, tun sich damit schwer, Grenzen aufzuzeigen – denn die prekären Arbeitsverhältnisse lassen dies kaum zu. Es gibt aber auch mehrere Gründe, weshalb es sich lohnt, sich dem Trend des Quiet Quittings anzuschließen und pünktlich Feierabend zu machen:

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#1: Stress und Überstunden sind Produktivitätskiller

Im Grunde ist es eine simple Rechnung: Die Ressourcen unseres Körpers sind begrenzt. Denn wir benötigen Schlaf, Essen und Ruhe, um unsere Energie immer wieder aufzuladen. Werden Grundbedürfnisse vernachlässigt, verwundert es wenig, dass Hirn und Körper an ihre Grenzen kommen. So ist es nur logisch, dass unsere Produktivität sinkt, wenn wir ohne Erholung, Grenzen und Pausen arbeiten. Deshalb ist tägliche Mehrarbeit bekanntermaßen ein echter Produktivitätskiller, weil wir Arbeit automatisch mit negativem Stress und dem Zwang, unsere Bedürfnisse vernachlässigen zu müssen, verbinden.

#2: Die Gesundheit leidet stark

Werden Überstunden ohne Ausgleich zum Dauerzustand, steigt das Risiko für körperliche und psychische Erkrankungen. Weltweit gehört heute die sogenannte „Major Depression“ zu den häufigsten mentalen Erkrankungen überhaupt. Nach Angaben des Max-Planck-Institut für Psychiatrie ist das in den USA der wichtigste Grund für eine Erwerbsunfähigkeit; in Europa soll die die schwere Depression immerhin zu den Top-3-Gründen gehören, weshalb Menschen nicht mehr in der Lage sind, einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen.

Dass das viele Arbeiten uns krank machen kann, ist heute erwiesen. Mehrere Studien und Untersuchungen weisen darauf hin und empfehlen ein Umdenken. Auch die Wissenschaftler Christoph Wunder und Kamila Cygan-Rehm haben nachgeforscht – und die Untersuchungsergebnisse zeigen: Wer länger arbeitet, leidet gesundheitlich und sucht häufiger einen Arzt auf. Denn die Besuche steigen um ganze 13 Prozent an.

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#3: Wenig Zeit – und auch Geduld – für Familie, Freunde und die Liebsten

Dass produktive und erholte Mitarbeiter, die früher nach Hause gehen, auch mehr Zeit für ihr soziales Umfeld haben, ist ebenfalls wenig verwunderlich. Wer aufgrund der langen Arbeitszeiten wenig Freizeit hat, muss Abstriche machen. Die Zeit, die überhaupt noch übrig bleibt, wird gerne alleine verbracht, um abzuschalten.

Auch die Fähigkeit, Informationen von anderen aufzunehmen, anderen wirklich zuzuhören und Zeit mit ihnen zu verbringen, wird zur Qual und schrumpft damit. Schließlich wurden die eigenen Bedürfnisse bereits wegen der Mehrarbeit vernachlässigt. Der Geduldsfaden wird kürzer, während der Frust steigt. Beziehungen leiden. Ein Teufelskreis, der nur durchbrochen werden kann, wenn die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gegeben und Work-Life-Balance kein Fremdwort ist.

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Liebe Arbeitgeber: Mehr ist nicht immer mehr

Arbeitsstrukturen, die Mehrarbeit und Überstunden obligatorisch machen, sind heute veraltet. Es lohnt sich, über eine gesunde Reduktion der Arbeitszeit nachzudenken. Denn die Einstellung, dass Mehrarbeit und Überstunden gleich „mehr Produktivität, Ergebnisse und Erfolg“ bedeuten, ist nicht ganz korrekt.

Im Gegenteil: Es sind zumeist die ausgeruhten Mitarbeiter, die produktiv sind und gesund bleiben. Sie kennen ihre Grenzen, kommen nicht früher als notwendig und sind auch nicht diejenigen, die bis zum bitteren Ende im Büro bleiben.

Vor allem Arbeitgeber sind hier in der Pflicht: Mehr ist nicht mehr. Arbeitnehmer sollten nicht mit der Angst leben müssen, ihren Arbeitsplatz zu riskieren oder als „nicht loyal“ abgestempelt zu werden, wenn sie gesunde Grenzen setzen. Wer sich gesunde, glückliche und produktive Mitarbeiter wünschst, sollte Abstand vom Irrglauben nehmen, dass Schuften bis zum Umkippen ein Zeichen für gute Arbeit ist – und schon gar nicht von Loyalität.

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Besser: Pausen, Erholungszeiten und weniger busy work. Auch wenn Personalknappheit ein Problem ist, hilft es nicht, Mitarbeiter, die das Unternehmen beschäftigt, langfristig in die Arbeitsunfähigkeit zu treiben. Denn zu viele Überstunden und Stress sind ein Garant für Krankheiten und verschlechtern die Situation im Unternehmen zunehmend.

Unzufriedene, gestresste und unglückliche Mitarbeiter werden sich innerlich zurückziehen oder einen neuen Job suchen. Weil die Wechselbereitschaft deutscher Arbeitnehmer gestiegen und die Great Resignation in vielen Industrienationen angekommen ist, können Beschäftigte sich diesen Schritt auch erlauben, vor allem mit dem Hintergrund, dass Fachkräfte und Personal zur Rarität geworden sind. Deshalb hängt die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen vor allem davon ab, ob sie bereit sind, sich auf New Work und die Veränderungen der Arbeitswelt einzulassen.

Faulheit hat auch Vorteile

Wer es schafft, später zur Arbeit zu kommen und früh zu gehen, wird sich vielleicht als „faul“ bezeichnen. Dahinter aber steckt zumeist auch eine große Cleverness und die Fähigkeit, die Arbeitszeit und die eigenen Ressourcen so gut aufzuteilen, dass alle Aufgaben innerhalb eines kurzen Zeitraumes erledigt werden. Ganz nach dem Motto: „Ich arbeite nicht mehr, sondern klüger.

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Nicht umsonst heißt es deshalb immer wieder, dass faule Menschen auch als besonders kluge Menschen gelten – obwohl es auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein scheint, vor allem vor dem Hintergrund, dass hart und lang Arbeiten und Fleiß eher mit Erfolg assoziiert werden. Damit ist allerdings nicht gemeint, dass Arbeitnehmer, die ihre Grenzen wahren und wenig Mehrarbeit leisten, automatisch faul sind. Es kann auch ein Zeichen der Selbstfürsorge sein, pünktlich Feierabend zu machen.

Bild: sanjeri/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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